Hans-Heinrich Dieter

Minister der kleinen Schritte    (11.04.2024)

 

Putins verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Lage in Europa dramatisch verändert. Das Bedrohungsgefühl der östlichen NATO-Partner ist durch den Angriff Russlands auf die Ukraine deutlich gewachsen. Diese Lage nimmt die NATO sehr ernst.

Schon nach der Annexion der Krim durch Russland hat die NATO reagiert. Vier Battlegroups wurden in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert. Diese multinationalen Truppen sollten die Ostflanke der Alliierten sichern und die konventionelle Abschreckung gegenüber Russland stärken. Die Battlegroup in Litauen ist unter deutschem Kommando. Insgesamt ist die Größe der vier Battlegroups jedoch mit knapp 5.000 Soldaten überschaubar. Damit sollte an Russland zum einen Abwehrbereitschaft signalisiert werden, aber auch, dass keine Bedrohung in Form von Angriffskapazitäten der NATO bestehe.

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 änderte sich die sicherheitspolitische Situation grundlegend. Das NATO-Bündnis verurteilte den Angriff Russlands und unterstützte die verhängten Sanktionen gegenüber Russland. Die NATO löste ihre Verteidigungspläne aus und erhöhte den Schutz der Ostflanke massiv. So wurden Teile der NATO Response Force (NRF) verlegt. Diese Eingreiftruppe besteht aus Boden- und Luftstreitkräften, Marineeinheiten sowie Spezialeinheiten mit 50.000 Soldatinnen und Soldaten, von denen Deutschland 13.700 stellt. Die NRF dient dazu, besonders schnell bei Bedarf zur Abwehr akuter Bedrohung einsatzbereit zu sein. Bisher stehen rund 40.000 Soldaten von Estland im Norden bis nach Rumänien am Schwarzen Meer auf Alliiertengebieten in Bereitschaft.

Auf dem NATO-Gipfel in Madrid am 29. Juni 2022 beschlossen die damals 30 Mitgliederstaaten dann eine deutliche Verstärkung der Ostflanke. An der Ostflanke sollen demnach die existierenden multinationalen Gefechtsverbände auf Brigade-Niveau ausgebaut werden. Derzeit umfasst beispielsweise der Verband in Litauen 1.600 Soldaten. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3.000 bis 5.000 Soldaten.

Die im Baltikum bereitgehaltenen NATO-Truppen müssen natürlich deutlich verstärkt werden, um eventuelle russische Angriffe abwehren zu können Denn den baltischen Staaten fehlt es insgesamt an strategischer Tiefe, und im Falle eines Angriffs könnten russische Truppen sehr schnell bis zur Ostsee durchmarschieren und die Länder einnehmen. Und Großbritannien sowie Kanada, die für Estland und Lettland verantwortlich sind, haben ebenfalls keine Truppen in Brigadestärke vor Ort und müssten deutlich verstärkt werden. Diese Verstärkung über große Entfernungen kostet Zeit und der erforderliche logistische Aufwand ist gewaltig. Da ist es verständlich, dass über die Vorstationierung von Gefechtsfahrzeugen und die Bereithaltung von hinreichend Munition intensiv nachgedacht und dass solche Verstärkungsoperationen auch geübt werden. Dafür werden Kräfte wie die NATO Very High Readiness Task Force, (VJTF), seit dem 1. Januar 2023 die deutsche Panzergrenadierbrigade 37, bereitgehalten. Und dem dient auch die derzeitige NATO-Großübung „Griffin Storm“ in Litauen, die der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der NATO-Generalsekretär Stoltenberg und 30 Botschafter des Nordatlantikrats, des wichtigsten Entscheidungsgremiums der transatlantischen Militärallianz, besuchten.

Beim NATO-Gipfel in Litauen haben Deutschland und Litauen in einem Abkommen vereinbart, dass die Bundeswehr eine 5.000 Soldaten starke Kampftruppe dauerhaft in Litauen stationieren wird. Die volle Einsatzbereitschaft soll 2027 erreicht sein, bis dahin sollten die Bedingungen dafür durch die litauische Regierung geschaffen sein – auch die Infrastruktur einer Garnisonsstadt für die Familien der Soldaten und Soldatinnen. Damit wird Litauen zum größten Truppenstandort der Bundeswehr im Ausland. Deutschland betont nun die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den baltischen Staaten. Die Stationierung in Litauen wird als wichtiges Symbol an der NATO-Ostflanke betrachtet. Die Aufstellung einer kriegstüchtigen Brigade ist allerdings für die „kaputtgesparte Bundeswehr“ ein enormer Kraftakt. Die Absprachen sind aber getroffen und ein Vorkommando wurde am 08.04.2024 nach Litauen verlegt.

Ich finde es richtig und wichtig, dass auch Deutschland sich in der NATO für die Abschreckung und auch gegebenenfalls für die Verteidigung des Baltikums engagiert, bin aber der Meinung, dass einmal mehr „Führung“, „Unterstützung“ und militärische Hilfe versprochen werden, – ohne die der NATO zugesagte Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte für die Landes- und Bündnisverteidigung bis 2031 zu gefährden.

