Hans-Heinrich Dieter

Entfremdung Frankreich - Deutschland   (05.12.2022)

 

In einer vielfältigen Krisenlage ist das Verhältnis von Deutschland und Frankreich stark beschädigt. Die Entfremdung auch im Rahmen der EU und in Sachfragen wird nur mühsam und kraftaufwändig zu überwinden sein. Für die Europäische Union kommt diese Verstimmung in unserer krisengeschüttelten Zeit sehr ungelegen. Denn gerade wo es im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg auf Solidarität und gemeinsames Handeln ankommt, ist diese EU mehrfach gespalten in den wirtschaftsstärkeren Norden und den weniger leistungsstarken hochverschuldeten Süden mit gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Die EU hat eine Euro-Zone und eine Reihe Länder mit eigener Währung. Die Flüchtlings- und Migrations-Krise hat die Mitgliedsländer nachhaltig auseinanderdividiert und den Schengen-Raum brüchig werden lassen. Und die effektive Sicherung der EU-Außengrenzen ist längst nicht gewährleistet. Die EU hat nationalistisch orientierte und zunehmend autokratisch agierende Mitglieder wie Ungarn und das zunehmend deutschlandfeindliche Polen und ist mehrfach erpressbar. Darüber hinaus sind die Mitgliedsländer hinsichtlich des Verhältnisses zum kriegsverbrecherischen Russland teilweise unterschiedlicher Auffassung und auch bei der Bewältigung der Energiekrise gehen die Meinungen auseinander. Und in dieser Lage hat der „deutsch-französische EU-Motor“ eine Fehlzündung nach der anderen. Die EU sollte sich dieses Problems annehmen – doch das wird keine leichte Aufgabe sein, auch weil es die EU mit dem Narzisst Macron zu tun hat!

Der selbstverliebte Macron spielt sich gerne in seiner Rolle als Präsident der Grande Nation als „Führer Europas“ auf. Dabei hält er visionäre Reden, die sich bei näherem Hinsehen als hochstaplerische Illusionen erweisen. Macron redete auch über eine europäische strategische Autonomie und vergisst dabei, dass man dafür eine handlungsfähige EU mit der Befähigung zur globalen Machtausübung braucht. Die Europäische Union, und damit auch Europa, ist aber in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand - und Frankreich ist mitschuldig an dieser Lage. Macron geht es auch immer wieder um eine gesteigerte Unabhängigkeit von den USA und er hat in diesem Zusammenhang die NATO schon für „hirntot“ erklärt. Als einziges EU-Mitglied verfügt Frankreich aber nur über vergleichsweise marginale Nuklearfähigkeiten, die den nuklearen US-Schutzschirm über Europa in keiner Weise ersetzen können und mit nur einem Flugzeugträger nur über stark eingeschränkte Interventionsfähigkeiten. Der Wille der Grande Nation zur Intervention - hauptsächlich in den ehemaligen französischen Kolonien - ist grundsätzlich vorhanden, die Fähigkeiten der Grande Armée sind aber auch hier sehr begrenzt, wie das französische Versagen bei der Terrorismusbekämpfung in Mali dokumentiert. Und im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffs-Krieg Putins hat Frankreich die Ukraine mit Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe vergleichsweise sehr geringfügig unterstützt. Auch in diesem Konflikt zeigt sich Macron eher als „Maulheld“!

Im Zusammenwirken mit Deutschland möchte Frankreich ganz offensichtlich die Führung eines ungleichen Duos übernehmen. Es missfällt den nationalistischen französischen Eliten wohl, dass Deutschland allein aufgrund seiner ökonomischen Bedeutung nicht mehr wie in den 60er und 70er Jahren das politische Anhängsel Frankreichs ist und in bestimmten Konstellationen immer häufiger eigene ökonomische Interessen formuliert. Und im Hinblick auf ökonomische Interessen verhält sich Frankreich meist egoistisch, wie die französisch-deutsche Airbus-Zusammenarbeit und Zukunftsprojekte wie das Future Combat Air System (FCAS) zeigen. Das ewige Gezerre zwischen deutschen und französischen Rüstungsherstellern hat deutlich gemacht, dass Frankreich Entwicklungskosten gern auf mehreren Schultern verteilen möchte, am Ende aber doch nur handfeste industrielle Eigen-Interessen zählen. Vor diesem Hintergrund versteht man, dass der zunehmend autokratisch agierende Staatspräsident Macron die Absicht der Bundesregierung, zusammen mit Israel einen Luftabwehrschirm in Europa errichten zu wollen, als „uneuropäisch“ geißelt. Frankreich nimmt Deutschland erkennbar übel, dass sich die Teutonen nicht mehr so bereitwillig dem Grundsatz „La France première!“ ergeben wollen. Und Frankreich nimmt Deutschland übel, dass wir uns einer Fiskalunion widersetzen und eine Vergemeinschaftung der Schulden der Mitgliedsländer nicht mittragen. Frankreich hätte die Konjunkturlokomotive Deutschland gerne als langfristige „Melkkuh“ verpflichtet.

Präsident Macron war 2016 angetreten mit dem Versprechen, Frankreich zu reformieren und die Finanzen endlich zu sanieren. Doch sein Elan wurde schnell gestoppt. Erst kam die Gelbwestenkrise, dann die Corona-Pandemie, schließlich der Ukraine-Krieg.

