Hans-Heinrich Dieter

Opfer und Täter zugleich!   (14.05.2021)

 

Ich bin ein Freund des israelischen Volkes und habe das Land mehrfach als Soldat und als Bürger bereist. Ich bin aber kein Freund der - derzeit amtierenden - rechtsradikalen Regierung des Ministerpräsidenten und mutmaßlichen Straftäters Netanyahu, der die seit 1967 besetzten und 1981 gegen internationales Recht annektierten Golanhöhen mehrfach zum Gebiet Israels erklärt hat, der durch die gegen internationales Recht verstoßende Siedlungspolitik im Westjordanland den Friedensprozess im Nahen Osten torpediert und der durch die Blockade des Gaza-Streifens menschenunwürdige Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung schafft. Die auch ins Auge gefasste Annexion des Jordantals wäre erneut friedensgefährdend, weil sie gegen die Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt gerichtet ist, und einen weiteren Bruch internationalen Rechts sowie des Völkerrechtes darstellt.

Die Vereinten Nationen müssen sich mit dieser Entwicklung intensiv befassen. Und die EU sollte auch unter derartigen Bedingungen am Ziel einer Zweistaatenlösung, wie sie nach dem Oslo-Abkommen vorgesehen ist, festhalten. Deutschland sollte sich unzweifelhaft politisch an die Seite der EU stellen.

Und seit Juli 2019 haben israelische Soldaten in dem palästinensischen Dorf Sur Bahir damit begonnen, am Rand von Ost-Jerusalem, auf palästinensischem Gebiet mit Bulldozern und Sprengungen bewohnte Häuser und Neubauten abzureißen, die in der Nähe der Sperranlage errichtet wurden, die Israel, das annektierte Ost-Jerusalem und grenznahe Siedlungsblöcke vom besetzten Westjordanland abschottet. Das Oberste Gericht in Jerusalem hatte zuvor den Abriss mit der Begründung genehmigt, die Häuser seien illegal neben dem Sicherheitszaun gebaut worden und stellten eine Bedrohung für das Leben von Bürgern und Sicherheitskräften dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sperranlage quer durch das Dorf Sur Bahir verläuft, und nur ein Teil des Areals unter israelischer Kontrolle und der andere unter palästinensischer Verwaltung im Westjordanland steht. Als Reaktion auf die israelischen Ãœbergriffe hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas damals angekündigt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde keines der mit Israel vereinbarten Abkommen mehr umsetzten wird. Die EU und das UN-Nothilfebüro Ocha haben Israel daraufhin aufgefordert, den Abriss von Wohnhäusern im Ostjerusalemer Stadtteil Sur Bahir sofort zu stoppen, denn Israels Siedlungspolitik einschließlich Zwangsumsiedlungen, Vertreibungen, Abrissen und Beschlagnahmungen von Häusern sei „nach internationalem Recht illegal.“ Deutschland, Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich verurteilen den Abriss palästinensischer Gebäude durch Israel im Bezirk Wadi al Hummus im Südosten von Jerusalem zusätzlich zur EU gemeinsam scharf. Das bringt Palästinenser massiv gegen Israel auf!

Im Juli 2018 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Israels Status als jüdischen Nationalstaat verankert. Hebräisch wurde zur offiziellen Landessprache erklärt, während Arabisch - bisher zweite Amtssprache - nur noch einen Sonderstatus erhält. Jerusalem wird als Hauptstadt Israels bestimmt und außerdem soll der Bau jüdischer Gemeinden besonders gefördert werden. Daraufhin sind zehntausende arabische Israelis, unterstützt durch sehr zahlreiche jüdische israelische Bürger, in Tel Aviv gegen das Nationalitätsgesetz auf die Straßen gegangen, um gegen den Niedergang der Demokratie und die Spaltung des Landes zu demonstrieren. Denn die arabischstämmigen Israelis fühlen sich mit Recht diskriminiert und als Bürger 2. Klasse. Auch wenn der ursprüngliche Entwurf des „Nationalitätsgesetzes“ deutlich entschärft wurde, müssen sich die nichtjüdischen Minderheiten diskriminiert fühlen.

