Hans-Heinrich Dieter

Nationale deutsche Sicherheitsstrategie   (15.05.2023)

 

Deutschland weiß immer noch nicht, was es außen- und sicherheitspolitisch will. Die langjährige Bundeskanzlerin hatte in der Außen- und Sicherheitspolitik die Richtlinienkompetenz, wusste allerdings nicht, was sie außenpolitisch wirklich wollte - außer auf Sicht fahren und dabei sein, möglichst ohne unangenehm aufzufallen. Wie in der Flüchtlingspolitik handelte Kanzlerin Merkel leider auch in anderen Politikfeldern planlos, konzeptionslos und kopflos. Die deutschen SPD-Außenminister der Merkel-Ära agierten deswegen relativ freihändig, knüpften fast ausschließlich nur Gesprächsfäden und erreichten trotz unendlich vieler Reisen nichts Substanzielles. Und da sie sich meist mit phrasenhaftem Diplomatensprech begnügten und außenpolitisch nichts Grundsätzliches von sich gaben, blieben sie unbedeutend. Das ist ein schlimmer Befund für eine europäische Mittelmacht, die sich in Sonntagsreden so viel vornimmt und von der aufgrund ihrer Wirtschaftskraft so viel erwartet wird!

Kanzler Scholz hat nicht umsonst mit der Merkel-Raute Wahlkampf gemacht und tritt nun teilweise in Merkels Fußstapfen. Auch er und seine grünen Koalitionspartner handeln in Teilen planlos, konzeptionslos und kopflos. Die handwerkliche politische Arbeit wird hauptsächlich von Habeck – aber auch von anderen rot/grünen Regierungsverantwortlichen – ideologiegetrieben und stümperhaft geleistet, weil es in der Regel keine tragfähigen Konzepte gibt und darüber hinaus ist die Kommunikation unzureichend, oft unverständlich und wird von der Ampel kakophonisch vorgetragen. Und der zögerliche und zaudernde Kanzler ist führungsschwach, drückt sich meist undeutlich oder nichtssagend aus und wenn er mal staatstragende Reden hält – wie die Zeitenwende-Rede - dann wird er schon nach kurzer Zeit seinen Ankündigungen oder auch Versprechungen im politischen Alltag nicht mehr gerecht und verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit.

Dieser Glaubwürdigkeitsverlust ist nicht nur innenpolitisch feststellbar, sondern ist auch in der EU und in der NATO zu erkennen. Von der größten Wirtschaftsmacht der EU wird mehr Engagement oder sogar die Ãœbernahme der Führungsrolle erwartet. Aber Deutschland tut sich schwer damit, weil wir nach der deutschen Wiedervereinigung zwar formal, aber außen- und sicherheitspolitisch nicht souverän geworden sind. Das naiv-pazifistische Deutschland hat bis heute keine vitalen politischen Interessen definiert und auch keine langfristigen politischen Ziele entschieden, sondern in den Vereinten Nationen, in der NATO und in der EU einfach weiter- und mitgemacht. Ohne politische Grundlage kann man aber keine außen- und sicherheitspolitischen Strategien entwickeln und auch keine strategischen Konzepte erarbeiten. Die Politiker hielten eher Sonntagsreden über die gestiegene sicherheitspolitische Bedeutung Deutschlands in Europa und der Welt oder sprachen vollmundig von der Notwendigkeit vernetzter Sicherheitspolitik, ohne dass die gesamtverantwortliche Kanzlerin und die zuständigen und federführenden Außenminister dafür die politischen Grundlagen erarbeiten ließen. Dazu kommt, dass der liberal-demokratische Westen – allen voran Deutschland - Russland unter der Führung des aggressiven Putin auch nach der Annexion der Krim 2014 weiter falsch eingeschätzt und im Glauben an „Wandel durch Handel“ die Streitkräfte teilweise „kaputtgespart“ hat. Und so ist Deutschland ein „außenpolitischer Zwerg“ und ein „sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer“ geblieben – und daran hat sich auch in der Ampel-Verantwortung bisher leider nichts geändert.

