Hans-Heinrich Dieter

Europäische Kooperation   (03.02.2013)

 

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eine sehr sinnvolle Veranstaltung. Lösungen politischer Probleme sind natürlich nicht zu erwarten, höchstens werden in Hinterzimmern und Hintergrundgesprächen Lösungen vorbereitet und Gespräche angebahnt. Immerhin hat sich der iranische Außenminister Salehi offen für die von Biden angebotenen Gespräche mit den USA gezeigt. Im Syrien-Krieg schimmert wie erwartet trotz der ersten vorsichtigen Gespräche mit einem Oppositionsführer noch kein Licht am Ende des Tunnels.

Die Lage in Europa ist natürlich kein Kernthema, aber dennoch war es ganz wichtig, dass US-Vizepräsident Joe Biden ein deutliches Bekenntnis zur weiteren Partnerschaft Amerikas mit Europa abgegeben hat. Trotz einer Verlagerung von Interessen der US-Politik in den pazifischen Raum blieben die Europäer die engsten Verbündeten der USA und Bedrohungen sollte man auch künftig gemeinsam begegnen, meinte Biden. Das klingt zunächst einmal beruhigend, ist es aber nicht, weil Europa als engster Verbündeter nur so gut ist wie sich Europa sicherheitspolitisch leistungswillig und leistungsfähig zeigt.

Da bleibt viel zu wünschen übrig, denn Verteidigungsminister de Maizière fordert ja in seiner Eröffnungsrede vor realem Hintergrund und mit Recht mehr Kooperation in Europa. Das ist nicht neu für langjährige Konferenzteilnehmer, denn solche richtigen Appelle gab es immer wieder. De Maizière wird aber konkreter und fordert ein NATO-freundlicheres Frankreich und ein EU-freundlicheres Großbritannien. Ihm geht es nicht nur um sicherheitspolitische Kooperation, um burden sharing und smart defence, ihm geht es um gemeinsames politisches Planen und Handeln der Europäischen Union in einer Zeit, wo der Präsident des EU-Parlamentes Schulz feststellen darf: „Die EU ist in einem schlechten Zustand, und das müssen wir dringend ändern, wenn Europa nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will.“

Wir erinnern uns: Am 10.01.2013 hat die ehemalige Kolonialmacht Frankreich im Alleingang entschieden, die malische Regierung militärisch zu unterstützen, um den Vormarsch von Terroristen und Islamisten auf die malische Hauptstadt zu stoppen und französische und europäische Staatsbürger in Mali zu schützen. Deutschland wurde durch diese Aktion überrascht und sollte natürlich auch schnell militärische Hilfe leisten. In dieser Lage hielt Frankreich es offenbar nicht für erforderlich, seine sicherheitspolitischen Absichten mit der UN und mit der EU abzusprechen, sondern informiert lediglich und schafft Fakten - wie schon der kleine Groß-Feldherr Sarkozy im libyschen Bürgerkrieg - und hofft, dass die USA und europäische Partner moralisch und politisch quasi gezwungen sind zu unterstützen. Und gerade wenn die Lage in Mali „dringlich und ernst“ ist (de Maizière), hätte es der politische Respekt erfordert, dass die Partner rechtzeitig auf der Grundlage eines sicherheitspolitischen Konzeptes konsultiert werden, um sinnvoll und abgestimmt über Unterstützung und Engagement entscheiden zu können. An zeitgerechte Information der Partner und Freunde, gemeinsamer Lageanalyse sowie an Absprachen über militärische Zusammenarbeit und Unterstützung, kurz an sicherheitspolitische Selbstverständlichkeiten hat die ehemalige Kolonialmacht Frankreich in Grande-Nation-Attitude leider nicht gedacht. Dementsprechend reagieren auch NATO und EU. Die NATO begrüßt den französischen Militäreinsatz, will ihn aber nicht unterstützen. Die EU will die geplante Entsendung von Ausbildern für die malischen Streitkräfte beschleunigen, lehnt aber eine Beteiligung an Kampfhandlungen ab. Inzwischen ist vielfache Unterstützung für die malisch/französische Militäraktion angelaufen.

