Hans-Heinrich Dieter

Papiertiger   (08.04.2016)

 

Frankreichs Präsident Hollande fordert in der „Bild“-Zeitung von Deutschland, sich international stärker an militärischen Einsätzen zu beteiligen. Mit solcher Forderung ist er inzwischen in interessanter Gesellschaft. Der republikanische Präsidentschaftsaspirant Donald Trump - von dem wir denken können wie wir wollen - hat die NATO zum Thema im US-Vorwahlkampf gemacht: „Die NATO ist überflüssig. Ganz ehrlich, die Verbündeten müssen mehr Geld aufwenden. Wir zahlen überproportional, das ist zu viel, und wir haben heute eine andere Welt als damals, als die NATO gegründet wurde.“ Und der nicht als Leisetreter bekannte Trump wird noch deutlicher: „Sie plündern uns aus. Die Verbündeten müssen mehr zahlen, auch für ihre Versäumnisse in der Vergangenheit, oder sie müssen aus der Nato austreten. Und wenn das zum Ende der Nato führt, dann führt es eben zum Ende der Nato.“ Und einer Umfrage zum Deutschlandbild zufolge fordern 60% der Amerikaner von Deutschland mehr Engagement im Kampf gegen den Terrorismus und ein stärkeres weltweites militärisches Engagement. Dass solche Forderungen nicht unberechtigt sind, macht die Reaktion des NATO-Generalsekretärs Stoltenberg deutlich.

In einem Interview mit dem außenpolitischen Magazin Foreign Affairs gestand Stoltenberg zu, dass die Verbündeten in der NATO proportional lange weniger für Verteidigung aufgewendet hätten als die USA. Er wies aber auch darauf hin, dass die Mitglieder 2014 beschlossen haben, die Verteidigungshaushalte nicht weiter zu kürzen. „Im vergangenen Jahr haben die Kürzungen aufgehört. Jetzt üben wir Druck aus, dass die Verbündeten alle auf die vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung kommen.“ Und er beteuerte,16 europäische Verbündete hätten im vergangenen Jahr ihre Verteidigungsbudgets angehoben. Diese Debatte sollten die Europäer und vor allem auch Deutschland in einer Zeit deutlich gestiegener sicherheitspolitischer Bedrohung aufmerksam verfolgen und ernst nehmen. Dabei haben wir die Dinge verbal durchaus im Griff.

Zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2014 hat Bundespräsident Gauck wichtige Anmerkungen zur Rolle Deutschlands in der Welt gemacht. Gauck skizzierte damals eine globalisierte Welt mit schnellen Abläufen und rasanten Entwicklungen, gekennzeichnet durch die rasche Abfolge von Krisen, Bürgerkriegen, Katastrophen und belastet durch weltweite Kriminalität und Terrorismus. „Im Zuge dieser Entwicklungen zu glauben, man könne in Deutschland einfach weitermachen wie bisher“ überzeugt das Staatsoberhaupt nicht.

Und im Hinblick auf die nicht seltene Kritik, Deutschland sei der Drückeberger der Weltgemeinschaft und ducke sich bei schwierigen Fragen allzu oft weg, empfiehlt der Präsident: „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“ Das erfordere aber auch eine grundsätzliche Diskussion über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik.

Bei dieser Veranstaltung versprach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – gleich für die Große Koalition - größere internationale Verantwortung wahrzunehmen. „Gleichgültigkeit ist keine Option für Deutschland.“ Und Außenminister Steinmeier ergänzt: „Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, und ergänzt fast in der Wortwahl des Bundespräsidenten, Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und entschlossener einzubringen. Und er will Deutschland zum Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik machen, der Einsatz von Militär dürfe dabei aber immer nur das letzte Mittel sein. Zwischen Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz und realer Politik in Berlin gibt es deutliche Unterschiede. Unsere Verbündeten haben erstaunlich langmütig zugeschaut.

