Hans-Heinrich Dieter

Unsicheres Israel   (16.04.2023)

 

Am höchsten Feiertag im Kirchenjahr, an Ostern feiern Christen die Auferstehung von Jesus; es ist ein Fest der Hoffnung. Das Pessach-Fest der Juden erinnert an den Auszug aus Ägypten, also die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei. Und beim Fasten während des Ramadans wird eine der fünf Säulen des Islam feierlich gewürdigt. Diese Freudenfeste werden in diesem Jahr teilweise zur gleichen Zeit gefeiert. In Israel und hauptsächlich in Jerusalem auf dem Tempelberg kann von Hoffnung und Freude keine Rede sein. Denn die am weitesten rechts orientierte Regierungskoalition, die Israel je hatte, kann durchaus für die Provokation von vielfältiger Gewalt verantwortlich gemacht werden. Die Zeit ist religiös und politisch stark aufgeladen!

Die erstmals im Kabinett vertretenen rechtsextremen und ultrareligiösen Politiker im Kabinett haben mit Billigung von Netanjahu die völkerrechtswidrige „Landnahme“ im Westjordanland verstärkt. Der Siedlungsausbau wird nun auch in Gebieten vorangetrieben, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. Damit agiert Israel gegen die Zwei-Staaten-Lösung, die Frieden im Nahen Osten bringen könnte. Das Apartheid-Verhalten der Israelis gegenüber den Palästinensern, aber auch gegenüber den arabischstämmigen Israelis, hat ebenfalls zugenommen. Schon am 1. Februar 2022 präsentierte Amnesty International einen umfassenden Bericht, in dem es Israel vorwirft, an den Palästinenserinnen und Palästinensern Apartheid zu verüben und damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Und das hat nichts mit Antisemitismus zu tun, denn in einer repräsentativen Umfrage unter der jüdischen Wahlbevölkerung in den USA stimmten immerhin 2021 25 Prozent der Befragten der Aussage zu, Israel sei ein Apartheid-Staat. Inzwischen hat sich das beklagte Verhalten noch verstärkt. Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner setzen geradezu auf Eskalation. Und die Gegner Israels mobilisieren ihre Kräfte!

Israel ist am 6. April unter schweren Beschuss aus Libanon geraten. Israels Armee hat in der Nacht zum 7. April mit Raketenangriffen reagiert. Bei einem mutmaßlichen Anschlag in Tel Aviv sind ebenfalls am 7. April nach Angaben von Sanitätern ein Italiener getötet und sieben weitere Touristen verletzt worden. Der Attentäter wurde von der Polizei erschossen. Nach Raketenbeschuss aus Syrien auf den von Israel besetzten Teil der Golanhöhen hat die israelische Armee in der Nacht zum 9. 4. auf Ziele in Syrien geschossen. Und natürlich kam es zu massiven Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen, die mit massiven Angriffen der israelischen Luftwaffe beantwortet wurden. Diese aufgeheizte Stimmung hat sicher die gegenseitige Gewalt während der Osterfeierlichkeiten auf dem Tempelberg beflügelt. Man kann froh sein, dass nicht noch mehr Menschen den Gewaltexzessen zum Opfer gefallen sind.

Und das sind nicht die einzigen Probleme, die die rechtsextreme Regierung Netanjahus hervorgebracht hat. Seit Wochen tobt ein Streit um die geplante Justizreform in Israel. Israel hat keine Verfassung, sondern nur eine Reihe von grundlegenden Gesetzen, die das Parlament jederzeit ändern oder abschaffen kann. Eine zweite Kammer gibt es nicht – und an internationale Rechtsprechung fühlt sich Israel ohnehin nicht gebunden. Nur die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes haben der Regierung bisher die Grenzen der Macht aufgezeigt. Und diese für die Demokratie so wichtige Gewaltenteilung soll nun stark dadurch begrenzt werden, dass Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes durch einfache Mehrheitsentscheidungen der Knesset für ungültig erklärt werden können. Das Parlament soll sich also künftig über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzen können, und zwar auch dann, wenn es zum Beispiel um die Rechte von Minderheiten geht. Die Regierung und ihre gewählte Mehrheit im Parlament haben damit die Möglichkeit zur freien und ungebremsten Machtentfaltung. Da stelle man sich vor, dass beispielsweise ein Finanzminister, der neulich forderte, der Staat Israel solle als Reaktion auf einen Terroranschlag eine von rund 7000 Palästinensern bewohnte Stadt im besetzten Westjordanland „ausradieren“, seine „Macht“ ungebremst ausüben kann. Ob Israel nach einer solchen Justizreform noch das Prädikat „Demokratischer Rechtsstaat“ verdient, muss bezweifelt werden. Denn Demokratie lebt davon, dass der Macht Grenzen gesetzt sind.

