Hans-Heinrich Dieter

Kriegsinvestitionen nach Kassenlage   (18.03.2015)

 

Nach 1989 rüsteten alle am Kalten Krieg beteiligten Staaten, außer den USA und Großbritannien, in starkem Maße ab und profitierten von der „Friedensdividende“. Deutschland fühlte sich nur von Freunden umgeben und reduzierte die Personalstärke und das kampfentscheidende Großgerät der Bundeswehr schrittweise aber drastisch. Die NATO-Vereinbarung, jährlich 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigungsanstrengungen zu investieren, hat Deutschland nie eingehalten. Die jahrelange Unterfinanzierung der deutschen Parlamentsarmee hat im Zusammenhang mit teuren Auslandseinsätzen zu starken Einbußen in der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr geführt. Mit dem Volksmund könnte man sagen, die Streitkräfte wurden in einen ziemlich desolaten Zustand mit hohlen Strukturen und Mangelverwaltung hineingespart.

Nun sind wir mit einer aggressiven, vor Völkerrechtsverletzungen nicht zurückschreckenden Politik Russlands konfrontiert. Putin kann derzeit nicht als Partner Europas verstanden und behandelt werden, auch weil der russische Präsident zu erkennen gibt, dass er sich selbst als Gegner Europas begreift. Auch wenn sich die globalisierte Welt seit 1989 stark verändert hat, befinden wir uns nun doch in einer politischen Lage, die viel Ähnlichkeit mit der Zeit des Kalten Krieges hat. Die Angst der Baltischen Staaten und Polens, von Russland destabilisiert und mit verdeckter und unkonventioneller Kriegsführung überzogen zu werden, ist sogar größer als vor 1989. Die Zeiten von „Friedensdividenden“ sind jedenfalls bis auf weiteres vorbei, jetzt muss über das begriffliche und inhaltliche Gegenteil, nämlich über „Kriegsinvestitionen“, nachgedacht werden. Denn Russland erhöht die Militärausgaben in starkem Maß undhat den Ausstieg aus dem KSE-Vertrag zur Kontrolle über konventionelle Streitkräfte in Europa verkündet. Mit dem neoimperialistischen Russland wird man zukünftig aus einer Position der politischen, der wirtschaftlichen, aber auch der sicherheitspolitischen Stärke heraus verhandeln müssen. Die sicherheitspolitische Stärke bringen derzeit nur die USA und die geschlossen handelnde NATO auf. Insbesondere Deutschland hat hier großen Nachholbedarf.

Angesichts der Krisen und Instabilitäten in der Welt hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in der letzten Woche festgestellt, dass Deutschland künftig höhere Ausgaben für Verteidigung werde schultern müssen. Deswegen hat er der Bundeswehr mittelfristig (ab 2017) mehr Geld in Aussicht gestellt. Die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung sieht jetzt eine schrittweise Steigerung des Wehretats von 32,97 Milliarden Euro 2015 auf 35,01 Milliarden Euro 2019 vor. Nun soll die Bundeswehr allerdings schon 2016 1,2 Milliarden mehr als 2015 erhalten. Das kann Ministerin von der Leyen als Erfolg verbuchen. Von der NATO-Verpflichtung, jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung zu investieren, ist Deutschland aber noch weit entfernt. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte Deutschland schon in 2014 58 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben müssen.

Frau von der Leyen wird über die Aufstockung des Verteidigungsetats in Interviews und auf Bildern für die Öffentlichkeit zufrieden und dankbar wirken. Grund zu wirklicher Freude gibt es allerdings nicht. Denn mit dieser – vergleichsweise zu den NATO-Verpflichtungen – geringfügigen Steigerung des Wehretats werden lediglich die hohlen Strukturen gefüllt, die Mangelverwaltung beendet, die teilweise unzumutbaren Unterkünfte saniert, die Materialerhaltung gewährleistet und die Attraktivität der Bundeswehr für den dringend benötigten und qualitativ hinreichenden Nachwuchs gesteigert werden können. Oder mit anderen Worten: Die Mängel in der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte, die auf jahrelange Unterfinanzierung zurückzuführen sind, können einigermaßen beseitigt werden, mehr nicht.

Die Politiker sprechen aber von den Krisen und Instabilitäten in der Welt, denen Deutschland offenbar auch militärisch in Bündnissen und mit der internationalen Staatengemeinschaft, aber mit gesteigerter Verantwortung begegnen will. Um die dem entsprechende Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte herstellen zu können, bedarf es mindestens der Anstrengungen, zu denen sich Deutschland der NATO gegenüber verpflichtet hat. Um den dafür erforderlichen Bedarf im Rahmen der mittel- und langfristigen Finanzplanung feststellen zu können, muss eine Analyse der geänderten Lage angestellt werden, Deutschland muss definieren, welche Rolle es zukünftig mit welchen Partnern zusammen und mit welchen Schwerpunkten in der Sicherheitspolitik spielen will und dann die dafür erforderlichen militärischen Fähigkeiten definieren. Das kann dann Grundlage für ein längerfristiges Finanzierungskonzept für die Bundeswehr sein, das im Bundestag und auch öffentlich diskutiert und dann entschieden werden muss. 

Die Finanzierung deutscher Streitkräfte eher nach Kassenlage des Finanzministers als nach sicherheitspolitischem Bedarf wird zukünftig nicht reichen, wenn Deutschland außen- und sicherheitspolitisch ein ernst zu nehmender und vertrauenswürdiger Akteur in Europa und der Welt bleiben will.

(18.03.2015)

  

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