Israel will auf der Grundlage des neuen Gesetzes, offensichtlich der Idee „Israel den Juden“ folgend, und anders als in den Verträgen von Oslo vereinbart, im besetzten Westjordanland nicht sukzessive Macht an die Palästinenser auf dem Weg zu einer wirklichen Autonomie abgeben, sondern an die jüdischen Siedler. Das Nationalstaatsgesetz soll also auch die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels unterstützen. Und wenn durch dieses Gesetz quasi nur dem jüdischen Volk das Recht auf nationale Selbstbestimmung zugestanden wird und der Rest der israelischen Bevölkerung unberücksichtigt bleibt, dann werden doch etwa 20 Prozent israelischer und steuerzahlender Bürger durch die Verfassung missachtet. Wenn die Verfassung darüber hinaus jüdische Besiedlung zu einem nationalen Wert erklärt und die besetzten Gebiete des Westjordanlandes davon nicht ausnimmt, dann lässt das eine Auslegung zu, nach der Juden im Bau- und im Wohnrecht Vorrang vor israelischen Bürgern anderer Religionszugehörigkeit und vor Palästinensern genießen. Israel entfernt sich so von rechtsstaatlichen Werten, schafft weitere Voraussetzungen für fortdauernde und friedensfeindliche Völkerrechtsverletzungen und handelt gegen die israelische Unabhängigkeitserklärung von 1948, die der arabischen, muslimischen und christlichen Minderheit das Recht auf Gleichheit ausdrücklich zuspricht und gute Beziehungen zu allen benachbarten Völkern sucht. Die Unabhängigkeitserklärung von 1948 ist Ausdruck des ursprünglich sehr guten Geistes, in dem Israel gegründet wurde. Sie sollte auch weiterhin die Grundlage für die Weiterentwicklung eines demokratischen Staates Israel sein! Israel ist allerdings auf einem anderen und sehr schlechten Weg! Deswegen sind nicht nur die Palästinenser in den besetzten Gebieten gegen Israel und Teile seiner Bevölkerung aufgebracht, sondern auch in immer stärkerem Maße die arabisch- israelischen Staatsbürger. Die Israelis haben sich so selbst ein politisches Pulverfass mit mehreren unterschiedlichen Sprengstoffen geschaffen!

Und nun kam es in Jerusalem zu einer beiderseitigen Eskalationsspirale. Zum Ende des diesjährigen Ramadans ging die israelische Polizei erstmals gegen den zentralen Versammlungsort für die Palästinenser an der Grenze zu Ost-Jerusalem, den Platz vor dem Damaskus-Tor, vor. Der wird immer zum Fastenbrechen genutzt und ist ein zentraler und wichtiger Ort für die Muslime. Daraufhin gab es die ersten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und palästinensischen Jugendlichen. Die setzen sich wenige Tage später bei der Al-Aksa-Moschee fort, die ebenfalls abgeriegelt worden war. Das hat zu weiteren blutigen Auseinandersetzungen geführt. Außerdem haben die israelischen Sicherheitskräfte versucht, vier von Palästinensern bewohnte Gebäudekomplexe zu räumen, um sie Siedlern übergeben zu können. Das hat die Stimmung weiter verschlechtert und es flogen die ersten Raketen der Hamas-Terroristen auf israelisches Wohngebiet. Solche Terrorakte sind inakzeptabel!