Viele demokratisch gesinnte Israelis haben begriffen, dass viel auf dem Spiel steht. Woche für Woche gehen 100-Tausende auf die Straße, und zwar nicht, weil ihnen das letzte Wahlergebnis nicht gefällt, wie Netanjahu und seine Anhänger behaupten, sondern weil es um die Grundfesten der Demokratie in Israel geht. Unter den Demonstranten sind neben vernunftbegabten Israelis, Intellektuelle, Juristen und Kunstschaffende und inzwischen auch hohe Militärs, sehr viele Reservisten und sogar Angehörige des Geheimdienstes Mossad – das gibt einen Eindruck von der Qualität des Widerstandes gegen Netanjahu und seine rechtsextremistischen Kumpane und von der Bedeutung des Kampfes für die Demokratie.

Deutschland hat die Bedeutung dieses Kampfes für den Erhalt der Demokratie noch nicht begriffen. Deutschland redet immer großspurig von der Sicherheit Israels, die Teil der deutschen Staatsräson sei, ohne in der Lage zu sein, außen- und sicherheitspolitisch ein solches Versprechen einzulösen. Und wenn es um den Erhalt der Demokratie Israels geht, sagt Scholz beim kürzlichen Antrittsbesuch Netanjahus nur lapidar man sei „besorgt“. Dabei will Netanjahu die Reform weiter in hohem Tempo - mit einer kleinen Unterbrechung – gegen den erklärten Willen eines großen Teils der Bevölkerung durchs Parlament bringen und ignoriert selbst den Kompromissvorschlag von Staatspräsident Herzog, der sein Land schon am Rande eines Bürgerkrieges sieht. Das kann durchaus zu einer veritablen Verfassungskrise führen.

Wenn der Staat Israel als lebendige Demokratie Deutschland am Herzen liegt, sollten wir uns mit denen, die für den Rechtsstaat kämpfen, solidarisieren. Wenn wir Israel unsere Freundschaft beweisen wollen, dann müssen wir uns klar und eindeutig für den Erhalt der Demokratie einbringen und zum Beispiel auch einen Protestmarsch tausender Anhänger einer israelischen Siedlerbewegung zu einem evakuierten Außenposten im nördlichen Westjordanland verurteilen. Ziel dieses Protestmarsches war die illegal errichtete Siedlung Eviatar, die 2021 auf Anweisung der damaligen israelischen Regierung evakuiert worden war. Die Organisatoren der Demonstration forderten die Wiedereröffnung und Legalisierung der Siedlung. An dem Marsch nahmen mindestens sieben Kabinettsmitglieder der in Teilen rechtsextremen Regierung Israels teil, darunter Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben-Gvir. Mit solchen Provokationen heizen die Rechtsextremen die Gewalt zum Nachteil der Sicherheit der israelischen Bevölkerung an und arbeiten ständig gegen eine Zwei-Staaten-Lösung, die Frieden in den Nahen Osten bringen könnte.

Die Freundschaft mit Israel muss neu gedacht – und aktiv gelebt werden!

(16.04.2023)

 

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https://www.hansheinrichdieter.de/html/israelsrechtsruck.html

https://hansheinrichdieter.de/Israel.htm

 

 

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