Im Zusammenhang mit der Übernahme stärkerer internationaler Verantwortung durch Deutschland gibt es ein langjähriges Dilemma: Wir haben keine vitalen Interessen definiert, wir haben keine klaren Vorstellungen von unseren möglichen Rollen in einer globalisierten Außen- und Sicherheitspolitik, wir verfügen über keine Strategien für unsere Auslandseinsätze, kurz Deutschland hat keinen wirklichen und möglicherweise wirkungsvollen politischen Plan. Darüber hinaus reden wir von vernetzter Außen- und Sicherheitspolitik unter Federführung des Auswärtigen Amtes und erleben immer wieder zwischen den Ressorts nicht abgestimmtes, unprofessionell wirkendes Regierungsverhalten.

Auch Ex-Verteidigungsminister de Maizière hat mehrfach vollmundig von größerer internationaler Verantwortung und vom weltweiten Einsatz der Bundeswehr gesprochen. Frau von der Leyen hat seine diesbezügliche Wortvielfalt aufgegriffen, obwohl sie wissen muss, dass die politischen Rahmenbedingungen und die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr die Realisierung solcher Ankündigungen noch lange nicht zulassen. Worte und mögliche Taten passen nicht zusammen wie bei Papiertigern. Dabei ist die Lage schlechter als allgemein bekannt, wie in einem neuen Forderungspapier des Deutschen Bundeswehrverbandes mit dem Titel „Schlagkräftige Bundeswehr 2020plus“ deutlich wird.

Dort heißt es, der oft geforderte „vernetzte Ansatz“ in der Sicherheitspolitik werde zwar „gern beschworen, aber zu wenig gelebt.“ Das heißt: Das Zusammenwirken von Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Entwicklungspolitik und Wirtschaftpolitik funktioniert nicht. Dabei werde die Bundeswehr zu oft und zu schnell ohne Strategie als "Lückenbüßer" missbraucht.

Gleichzeitig ist die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch jahrelange Unterfinanzierung stark beeinträchtigt. Der Bundeswehrverband bezeichnet die Bundeswehr als Sanierungsfall und der Wehrbeauftragte wirft der Politik „planmäßige Mangelwirtschaft“ vor und stellt fest: „Es fehlt an allem!“ Und der Bundeswehrverband stellt fest, die deutschen Streitkräfte könnten sich nicht mehr nur darauf konzentrieren, Kontingente für internationale Ausbildungsmissionen zur Verfügung zu stellen. „Wir müssen auch wieder in der Lage sein, komplexe und gefährliche Einsätze zu bewältigen.“

Im aufmerksam beobachtenden Pentagon wachsen die Zweifel, ob die europäischen Verbündeten, darunter vor allem Deutschland, ihren Verpflichtungen in der NATO noch nachkommen können. Und die USA wissen auch, dass die geplante Steigerung des Verteidigungshaushaltes 2017 um 1,7 Mrd. auf 36,6 Mrd. Euro und die schrittweise Erhöhung bis 2020 auf 39,1 Mrd. Euro weit unter den Forderungen der Ministerin zur Deckung des von ihr festgestellten „riesigen Modernisierungsbedarfs“ bleiben. Und die USA wie auch unsere anderen Bündnispartner wissen, dass Deutschland weiterhin deutlich unterhalb des 2014 vereinbarten Ziels der NATO-Mitglieder bleibt, jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aufzuwenden. Wir werden unverändert auch in den nächsten Jahren bei etwa 1.2 unrühmlichen Prozent herumdümpeln.

Wie sagte der Bundespräsident 2014: „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.“ Mit der weiterhin unterfinanzierten Bundeswehr können wir diese gute Partnerschaft nicht gewährleisten, sondern vermitteln eher den Eindruck eines Papiertigers.

Seit 2014 hat sich wenig positiv verändert. Das verwundert nicht, wenn lediglich der Bundeswehrverband als Interessenvertretung der Soldaten und gelegentlich der Wehrbeauftragte auf eklatante Mängel öffentlich hinweisen. Von sich aus wird das Parlament seiner Verantwortung für die Parlamentsarmee Bundeswehr nicht gerecht!

(08.04.2016)

 

 

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