Hans-Heinrich Dieter

Macron und Europa   (26.04.2022)

 

Die Europäische Union atmet auf – Macron hat die Stichwahl gegen Le Pen gewonnen, wenn auch weniger überzeugend als 2017. Denn für viele Franzosen war es offensichtlich eine Wahl zwischen „Pest und Cholera“. Daher hat eine große Zahl der Wähler keine Stimme abgegeben. Macron hat in seiner ersten Amtszeit die Politikerverdrossenheit gesteigert und zur nachhaltigen Spaltung der französischen Gesellschaft beigetragen. Wie die vielen Proteste – wie die der Gelbwesten - in Frankreich zeigen, ist Macron ein Präsident enttäuschter Hoffnungen und offensichtlich nur das „kleinere Ãœbel“. Und die Tatsache, dass eine Rechtsextreme fast Präsidentin Frankreichs geworden wäre, muss insgesamt zu denken geben!

Vor Macron liegen schwer zu bewältigende innenpolitische Aufgaben und in Kürze die Parlamentswahlen, die ihm einen Linksaußen-Ministerpräsidenten bescheren könnten. Da muss man sich fragen, ob Präsident Macron, der durchaus einen EU-Wahlkampf geführt hat, seine europäischen Visionen – teilweise Illusionen – voranbringen kann.

Macron hat im Januar 2022 in seiner etwas aufgeblasenen Art den Abgeordneten des EU-Parlamentes mit feierlicher Stimme verkündet, dass er nach einer „neuen Sicherheits- und Stabilitätsordnung“ auf dem europäischen Kontinent strebe, Europa sei die „Macht des Ausgleichs“ und damit die „Macht der Zukunft“. EU-Präsidentin von der Leyen ist da etwas realistischer, wenn sie sagt: „Europa muss die Sprache der Macht lernen.“ Sie verschweigt aber dabei, dass Europa diesbezüglich erst am Anfang des Stimmbruchs steht! Vielleicht ist es diesbezüglich ganz gut, wenn Macron in nächster Zeit innenpolitisch stark gebunden ist und die französische Ratspräsidentschaft bald endet.

Der völkerrechtswidrige russische Angriff hat die EU aufgeweckt und sehr deutlich gemacht, dass die Voraussetzung für eine „Weltmachtfähigkeit Europas“ wie sie Macron offenbar vorschwebt, eine glaubhafte Wehrfähigkeit und abschreckende Nukleare-Kapazitäten sind – und da zeigt sich die EU eher impotent! Denn während Putin über die 100.000 russischen Soldaten, die die Ukraine angegriffen haben, hinaus eine weitere Million aktiver Soldaten in der Hinterhand hat, besteht das wirklich einsetzbare militärische NATO-Personal in Europa insgesamt nur aus 100.000 Soldatinnen und Soldaten. Und die militärische Kompetenz der EU ist auf kleinere Kriseneinsätze im UN-Auftrag beschränkt. Da muss man den Realitäten ins Auge schauen und auch in den „Sonntagsreden“ möglichst bei der Wahrheit bleiben!

Die EU will besser werden und arbeitet deswegen an einer neuen Sicherheitsstrategie. Die EU will mit dieser Sicherheitsstrategie mittelfristig ihre Militärpolitik besser koordinieren, innerhalb der NATO, aber durchaus auch unabhängig vom größten NATO-Mitglied, den USA. Dieses Thema wird vom hochstaplerischen Illusionisten Macron schon seit November 2020 mit Verve gepuscht und von anderen EU-Illusionisten gestützt.

Dabei macht der aggressive Putin im Rahmen des Ukraine-Krieges doch sehr deutlich, wer welche Kompetenzen in die Abschreckung der Kriegsverbrecher, in die Krisenbewältigung und möglichst auch in eine Deeskalation einbringen kann. In Zeiten eines nuklearen Gleichgewichtes zwischen den Kriegsverbrechern und den westlichen Demokratien kann strategische Abschreckung nur durch die USA geleistet werden – Frankreich wird von Putin auch hinsichtlich seiner minimalen nuklearen Fähigkeiten nicht ernst genommen. Die nukleare Abschreckung durch die USA kann auf „operativer“ Ebene nur durch die NATO geleistet werden, indem sie NATO-Truppen in gefährdeten Mitgliedstaaten verstärkt stationiert, Verteidigungssysteme in Stellung bringt und die See- und Luftstreitkräfte einsatzbereit verfügbar macht. Das alles muss gegenüber einem möglichen Aggressor in solcher Stärke realisiert werden, dass er der NATO glaubt, wenn sie klar zum Ausdruck bringt, dass bei einem Angriff auf einen Mitgliedstaat alle 30 NATO-Mitglieder angegriffen sind und jeden Meter verteidigen werden. Die EU kann nur durch politische Maßnahmen zur Krisenbewältigung und ggf. zur Deeskalation beitragen – wird aber von Russland noch nicht einmal als Verhandlungspartner ernst genommen.