Die israelischen Luftangriffe ließen nicht lange auf sich warten – mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Die Anzahl der Toten – auch Zivilpersonen und Kinder - ist im Gaza-Streifen allerdings deutlich größer als in Israel aufgrund der militärischen Ãœberlegenheit Israels. Allerdings haben auch die Hamas-Terroristen gezeigt, dass ihre militärische Stärke gewachsen ist und sie als einzige Gruppierung Israel echten Schaden zufügen können. Und dieses Selbstbewusstsein der Hamas bringt Israel ins Dilemma. Es kann die Herrschaft der Hamas über den Gazastreifen ohne einen hohen Blutzoll der eigenen Bevölkerung nicht beenden. Und trotzdem dreht sich die Spirale weiter, ein Ende der gegenseitigen Gewalt ist nicht absehbar. Und je höher die Opferbilanz bei Zivilisten in Gaza, desto stärker die internationale Kritik an Israel!

Und nun hat sich mitten in der neuerlichen Schlacht um Gaza eine zweite Front eröffnet. Zwischen israelischen Juden und israelischen Arabern ist mittlerweile ein brutaler Kampf ausgebrochen. Die von Premierminister Netanjahu Diskriminierung der arabischen Israelis und die dadurch betriebene Spaltung der Gesellschaft ist mit dafür verantwortlich, dass nun arabisch-israelische und jüdisch-rechtsextreme Mobs auf den Straßen mehrerer israelischer Städte Chaos verbreiten. Welche Brisanz in diesem Konflikt steckt, wurde durch Lynchmorde und gegenseitige „Jagdszenen“ der vergangenen Tage deutlich. Die junge palästinensische Generation sieht sich von Israel massiv unterdrückt und von ihren palästinensischen Führern verraten!

Und dieser innerisraelische Konflikt wirkt sich auch bei uns in Deutschland aus. Nicht zuletzt die Flüchtlingskrise 2015 und die damit verbundene massive arabisch-muslimische Einwanderung hat antijüdischen Ressentiments starken Auftrieb gegeben. Das wurde hierzulande zu lange ignoriert, verharmlost oder verschwiegen. Die jüngsten antisemitischen Vorfälle, die islamistischen sowie arabisch-türkischen Demonstrationen und Gewaltakte gegen Synagogen und jüdische Gemeinden machen sehr deutlich, dass die Integration muslimischer Flüchtlinge und Asylanten bisher nur sehr unzureichend gelungen ist. Deutschland muss – statt sich ständig selbstzerstörerisch zu bezichtigen – nicht nur, aber hauptsächlich der zugewanderten muslimischen Bevölkerung unmissverständlich zu verstehen geben, dass in Deutschland kein Platz für Antisemitismus ist. Wir müssen wieder den Mut haben, Recht und Gesetz zur Geltung zu bringen und konsequent zu realisieren.

Wenn Israel im Nahen Osten – unterstützt durch die USA – friedensverhindernd zündelt und wiederholt internationales Recht und das Völkerrecht bricht, dann gefährdet es seine eigene Sicherheit nachhaltig und verliert – sehr zurecht – internationale Unterstützung. Eine solche Politik darf Deutschland – trotz unserer besonderen geschichtlichen Verantwortung - nicht mehr unterstützen, denn die immer wieder ins Feld geführte „besondere Bedrohungssituation“ Israels ist auch zu nicht geringen Teilen von Israel selbst verursacht!

Der derzeitige Konflikt zeigt sehr deutlich, dass Israel die Palästinenser nicht länger ignorieren kann. Insbesondere die jungen Palästinenser werden sich nicht damit abfinden, dauerhaft in Armut und Unterdrückung zu leben. Natürlich ist der Abschuss von Raketen aus Gaza auf Zivilisten in Israel völlig inakzeptabel. Aber Israel wird kein gut angesehenes Mitglied der Weltgemeinschaft bleiben, wenn es weiterhin die Palästinenser unterdrückt, die arabisch-israelischen Bürger diskriminiert und internationales Recht bricht. Die Vereinten Nationen müssen sich endlich massiv für Frieden im Nahen Osten einsetzen!

(14.05.2021)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/radikalesisrael.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/radikalesisrael2.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/kushner-strategie.html

 

 

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