Hans-Heinrich Dieter

Schlechter Afghanistan-Deal   (01.04.2020)

 

Die Bundeswehr beteiligt sich an dem Afghanistan-Einsatz seit Ende 2001. Seitdem ist das muslimische Land am Hindukusch ein Fass ohne Boden, in das die westliche Welt und die NATO personell, materiell und finanziell sehr viel investiert und viele Soldaten verloren hat – ohne wirkliche Erfolge zu erzielen.

Nach dem Ende der von der NATO geführten ISAF-Kampfmission im Dezember 2014 ist die Truppenstärke erheblich reduziert und in die Ausbildungsmission „Resolute Support“ umgewandelt worden. Bis zu 1300 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind derzeit am Hindukusch im Einsatz. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die afghanischen Sicherheitskräfte zu beraten und auszubilden. Aufgrund der häufigen Anschläge afghanischer Trainees auch auf ihre Ausbilder wurde der Schutz der Ausbilder durch Force Protection-Einheiten erforderlich. Ein großer Teil des Kontingents dient also lediglich dem Eigenschutz und wird die Einsatzerfolge der militärischen Sicherheitskräfte nicht merklich verbessern können, denn eine wirklich erfolgversprechende und eigentlich erforderliche Begleitung von Einsätzen der afghanischen Soldaten gegen Taliban und IS durch deutsche Ausbilder/Berater war und ist nicht vorgesehen. Bisher ist es der NATO nicht gelungen, die afghanischen Sicherheitskräfte hinreichend einsatzfähig zu machen.

Die USA hingegen haben damals erkannt, dass ein Rückzug aus Afghanistan angesichts der seit Ende 2014 deutlich verschlechterten Sicherheitslage mit ebenso vorhersehbaren wie inakzeptablen Risiken verbunden sein würde.  Die radikal-islamischen Taliban würden das entstehende Machtvakuum mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzen, um die Macht an sich zu reißen - mit möglicherweise schlimmen Folgen auch für die westliche Welt. US-Präsident Trump hat deswegen nach Amtsübernahme eine neue US-Strategie für Afghanistan verkündet.

Die neue US-Strategie sah neben der Ausbildung der Sicherheitskräfte einen forcierten militärischen Einsatz von US-Kampftruppen und Spezialkräften in Afghanistan mit dem Ziel vor, die Terroristen unschädlich zu machen. Dazu wurde das US-Truppenkontingent deutlich aufgestockt. Trump kündigte außerdem an, dass er an den bisherigen Bemühungen um Nation-Building, also um einen Aufbau der Zivilgesellschaft, nicht festhalten will, weil das bisher erfolglos war und dafür sinnlos viel Geld ausgegeben worden sei. Trumps wesentliches Ziel: Terroristen zu töten!

Die USA haben damals erkannt, dass Afghanistan ein Fass ohne Boden bleibt, wenn man sich weiterhin auf unzureichende Ausbildungsunterstützung und erkennbar erfolgloses Nation-Building beschränkt. Denn die Stabilisierung Afghanistans kann nur gelingen, wenn die Terroristen so weitgehend unschädlich gemacht werden, dass sie die Zivilbevölkerung auch in Teilbereichen nicht mehr beherrschen oder bedrohen können. Diese neue US-Strategie war aber nicht ausreichend erfolgreich und der US-Präsident will nun wiedergewählt werden.

Deswegen haben die USA – ohne Beteiligung der gewählten afghanischen Regierung und ohne Konsultation der Verbündeten – mit  den islamistischen Taliban-Terroristen verhandelt und Ende Februar ein Abkommen unterzeichnet, in dem die Taliban-Milizen sich bereit erklären, mit der Regierung in Kabul über einen Friedensvertrag zu beraten. Der Vertrag sieht auch einen Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land innerhalb von 14 Monaten vor. Im Gegenzug sollen die Taliban Al-Kaida und die IS-Miliz bekämpfen sowie Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung in Kabul führen. Die Taliban fordern außerdem, dass 5000 gefangene Taliban-Milizionäre freigelassen werden. Die NATO will auf der Grundlage des USA-Taliban-Deals 2000 Nicht-US-Truppen aus Afghanistan abziehen. Und in Deutschland hat nun das Parlament – ohne inhaltliche Diskussion der sicherheitspolitischen Veränderungen – das Mandat für den Einsatz von bis zu 1300 deutschen Soldat*innen um ein Jahr verlängert.