In der Ukraine-Krise zeigt sich die EU geschlossen wie noch nie und erscheint deswegen handlungsfähig wie selten zuvor. Und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gibt es in Brüssel eine klare Arbeitsteilung. Die NATO kümmert sich zusammen mit den USA um die Abschreckung und um die Freiheit sowie Sicherheit ihrer Bündnismitglieder – Bündnisverteidigung ist also derzeit ausschließliche Aufgabe der NATO - während auch die EU der Ukraine Waffen liefert und Russland mit Sanktionen unter Druck setzt sowie humanitäre Hilfe für Vertriebene organisiert – mehr geht auch nicht, weil ja die militärische Kompetenz der EU auf kleinere Kriseneinsätze im UN-Auftrag beschränkt ist.

Diese Zuständigkeiten sind über die Jahre gewachsen und erweisen sich in der Russlandkrise bisher als erfolgreich, obwohl auch deutlich wird, dass die westliche Welt in Teilen – hauptsächlich in Deutschland – nur eingeschränkt wehrfähig ist und Defizite behoben werden müssen. Kurz, derzeit gibt es keine bessere Organisation für die Bündnisverteidigung der westlichen Welt als die NATO!

Das sollten wir alle einfach dankbar zur Kenntnis nehmen, alle unsere NATO-Verpflichtungen baldmöglichst erfüllen, die NATO-Streitkräfte modernisieren sowie kompatibler und zukunftsfähig machen und darüber hinaus neue Herausforderungen wie Cyber-Abwehr und Kontrolle des Weltraums annehmen. Das erfordert zukünftig hohe Kraftanstrengungen der westlichen Welt. Wir brauchen keine Doppelstrukturen und wir müssen uns mit Vernunft den politischen Realitäten stellen. Und wir sollten Macron und andere stoppen, wenn sie versuchen, aus dem bewährten System auszubrechen.

Strategische Sicherheit können auf lange Zeit nur die USA mit ihrem Nuklearen Schutzschirm für Europa gewährleisten. Die Bündnisverteidigung der westlichen Demokratien wird auf lange Zeit nur durch eine Einsatzfähigkeit der Streitkräfte aller 30 Mitgliedstaaten geleistet werden können, dazu müssen alle Kraftanstrengungen gebündelt werden. Da die Lage der Europäischen Union nüchtern, sachlich begründet und realitätspolitisch orientiert leider als desolat bezeichnet werden muss, sollten alle Anstrengungen einer grundlegenden Reform der EU zur Erlangung einer konkreten außenpolitischen Handlungsfähigkeit gelten. Über einen Strategischen Kompass der EU kann sehr viel später nachgedacht werden, wenn die EU außenpolitisch wirklich handlungsfähig geworden ist.

Statt Illusionen nachzuhängen, sollte die EU zusammen mit der NATO in der „Zeitenwende“ die Ukraine so unterstützen, dass ein Sieg Putins verhindert wird und die militärische Lage sich so entwickelt, dass es zu einem Waffenstillstand kommt und Friedensverhandlungen beginnen können, die für beide Seiten zu annehmbaren Kompromissen führen. Mehr wird nicht gehen!

Die EU muss jetzt schon mit der NATO planen, wie nach einem Waffenstillstand mit den Kriegsparteien zu verfahren ist. Die Ukraine muss unter Führung der UNO neu aufgebaut werden. Im Falle Russlands muss sich die geeinte westliche Welt auf einen Umgang mit Russland auf der Grundlage einer Konfrontation (Kalter Krieg), einer Koexistenz vertraglich abgesicherter Gegnerschaft oder - nach geraumer Zeit – auf der Grundlage einer Kooperation in global relevanten Politikfeldern, wie z.B. in der Klima-Krise, einstellen. Für eine solche Phase eingeschränkter zukünftiger globaler Zusammenarbeit müssen die UNO und die EU reformiert werden, um handlungsfähig und wirksam zu sein. Für diese neue Welt mit brüchigen Fugen müssen Strategien entwickelt werden, um gemeinsam am gleichen politischen Strang zu ziehen. Geführt wird in dieser neuen Welt außen- und klimapolitisch von der UNO, außenpolitisch von der EU und sicherheitspolitisch von der NATO. Es darf keine unabgestimmten Einzelaktionen der jeweiligen Mitgliedstaaten geben, kein Mitgliedstaat hat ein Veto-Recht, es gilt das demokratische Mehrheitsprinzip! Nur gemeinsam sind wir als werteorientierte Staatengemeinschaft stark!

Was wir in diesen schwierigen Zeiten nicht brauchen sind kostspielige Doppelstrukturen, denn alle für die Wehrhaftigkeit der demokratischen Welt verfügbaren finanziellen Mittel werden für die Modernisierung und die Wiederherstellung der Kalt-Start-Einsatzfähigkeit der Streitkräfte der NATO-Mitgliedstaaten gebraucht.

Die EU und die NATO müssen eine außen- und sicherheitspolitische Interessengemeinschaft bilden!

(26.04.2022)

 

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https://www.hansheinrichdieter.de/html/lagedereu.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/euinderkrise-2.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-illusionen.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-verteidigungsunion1.html

 

 

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