Hans-Heinrich Dieter

Bundeswehr in Personalnot   (01.04.2023)

 

Nun schon im zweiten Jahr in Folge sind, laut NOZ, mehr Soldaten aus dem militärischen Dienst ausgeschieden als neue dazugewonnen werden konnten. In Zahlen: Mehr als 19.500 Soldaten sind 2022 aus der Bundeswehr ausgeschieden. Das ist der höchste Wert seit 2017. Mehr als 4200 Soldaten quittierten 2022 ihren Dienst sogar vorzeitig wegen einer dauernden Dienstunfähigkeit, oder aber durch Abbruch des Dienstes noch während der sechs Monate dauernden Probezeit. So ist die Personalstärke im militärischen Bereich insgesamt zum Jahresende 2022 auf 183.050 Personen gesunken. Und da glaubt auch Verteidigungsminister Pistorius nicht mehr so recht, dass die Bundeswehr das politisch gesteckte Ziel von 203.000 Soldaten bis 2031 erreichen kann, denn dazu müssten jährlich mindestens 21.000 Rekruten für den Dienst gewonnen werden.

Und auch der Wehrbericht 2022 der Wehrbeauftragten Högl verheißt nichts Gutes. Die Streitkräfte überaltern. Das Durchschnittsalter von Berufs- und Zeitsoldaten ist seit 2012 um 3,1 Jahre gestiegen. Inzwischen sind die Soldaten im Durchschnitt 33,4 Jahre alt. Das wirkt sich negativ auf die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte aus. Denn wachsendes Durchschnittsalter führt zu wachsende Strukturen in Ämtern, Stäben und im Ministerium und das kann die Attraktivität der Bundeswehr nicht steigern. Gebraucht werden vornehmlich physisch und psychisch uneingeschränkt einsetzbare, intelligente und leistungswillige junge Soldatinnen und Soldaten für die Kampftruppe. Und Frau Högl schreibt dazu: „Der Personalmangel der Bundeswehr ist inzwischen dramatisch. Ende 2020 waren mehr als 20.000 militärische Dienstposten in den höheren Laufbahnen unbesetzt, jede fünfte Kraft fehlte, und die Pandemie hat diese Entwicklung noch verschärft. Im vergangenen Jahr wurden coronabedingt 19 Prozent weniger Frauen und Männer eingestellt als im Vorjahr. Um die internen Ziele zumindest halbwegs einhalten zu können, versuchte die Truppe, bereits aktive Soldaten länger zu halten, was wiederum zur Folge hat, dass die Bundeswehr immer älter wird.“

Außerdem fehlen Spezialisten: Beim Heer sind beim luftfahrttechnischen Personal die Dienstposten für Offiziere nur zu 60 Prozent besetzt. Bei den Spezialpionieren und in der ABC-Abwehrtruppe fehlt etwa die Hälfte der Unteroffiziere. Bei der Marine ist die Lage ähnlich, viele U-Boote und Korvetten können nicht zu Übungen auslaufen, weil vor allem technische Fachkräfte fehlen. Und beim Sanitätsdienst fehlen vor allem Fachärzte, z.B. zwölf von 28 Neurochirurgen und 121 von 499 Sanitätsoffizieren in der Rettungs- und Notfallmedizin. Und zur Lage der Luftwaffe schreibt Högl:

„Besonders schlimm aber ist der Personalmangel in der Luftwaffe. Von den 220 Dienstposten für Jetpiloten sind nur 106, also weniger als die Hälfte, besetzt. Bei Hubschrauberpiloten sieht es nicht viel besser aus. Dort fehlen 48 Prozent des Personals.“

Und geradezu dramatisch ist wohl die Lage in den Zentren für Cyberoperationen und Cybersicherheit. Dort fehlen die IT-Experten, und es gibt keine Aussicht auf Besserung, weil hier mit der Fähigkeit zur Cyberverteidigung und Wirkung durch Computeroperationen eine Kernfähigkeit des Organisationsbereiches betroffen ist.

Da sich diese, auch an besonders herausragenden Beispielen aufgezeigte, schlimme Personalsituation aufgrund der demographischen Entwicklung und wegen des Fachkräftemangels nicht schnell verbessern lässt, wird es der Bundeswehr wohl nicht gelingen, bis 2031 die Streitkräfte für die Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien wieder einsatzfähig zu machen.