Beispielhaft für das außen- und sicherheitspolitische Missmanagement der Ampel ist der politische Umgang mit der aufstrebenden Supermacht China. Kanzlerin Merkel hat Deutschland nicht nur in eine hochgefährliche Energie-Abhängigkeit von Russland getrieben, sondern auch in eine zu weitgehende wirtschaftliche Abhängigkeit von der kommunistischen Diktatur China. Die USA und die EU betreiben nun ein „Decoupling“ oder ein „De-Risking“ von China und auch Deutschland versucht, die Abhängigkeit vom autokratischen Putinfreund Xi zu reduzieren – ohne zu große wirtschaftliche Nachteile erleiden zu müssen. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel bereits eine China-Strategie angekündigt. Doch die lässt natürlich wieder einmal auf sich warten. Die Opposition drängt auf die Vorlage während in der Ampel-Koalition ein Streit um die künftige China-Politik entbrannt ist. Für die Grünen ist China Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale zugleich. Der konservative SPD-Flügel warnt die Grünen vor einer „Anti-China“-Strategie. Der Fraktionschef der FDP, Christian Dürr, warb gegenüber China für eine „Allianz der Demokratien mit Ländern wie Japan, den USA und Kanada, die Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte über die Grenzen der EU hinaus entschlossen vertreten“. Und so kommt es, dass Deutschland einmal mehr nicht weiß, was es will. Und so reisen Kanzler und Außenministerin ohne klare und abgestimmte Vorstellungen nach China und verbreiten unterschiedliche Botschaften. Scholz bleibt „Cosco“-getrieben vage und verbindlich, während die feministische und moralisierende Außenpolitikerin Baerbock im Hinblick auf die Taiwan-Frage, den Ukrainekrieg und die Menschenrechtsverletzungen Chinas so klare Worte findet, dass sich ihr chinesischer Amtskollege Gang „Lehrmeister aus dem Westen“ verbittet. Erfolgreiche Politik muss anders gestaltet werden!

Um ein planloses, konzeptionsloses und gelegentlich auch kopfloses „Weiter so“ zu beenden und langfristig erfolgreiche Politik als vertrauenswürdiges EU-Mitglied und als verlässlicher NATO-Partner machen zu können, muss Deutschland die politische Pubertät beenden und seine vitalen politischen Interessen definieren sowie auch seine langfristigen politischen Ziele für alle Ressorts - mit Schwerpunkt aber für die vernetzte Außen- und Sicherheitspolitik - entscheiden und festschreiben. Auf dieser Grundlage muss eine Nationale Deutsche Sicherheitsstrategie in der Verantwortung des Bundeskanzlers und federführend durch das Auswärtige Amt entwickelt, im Parlament diskutiert und entschieden werden.

Diese Nationale Sicherheitsstrategie ist dann Grundlage zur Entwicklung von Ressort-Strategien zur Lösung langfristiger politischer Problemstellungen und ermöglicht begründete Entscheidungen von großer politischer Tragweite. So kann die politische Handlungsfähigkeit Deutschlands erheblich gesteigert werden.

Und Deutschland wird sich in Zukunft aufgrund der „Zeitenwende“ sowie der Rahmenbedingungen eines „Neuen Kalten Krieges“ in Europa verstärkt um die innere und äußere Sicherheit des Landes und seiner Verbündeten kümmern müssen und krisenfester werden. Dafür wird ein Expertenrat gebraucht, der alle sicherheitsrelevanten Informationen „24/7“ bündelt sowie auswertet und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für die politischen Verantwortungsträger erarbeitet. Das ermöglicht vorausschauendes Krisenmanagement und schnelle Krisenreaktionen. In den USA zum Beispiel gibt es das White House National Security Council und Großbritannien hat ein UK National Security Council Cabinet Office.

Und Deutschland kann sich seit Jahren nicht für einen Nationalen Sicherheitsrat entscheiden. Die Ampelregierung wollte eigentlich ein solches Gremium schaffen und arbeitete daran. Mit der Vorlage eines ersten Entwurfs einer nationalen Sicherheitsstrategie wurde das Vorhaben bekannt. Die CDU/CSU haben das begrüßt und die Liberalen und der Seeheimer Kreis der SPD befürworteten das Vorhaben. Doch Anfang 2023 verschwand das Vorhaben in einer Schublade, weil sich Scholz und Baerbock nicht über die Zuständigkeiten einigen konnten. Ein unsinniges Kompetenzgerangel zum Schaden für die Sicherheit und Handlungsfähigkeit Deutschlands!

Dabei könnte mit einem überparteilich und mit Experten verschiedener Ressorts besetzten Nationalen Sicherheitsrat eifersüchtiges Ressortdenken der zuständigen Bundesministerien und auch Doppelstrukturen mit diversen operativen Lagezentren und dem „Sicherheitskabinett“ vermieden werden. Darüber hinaus würde sich die gelegentlich fragwürdige Qualität der politischen Entscheidungen einiger Regierungsverantwortlicher steigern lassen.

Wir brauchen ideologiefreie Realpolitik auf der Grundlage von Strategien, langfristiger Planung und fundierter Sachkenntnis, um die multiplen Krisen, mit denen wir derzeit und wohl auch in Zukunft konfrontiert sind, zeitgerecht und erfolgreich bewältigen zu können. Ein Nationaler Sicherheitsrat könnte die politischen Verantwortungsträger diesbezüglich zeitgerecht, umfassend und gut beraten!

(15.05.2023)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/strategischerkompasseu.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/neuenato-strategie.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/dtsicherheitsstrategie.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte