Hans-Heinrich Dieter

Rechtsextreme Politiker und tiefreligiöse Kräfte (04.01.2023)

 

Die neue israelische Regierung ist am 29.12.22 in Jerusalem vereidigt worden. Es ist die am weitesten rechts orientierte Koalition, die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker im Kabinett vertreten. Und in den Leitlinien der Regierung ist auch festgelegt, dass sie den Siedlungsausbau auch in Gebieten vorantreiben will, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. Damit agiert Israel gegen die Zwei-Staaten-Lösung, die Frieden im Nahen Osten bringen könnte.

Um wieder an die Macht zu kommen, hat sich der wegen Korruption angeklagte Netanjahu mit extremen Kräften verbündet. Der aufgrund seiner antiarabischen Rhetorik und wegen Volksverhetzung verurteilte Rassist, Siedler und Straftäter Itamar Ben-Gvir ist neuer Sicherheitsminister. Bezalel Smotrich ist Israels neuer Finanzminister, er kontrolliert aber auch den Siedlungsbau und will die Infrastruktur im besetzten Westjordanland ausbauen - und so vorsätzlich gegen internationales Recht verstoßen. Und ein ultraorthodoxer Minister, der offen gegen die Rechte von Homosexuellen steht, ist nun für das Bildungswesen zuständig. Und Kritiker befürchten sogar eine undemokratische Politisierung der Justiz!

Diese politische Entwicklung erzeugt natürlich Reaktionen. Die UN-Vollversammlung hat inzwischen für eine Prüfung der seit 1967 andauernden israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gestimmt. Israel hat während des Sechs-Tage-Krieges 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Rund 600.000 Israelis leben dort heute in mehr als 200 Siedlungen. Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete diese Siedlungen schon 2016 als Verletzung des internationalen Rechts. Er forderte Israel auf, alle Siedlungsaktivitäten zu stoppen. Immerhin 87 Länder stimmten am 30.12.2022 für und nur 26 gegen die Entscheidung, mehr als 50 enthielten sich. Aber Israel kümmert sich allerdings einen feuchten Kehricht um Beschlüsse des höchsten, für Erhaltung des Weltfriedens zuständigen Gremiums und so hat Netanjahu die Entscheidung der UN-Vollversammlung zu den besetzten Palästinensergebieten scharf kritisiert: „Wie Hunderte von anderen verqueren Resolutionen der UN-Vollversammlung gegen Israel wird auch die heutige Resolution die israelische Regierung nicht verpflichten. Das jüdische Volk hält sein Land nicht besetzt und besetzt auch nicht seine ewige Hauptstadt Jerusalem.“ Eine dreiste Frechheit, die westliche Politiker ihm nicht durchgehen lassen sollten!

US-Präsident Biden hat anlässlich des Amtsantritts der rechts-religiösen Regierung in Israel das Ziel einer Zweistaatenlösung im Nahost-Konflikt bekräftigt: „Wie wir es während der Amtszeit meiner Regierung immer getan haben, werden die Vereinigten Staaten weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen und sich Politik entgegenstellen, die ihre Realisierbarkeit gefährdet oder unseren gemeinsamen Interessen und Werten zuwiderläuft.“ Das ist eine klare Botschaft!

Und auch US-Außenminister Blinken fand klare Worte: Er betonte, dass die Partnerschaft zwischen den USA und Israel auch darauf fuße, dass sich Israel zu „demokratischen Prinzipien“ bekenne und zur „Vision eines friedlichen Miteinanders mit seinen Nachbarn“. Und er warnte vor der „Ausweitung von Siedlungen, Bestrebungen zur Annexion des Westjordanlandes, Beeinträchtigung des historischen Status quo der heiligen Stätten, Abrissen (von Häusern) und Zwangsräumungen sowie der Anstachelung zur Gewalt“.

Bundeskanzler Scholz verzichtete in seiner Gratulationsbotschaft an Netanjahu hingegen auf kritische Worte und hob stattdessen die besondere und enge Freundschaft zu Israel hervor. „Für die anstehenden Aufgaben wünsche ich Ihnen gutes Gelingen, eine glückliche Hand und viel Erfolg.“ Meint Scholz „gutes Gelingen“ beim rechtwidrigen Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und „eine glückliche Hand“ bei der Torpedierung einer Zweistaaten-Lösung? Scholz outet sich einmal mehr als ein wenig verantwortungsbewusster Phrasendrescher!

Und nun hat der wegen Volksverhetzung verurteilte neue Sicherheitsminister, Rassist und Straftäter Itamar Ben-Gvir der als rechter Hardliner gilt, die heilige Stätte in der Jerusalemer Altstadt am Dienstagmorgen unter hohem Polizeischutz besucht – und damit den „Status quo“ gebrochen. Der Tempelberg steht unter muslimischer Verwaltung, während Israel für die Sicherheit zuständig ist. Laut einer Vereinbarung mit den muslimischen Behörden dürfen Nichtmuslime die Anlage besuchen, dort aber nicht beten. Ben-Gvir hatte diese Vereinbarung als rassistisch und diskriminierend bezeichnet. Und er weiß genau, dass der Besuch des späteren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Tempelberg 2000 als Mitauslöser der zweiten Intifada gilt. Ben-Gvir ist offensichtlich ein jüdischer Provokateur, der die Durchsetzung seiner fundamentalistischen Ziele über Frieden für die israelische Bevölkerung stellt.

Netanjahu hat sich inzwischen zum Erhalt des „Status quo“ auf dem Tempelberg bekannt und damit Ben-Gvir indirekt kritisiert. Erst danach hat sich die Bundesregierung getraut, das Verhalten des rechtsradikalen Provokateurs zu kritisieren: „Der gestrige Besuch ist eine Provokation, und deshalb lehnen wir dieses Vorgehen ganz klar ab“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes – natürlich nicht Kanzler Scholz oder die grüne Außenministerin!

Die israelische Zeitung HAARETZ ist da mutiger: „Man muss bezweifeln, dass sich Ben-Gvir auch nur im Geringsten um die Kritik kümmert, die Israel nun von vielen ausländischen Staaten entgegengebracht wird. Der Minister ist hauptsächlich damit beschäftigt, die Wünsche der fundamentalistischen Wähler zu erfüllen, die einen Flächenbrand und einen blutigen Konflikt mit der arabischen Welt, den Palästinensern im Westjordanland und sogar den arabischen Bürgern Israels wollen. Seine Provokation ist der Preis, den Regierungschef Netanjahu zahlt, um Premierminister zu sein. Netanjahu hat einen Haufen Brandstifter in die Regierung gelassen, nur um an die Macht zurückzukehren und die Justiz zu zerschlagen, die es gewagt hat, ihn vor Gericht zu stellen. Netanjahu gefährdet die Sicherheit Israels.“

Israel steht vor sehr schwierigen Zeiten! Deutschland sollte sich im Verhältnis zu Israel ehrlicher machen und die Zusicherung Merkels, dass „Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson“ sei, überdenken. Denn wie können wir eine Sicherheit gewährleisten, die Israel selbst gefährdet, und wie können wir uns für Frieden im Nahen Osten, zum Beispiel auf der Grundlage einer Zweistaaten-Lösung einsetzen, wenn Israel solche Friedensmöglichkeiten mit Wort und Tat torpediert?

Auch im Hinblick auf Israel sollte Deutschland die Haltung der Vereinten Nationen unterstützen und Israel kritisch begleiten.

(04.01.2023)

 

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