Diese Misere hat Deutschland selbst verursacht. Denn die naiv-pazifistischen deutschen Politiker sahen sich nach Ende des Kalten Krieges „ausschließlich von Freunden umgeben“ und glaubten, die deutschen Streitkräfte nicht mehr in der von der NATO für Landes- und Bündnisverteidigung gem. Art 5 des NATO-Vertrages vorgesehenen Stärke und Einsatzbereitschaft halten zu müssen. Die Politiker ergötzten sich geradezu am Einfahren der sogenannten „Friedensdividende“. Die Bundeswehr wurde durch mehrere, wenig erfolgreiche Umstrukturierungen und Reorganisationen gejagt, stark verkleinert, auf Auslandseinsätze ausgerichtet, ohne Konzept der Wehrpflichtigen beraubt und zum ”Sanierungsfall” kaputtgespart. Die Bundesrepublik Deutschland erfüllte die vereinbarten NATO-Verpflichtungen im Hinblick auf Verteidigungsinvestitionen über lange Zeit nicht und entwickelte sich zum wenig vertrauenswürdigen sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer mit außenpolitisch stark eingeschränkter Bedeutung. Und die Soldaten empfanden nicht nur die Geringschätzung durch die Mehrheit der Bevölkerung als wenig attraktiv und demotivierend, sondern auch die Tatsache, dass sie durch Personal- und Materialmangel an bestmöglichem Dienst für Deutschland gehindert wurden. Dabei geht es heute nicht mehr nur um „kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“, heute geht es für die Soldaten der Bundeswehr um „kämpfen müssen“ und da sollte man von seinem Land, dem man dient, gute Rahmenbedingungen für den Erfolg und von der Gesellschaft, deren Recht und Freiheit man bereit ist zu verteidigen, Rückhalt und Wertschätzung erwarten können. Welche intelligenten, physisch und psychisch leistungsfähigen Staatsbürger*innen wollen als Teil eines „Sanierungsfalles“ einem Land dienen, das so mit seinen Soldaten umgeht? Dieser Umgang erzeugt Vertrauensverlust, Unmut, Frust und Politikerverdrossenheit und auch dadurch den Mangel an qualitativ gut geeignetem Nachwuchs für die Parlamentsarmee.

Und die Misere setzt sich fort. Deutschland hat zwar die Bedeutung der „Zeitenwende“ erkannt und ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Beschaffung der für die Einsatzbereitschaft erforderlichen Ausrüstung und Gefechtsfahrzeuge, aber es fehlt auch an Munition im Ausmaß von mehr als 20 Milliarden Euro – und die Munitionsbeschaffung ist durch das Sondervermögen nicht abgedeckt. Und Deutschland erfüllt auf der Grundlage der Finanzplanung 2023 erneut die NATO-Vereinbarungen hinsichtlich der jährlichen Verteidigungsinvestitionen in Höhe von 2 Prozent am BIP nicht und wird wohl ein sicherheitspolitischer Gartenzwerg und Trittbrettfahrer bleiben müssen. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten den Eid, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“! Deutschland hat daher die Pflicht, seine Soldaten für eine erfolgreiche Auftrags- und Pflichterfüllung zu befähigen - und wird dieser Pflicht seit Jahren nicht gerecht. Da fällt es auch patriotisch eingestellten Soldaten richtig schwer, „treu zu dienen“ angesichts des fortgesetzten Treuebruchs durch das Heimatland!

Diese Streitkräfte betrachte ich immer noch als „meine Bundeswehr“, muss aber zugeben, dass es mir immer schwerer fällt, diese Haltung zu vertreten, auch weil ich nicht mehr wirklich stolz auf mein Vaterland sein kann. Ich werde meinen Enkeln wohl nicht empfehlen, Soldat oder Soldatin in der Bundeswehr zu werden!

Deutschland muss sich aktiv um qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr bemühen und die Streitkräfte müssen attraktiver werden. Und die Bevölkerung muss ihre Geringschätzung für die Soldaten der Bundeswehr aus staatsbürgerlicher und sicherheitspolitischer Vernunft überwinden – nicht aus Angst vor Putin!

(01.04.2023)

 

https://www.hansheinrichdieter.de/html/naiv-pazifistischesd.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/desolatesdeutschland.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/verantwortungsloserverteidigun.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/sanierungsfallbw-2.html

 

 

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