Während der Pandemie wollte Macron Frankreichs Wirtschaft „mit allen Mitteln“ retten. Paris hat schon vor einem Jahr begonnen, die steigenden Strompreise zu deckeln. Das ohnehin schon sehr hohe Staatsdefizit wird deshalb auch im nächsten Jahr wachsen. Erst in dieser Woche hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Paris erneut gerügt. Noch sind die Schuldenregeln in der Euro-Zone durch eine Notfallklausel ausgesetzt, weshalb Frankreich seinen Schuldenberg vorerst weiter vor sich herschieben kann. Mit einer Schuldenquote von 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung plädiert es in Brüssel schon lange für die Neudefinition der Fiskalregeln.

Macron vergisst bei seinem selbstherrlichen Verhalten immer wieder, dass er eigentlich inzwischen eine „lame duck“ ist, denn er hat mit seiner Partei die Mehrheit in der Nationalversammlung verloren und ist nur noch begrenzt handlungsfähig. Macron will in Europa ein Anführer sein und ist in Frankreich so schwach wie nie. Da sollte er eigentlich versuchen im Gespräch zu bleiben und nicht eigenhändig die deutsch-französischen Regierungskonsultationen ins nächste Jahr vertagen. Weil Deutschland verstanden hat, dass sich Europa in Zeiten des Krieges eine deutsch-französische Verstimmung nicht leisten kann, ist die Ampel-Koalition um Versöhnung bemüht. Erste Erfolge gibt es bei der Reaktion auf Bidens „Inflation Reduction Act“, der die europäische Wirtschaft stark benachteiligt. Macron hat bei seinem Staatsbesuch in den USA mit kleinen Erfolgen Nachbesserungen des Gesetzes gefordert. Scholz, der einen Handelskrieg mit den USA um jeden Preis vermeiden will, hat sich angesichts von Wettbewerbsverzerrungen und einer drohenden Abwanderung deutscher industrieller Produktion offensichtlich auf die französische Seite geschlagen.

Und in dieser schwierigen Lage hat Macron bei seinem Staatsbesuch in den USA für Verhandlungen mit Russland und eine neue europäische Sicherheitsarchitektur plädiert: Er sagte, Europa müsse eine neue Sicherheitsarchitektur vorbereiten. Und „Einer der wesentlichen Punkte, auf die wir eingehen müssen, wie Präsident Putin immer gesagt hat, ist die Furcht, dass die NATO an die Türen Russlands heranrückt, und die Stationierung von Waffen, die Russland bedrohen könnten. Dieses Thema wird Teil der Themen für einen Frieden sein. Deswegen müssen wir ausarbeiten, wozu wir bereit sind, wie wir unsere Partner und Mitgliedstaaten schützen, und wie wir Russland Garantien geben, sobald es an den Verhandlungstisch zurückkehrt.“

Mit solchen Aussagen zugunsten des Neo-Stalinisten und Kriegsverbrechers Putin erweckt der Möchtegernführer Europas, der die NATO schon einmal für „hirntot“ erklärt hat, den Eindruck eigener geistiger Beschränkung. Macron hat offensichtlich vergessen, dass es mit der Charta von Paris und der OSZE eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur gibt, die allen Staaten Europas, auch Russland, umfangreiche Sicherheitsgarantien zusagt. Macron hat die sicherheitspolitische Entwicklung in Europa nicht verstanden oder vergessen, dass die NATO zu keinem Zeitpunkt Russland bedroht, sondern sogar mit der NATO-Russland-Grundakte einen gemeinsamen Rahmen für Sicherheitsfragen geschaffen hat. Macron hat nicht realisiert, dass die europäische Sicherheit vor dem aggressiven und gegen das in Teilen kriegsverbrecherische Russland gewährleistet werden muss. Er spaltet mit diesem europäisch nicht abgestimmten Verhalten die EU und vertieft die Gräben innerhalb der EU, die eigentlich geschlossen werden sollten.

Macron wird mit Putin-Pudeligkeit nicht zur Beendigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges beitragen – im Gegenteil, denn er würde Putin in der Ansicht bestärken, dass er Recht hat! Frieden in Europa wird es nur geben, wenn die Verhandlungen durch die UNO, unterstützt durch die EU, geführt und als Ergebnis die Souveränität und Sicherheit der Ukraine garantiert werden. Die sicheren Rahmenbedingungen muss die NATO gewährleisten.

Deswegen wird nur eine EU-NATO-Kooperation - zusammen mit den USA – mit werteorientierter, konsequenter, multilateral ausgerichteter und gemeinsamer Politik Erfolg haben und sich international gestaltend auswirken können. Und für eine erfolgreiche EU-NATO-Kooperation muss sich die EU endlich strukturell reformieren und außenpolitisch handlungsfähig machen. Eine reformierte EU wird neben sich keinen selbsternannten „Führer Europas“ – weder Macron noch Scholz – brauchen, sondern solidarische Mitgliedstaaten, die unsere Werte teilen und gemeinsam in Frieden und Freiheit leben wollen!

(05.12.2022)

 

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