Erfahrungen mit Afghanistan (19.02.2025)
Nach dem islamistischen Terrorangriff „9/11“ auf das World Trade Center hatten sich die USA entschlossen, den Terror in Afghanistan zu bekämpfen. Die westliche Welt hat sich daraufhin entschieden, die USA zu unterstützen. Deutschland traf diesen Entschluss auf der Grundlage des Artikels 5 des NATO-Vertrages.
Seit Beginn des Einsatzes Ende 2001 war das muslimische Land am Hindukusch ein Fass ohne Boden, in das die westliche Welt und die NATO personell, materiell und finanziell sehr viel investiert und viele Soldaten verloren hat – ohne wirkliche Erfolge zu erzielen. Der Westen hat in Afghanistan kläglich versagt, und die Flucht, 2021, war peinlich. Mich stört dabei, dass immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass wir die Afghanen ”im Stich gelassen hätten”. Und darüber hinaus wird immer wieder moralisierend versucht, uns „Schuld“ einzureden, die Wiedergutmachung erfordere. Das ist falsch! Deswegen ist es gut, dass dieser Einsatz im Bundestag intensiv untersucht wurde, um Fehler zu finden, zu beurteilen und bei weiteren Militäreinsätzen zu vermeiden.
Die Enquete-Kommission hat dem Bundestag am 19.02.2024 ihren Zwischenbericht zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan vorgelegt. Das Fazit der schonungslosen Bilanz: „Der größte, teuerste, und opferreichste Kriseneinsatz der - vor allem westlichen - Staatengemeinschaft endete mit einem strategischen Scheitern.“
Die wesentlichen Vorwürfe und Erkenntnisse:
„Eine fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme hinsichtlich der sehr hoch gesetzten Ziele hat nicht ausreichend stattgefunden.“
Die zuständigen Ministerien - also Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium – haben sich nicht hinreichend abgestimmt.
Der deutsche „vernetzte Ansatz“ hat nicht funktioniert.
„Ausrüstung und Fähigkeiten der Bundeswehr wurden in Teilen nicht dynamisch genug an die Bedrohungslage in Afghanistan angepasst.“
„Personelle Ressourcen, bei zivilen Einsatzkräften und bei der Polizei, waren gemessen am Ziel des Staatsaufbaus nicht ausreichend“. Die geringe Zahl der vom Innenministerium entsandten Beamten sei schlicht „lächerlich“ gewesen.
Bei der Verteilung von Geldern hat man die „Aufnahmefähigkeit und die Kapazitäten der afghanischen Partner“ überschätzt; den zunehmenden Einfluss der Taliban hingegen unterschätzt.
Viel zu spät und „nicht ausreichend konsequent“ hat man sich um eine politische Konfliktlösung bemüht
Deutschland ist „gemeinsam mit seinen internationalen Partnern strategisch gescheitert.“
Das ist eine sehr bittere Bilanz. Ihren Abschlussbericht mit konkreten Empfehlungen will die Enquete-Kommission im Frühjahr 2025 vorlegen. Für Militärs mit Einsatzerfahrung bestätigt der Zwischenbericht die negative Beurteilung des deutschen Afghanistan-Engagements.
Der 1 400 Seiten lange Schlussbericht liegt jetzt vor und wurde im Bundestag diskutiert. Die Aussagen des Zwischenberichtes werden wiederholt. Die Kommission betonte jetzt vor allem deutliche Mängel bei den Zielvorgaben und der Kommunikation während der Mission der Bundeswehr: „Zukünftige Engagements bedürfen einer ausformulierten Strategie, die klare, überprüfbare und realistische Ziele benennt und beabsichtigte Wirkungen definiert“. Je nach Lageentwicklung sei es zudem wichtig, bei Einsätzen „über eine mit den Verbündeten abgestimmte Exit-Strategie zu entscheiden.“ Kritisiert werden auch schleppende Verwaltungsabläufe und eine Politik, der es teilweise an Entscheidungsfreude und Handlungswillen fehlte. Das hat ein frühzeitiges effektives Handeln der Bundesregierung in den Wochen vor der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban in Kabul verhindert.
Es wird in dem Schlussbericht aber zu wenig thematisiert, dass Deutschland aus dem kläglichen Versagen in Afghanistan noch zu wenig gelernt und Erfahrungen noch nicht umgesetzt hat, wie der später gescheiterte Einsatz in Mali gezeigt hat. Und es wird zu wenig deutlich, dass sich die Bundesrepublik nur unzureichend mit der muslimischen afghanischen Kultur befasst hat.
Denn in Afghanistan hat die westliche Staatengemeinschaft mit dem naiven Ziel interveniert, aus einer vom Islam dominierten, unterentwickelten, mittelalterlichen Stammesgesellschaft eine rechtsstaatliche „Westminster-Demokratie“ mit guter Staatsführung zu machen – und ist gescheitert. Afghanistan will nicht nach westlicher Façon selig werden, Afghanistan will unser Geld. Nach fast 20 Jahren massiven und kostenintensiven militärischen Einsatzes sowie humanitärer und wirtschaftlicher Investitionen terrorisieren die regierenden Taliban weiterhin das afghanische Volk, ist die Korruption nicht im Griff und wurde die Drogenproduktion weiter ausgebaut. Positive Perspektiven gibt es nicht und von demokratischen Strukturen ist das Land noch weit entfernt. Offensichtlich zieht eine Mehrheit der Bevölkerung ein von den Taliban beherrschtes, gesellschaftliches System einer westlich orientierten Demokratie vor. Das muss man respektieren!
Aus dem Einsatz in Afghanistan müssen wir daher lernen:
Wenn Deutschland sich zukünftig an Auslandseinsätzen beteiligt, muss sich die Politik mit der Kultur des zu unterstützenden Landes intensiv befassen und die Erkenntnisse bei der Zielsetzung des Einsatzes berücksichtigen.
Die Zielsetzung muss Grundlage für eine zu entwickelnde Strategie des Einsatzes sein.
Die Strategie muss auch alternative Entwicklungen des Einsatzes denken bis hin zu einer Exitstrategie.
Auf dieser Grundlage muss die Truppe einen Auftrag erhalten, der den bestmöglichen Erfolg gewährleistet. Dazu ist in aller Regel auch ein Kampfauftrag zu erteilen.
Auf dieser Grundlage ist die Truppe so auszurüsten und zu bewaffnen, dass die erfolgreiche Auftragserfüllung möglich ist. Dazu ist auch die erforderliche Kampfunterstützung zu gewährleisten.
Man kann das auch so zusammenfassen: Kein zukünftiger Einsatz deutscher Streitkräfte ohne gute politische Unterstützung, ohne Strategie, ohne umfassende Planung, ohne klaren Auftrag - in der Regel mit Kampfauftrag, ohne bestmögliche Ausrüstung, Bewaffnung und Kampfunterstützung. Deutsche Soldaten im Einsatz müssen ihren Auftrag erfüllen können!
(19.02.2025)
Bei Interesse lesen Sie auch:
https://www.hansheinrichdieter.de/html/eigenverantwortlichesafg.html
http://www.hansheinrichdieter.de/html/aussenpolitikohneplan.html
http://www.hansheinrichdieter.de/html/zielefuerafghanistan.html
http://www.hansheinrichdieter.de/html/us-afghanistan-strategie.html
Für eine tiefgreifende Befassung mit der Thematik empfehle ich:
https://www.politische-bildung.de/afghanistan-sicherheitspolitik
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