Deutschland hat bisher nur eine einsatzfähige mechanisierte Brigade, bis 2025 haben wir die Verfügbarkeit einer einsatzbereiten gepanzerten Division mit drei Brigaden versprochen – und werden es mit den in Aussicht gestellten Verteidigungshaushalten nicht schaffen. Die Bundeswehr hat erhebliche Personalprobleme und es ist fraglich, ob man genug Soldaten verfügbar hat, die bereit sind, dauerhaft in Litauen stationiert zu werden. Darüber hinaus gibt es vertragliche Vereinbarungen, dass NATO-Truppen nicht dauerhaft in an Russland grenzenden Staaten stationiert werden sollen, deswegen hat man ja bisher das Rotationsprinzip angewandt. Und mit dauerhafter Stationierung würde man den „Einkreisungs-Narrativen“ Putins Futter geben.

Die deutschen Landstreitkräfte verfügen aktuell über drei Divisionen mit jeweils rund 20.000 Soldaten. Nur die kleinere Division Schnelle Kräfte genügt in weiten Teilen dem neuen Anspruch. Die zwei größeren mechanisierten Divisionen sollen über kriegstüchtige schwere und mittlere Kräfte mit ihren Ketten- und Radpanzern, der Artillerie und vielfältigen Unterstützungskräften verfügen. Bundeskanzler Scholz hat der NATO zugesagt, diese Großverbände ab 2025 und 2027 voll einsatzfähig zur Verfügung zu stellen. Doch davon ist man noch weit entfernt. Es fehlt an Waffensystemen, digitalisierten Führungsmitteln, Personal und teilweise sogar an kriegstauglichen Organisationsstrukturen. Es gilt weiterhin der Spruch des Inspekteurs des Heeres, Mais, „das Heer ist blank“!

Beim Abschied des Vorkommandos sagte Mais: „Die Brigade wird eine sehr hohe Priorität haben. Sie wird zu 100 Prozent ausgestattet sein müssen. Sie wird mit dem Besten ausgestattet werden, was wir haben. Und die Aufstellung dieser Brigade erhöht das materielle und personelle Soll des Heeres.“

Das Heer hat derzeit noch von allem zu wenig. Über alle Materialkategorien ist das Heer derzeit nur zu etwa 60 Prozent ausgestattet. Wenn ein Großverband als NATO-Reserve oder für eine NATO-Übung bereitgestellt werden soll, dann muss Waffen, Material und teilweise auch Personal aus dem gesamten Heer durch ein „Verfügbarkeitsmanagement“ zusammengestellt werden. Und wenn das Heer derzeit nur über 60 Prozent des benötigten Materials und Geräts verfügt, dann reduziert sich mit der Aufstellung der Litauen-Brigade diese Mangelverwaltung auf nur noch 55 Prozent des Solls. Das hat durchaus dramatische Auswirkungen auf die Ausbildung, das Übungsgeschehen und den Aufwuchs des Heeres zur Kriegstüchtigkeit ab 2025. Darüber hinaus wird die Aufstellung der Litauen-Brigade im Verteidigungshaushalt und in der Mittelfristigen Finanzplanung bisher nicht berücksichtigt!

Als Verteidigungsminister Pistorius beim letzten NATO-Gipfel Ende Juni 2023 in Vilnius vollmundig angekündigt hatte, Deutschland werde schon bald eine Kampfbrigade des Heeres mit etwa 4000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren, wussten weder das eigene Ministerium noch die Bundeswehr oder das Nato-Hauptquartier von den Plänen. Und auch Ende 2023 gab es nicht viel mehr als diese Ankündigung. Doch ein ausgearbeiteter, konkreter Plan für die „Litauen-Brigade“ existiert in der Bundeswehr bisher nicht. Pistorius muss aufpassen, dass er nicht auch zum großspurigen „Ankündigungsminister“ wird, der dann im Ergebnis nur kleine Schritte macht! Deswegen bleibe ich bei meiner Auffassung, dass die NATO das Engagement mit deutlich größeren Rotationstruppenteilen verstärken und die dafür erforderliche Logistik und regelmäßige Übungstätigkeit gewährleisten sollte.

Deutschland ist darüber hinaus eine parlamentarische Demokratie. Die Entscheidung über eine dauerhafte Stationierung deutscher Truppen im Ausland hat der Bundestag zu treffen. Bisher ist noch nicht einmal über eine solche weitreichende „Ankündigung“ diskutiert worden. Solange die „kaputtgesparte“ Bundeswehr nicht saniert ist, sollte sich unsere „Ankündigungs“-Ampel mit großspurigen Versprechungen zurückhalten, sonst verlieren wir noch mehr Vertrauen in der NATO und in der EU!

(11.04.2024)

 

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