Inzwischen ist der „Friedensprozess“ auf der Grundlage des Trump-Deals in Afghanistan schwer umstritten. Die vereinbarte Waffenruhe wird von den Taliban immer wieder gebrochen. Die afghanische Regierung befindet sich zudem in einer Regierungs-Krise. Die Taliban weigerten sich außerdem, Verhandlungen mit einem Team aufzunehmen, das von der Regierung aufgestellt worden war. Es seien darin nicht alle afghanischen Interessen vertreten, erklärte ein Sprecher der radikalislamischen Gruppierung. Und letztlich scheitert die Aufnahme von Gesprächen an bisher nicht erfüllten Forderungen der Taliban zur Freilassung der 5000 gefangenen Terroristen. Der Kern des Abkommens steht deshalb in Frage.

Da hilft es auch nicht, wenn der UN-Sicherheitsrat die Regierung in Kabul auffordert, „den Friedensprozess voranzutreiben“ und an innerafghanischen Verhandlungen teilzunehmen, an denen Vertreter der afghanischen Politik und Zivilgesellschaft beteiligt sein sollen, darunter auch Frauen. Die Taliban lehnen das Verhandlungsteam der Regierung bisher kategorisch ab! Der schlechte Trump-Deal mit den Taliban-Terroristen hat also sehr schlechte Aussichten, dem geschundenen Land Frieden zu bringen.

Die US-Armee hat nun ungeachtet der innerafghanischen Entwicklung – und immer noch ohne Konsultation mit den Verbündeten - mit dem Rückzug aus Afghanistan begonnen. Die Vereinigten Staaten wollen die Stärke ihrer Militärkräfte in Afghanistan in den kommenden 135 Tagen von derzeit 13.000 auf 8.600 reduzieren. Bis 2021 wollen die USA Afghanistan offensichtlich verlassen haben. Und damit steht die erforderliche logistische, sanitätsdienstliche sowie nachrichtendienstliche US-Unterstützung der in Afghanistan eingesetzten Verbündeten in Frage.

Denn die NATO-Truppen und darunter auch die Bundeswehr hängen sehr stark logistisch von den Amerikanern ab. Wenn die Amerikaner wichtige Komponenten ihrer Truppen abziehen, dann sind auch die militärischen Handlungsmöglichkeiten der anderen Truppen davon betroffen. Die NATO ist über die Verhandlungen mit den Taliban nur sehr unzureichend informiert worden und man geht wohl vage davon aus, dass parallel zum abgestuften Abzug der amerikanischen Kräfte dann auch die anderen Truppen abgezogen werden sollen. Nichts Genaues weiß offensichtlich die Bundesregierung und die Bundeswehr bis jetzt noch nicht. Die Amerikaner, die ja schließlich nach 9/11 bei ihrer Intervention in Afghanistan von der NATO solidarisch unterstützt wurden, sind in ihrem Verhalten gegenüber den eigenen Verbündeten weder offen noch ehrlich und auch nicht solidarisch und fair. Die NATO und Deutschland lassen sich das klaglos gefallen und haben - wie immer – keine Exit-Strategie. Wir stehen also nun am Anfang des endgültigen Scheiterns in Afghanistan! Das ist traurig für die guten Teile der geschundenen afghanischen Bevölkerung.

In Afghanistan hat die westliche Staatengemeinschaft mit dem naiven Ziel interveniert, aus einer vom Islam dominierten, unterentwickelten, mittelalterlichen Stammesgesellschaft eine rechtstaatliche „Westminster-Demokratie“ mit guter Staatsführung zu machen – und ist gescheitert. Afghanistan will nicht nach westlicher Façon selig werden, Afghanistan will unser Geld. Nach fast 20 Jahren massiven und kostenintensiven militärischen Einsatzes sowie humanitärer und wirtschaftlicher Investitionen terrorisieren die erstarkenden Taliban weiterhin das afghanische Volk, ist die Korruption nicht im Griff und wurde die Drogenproduktion weiter ausgebaut. Positive Perspektiven gibt es nicht und von demokratischen Strukturen ist das Land noch weit entfernt. Das erfolglose Ende des westlichen Engagements in Afghanistan wird uns teilweise entlasten aber den Taliban die Machtübernahme ermöglichen und uns voraussichtlich mit Flüchtlingsproblemen nicht absehbaren Ausmaßes zusätzlich belasten.

(01.04.2020)

 

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