Das sind treffende Beispiele für unsolidarisches französisches NATO-Verhalten: Im Fall Libyen hat Frankreich an der Spitze einer „Koalition der Willigen“ mit seinem Verhalten nicht nur die Glaubwürdigkeit der EU sondern auch der NATO beeinträchtigt und dann die NATO in ein sicherheitspolitisch schlecht gemachtes Bett gezogen. Im Falle Malis hat es Frankreich am Willen zur sicherheitspolitischen Kooperation fehlen lassen. Aus dem libyschen Bürgerkrieg will Frankreich sicher nichts lernen. Da der Konflikt in Mali noch sehr lange dauern wird, haben die europäischen Partner allerdings noch hinreichend Gelegenheit, gemeinsam besser zu werden, denn mit dem militärischen Alleingang Frankreichs wurde ja ein langer politischer, militärischer, ökonomischer und sozialer Prozess angestoßen, der Frankreichs Kräfte weit übersteigt.

Und wir haben sehr deutlich vor Augen: Mitten in der Schulden- und Finanzkrise der Euro-Länder, in einer Zeit, in der die EU politisch um Lösungen ringt, wie die Geburtsfehler der teilweise gemeinsamen Währung durch stärkere Integration der europäischen Union in Richtung auf einen europäischen Bundesstaat behoben werden können, in einer politischen Lage, in der es darum gehen muss, die Zukunft Europas auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte und der uns verbindenden europäischen Kultur zu gestalten, stellt Premierminister Cameron – ganz offensichtlich innenpolitisch motiviert - in einer Grundsatzrede die britische Mitgliedschaft in Frage und macht ein Verbleiben in der Gemeinschaft von für Großbritannien günstigen Änderungen der Vertragsgrundlagen und einem Referendum in diesem Zusammenhang abhängig. Unabhängig davon, ob Cameron mit einzelnen Kritikpunkten wie den schwerfälligen, zum Teil undemokratischen Entscheidungsverfahren und der mühsamen und krisenuntauglichen Kompromissfindung Recht hat oder nicht, ist das Verhalten Großbritanniens beispielhaft für den schlechten Zustand Europas aufgrund des unterschiedlich stark ausgeprägten nationalen Egoismus´, der teilweise eingeschränkten Kooperationswilligkeit und der stark unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen und Leistungsfähigkeit. Wenn es um eine engere politische, soziale und gesellschaftliche Union geht, sind Zuverlässigkeit und Integrationsbereitschaft und der Wille zu gemeinsamem Handeln der beteiligten Länder gefragt. Daran fehlt es Großbritannien.

Wir reden von einem europäischen Bundesstaat, aber die Entwicklung in einigen europäischen Staaten ist stark gegenläufig. Belgien leidet unter schwer vorstellbaren politischen Schwierigkeiten, die der Streit zwischen Flamen und Wallonen mit sich bringt. Wenn es nach vielen Flamen ginge, hätten sie einen eigenen Staat, frei von der „wallonischen Last“. In Großbritannien gibt es nicht nur eine starke nationalistische und auch ernstzunehmende Bewegung, die eine Herauslösung des Landes aus der Europäischen Union anstrebt. Im kommenden Jahr wird es ein Referendum in Schottland geben, das über Verbleib im United Kingdom oder ein unabhängiges Schottland entscheidet. In Nordirland brechen die Feindseligkeiten zwischen Protestanten und Katholiken erneut in einer Heftigkeit aus, die durchaus Angst um diesen Teil Großbritanniens hervorrufen kann.
Frankreich ist Teil des Motors der Europäischen Union, aber die Grande Nation ist stärker auf nationale Interessen fixiert als Deutschland und als das für Europa gut ist. Rumänien und Bulgarien sind von Korruption zerfressen, wirtschaftlich schwach, in vielfacher Hinsicht nicht reif für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und trotzdem leider Mitglieder, die die Union eher belasten als für Integration förderlich zu wirken. In Spanien gibt es starke Bestrebungen, Katalonien abzuspalten und zu einem eigenständigen Staat zu machen. Von Zypern ist nur der südliche Landesteil EU-Mitglied. Serbien strebt die Mitgliedschaft in der EU an, ist aber nicht bereit, das Kosovo anzuerkennen. Die größte Volkswirtschaft in Europa, Deutschland, ist politisch nicht selbstbewusst und stark genug, um die Integration Europas kraftvoll voranzubringen. Und wenn man die teilweise hasserfüllten „Ressentiments“ in den südlichen Mitgliedstaaten gegenüber deutscher Europa-Politik zur Ãœberwindung der derzeitigen Krise miterlebt, kann man sich einen föderalen europäischen Bundesstaat beim besten Willen nicht vorstellen. Und in der aktuellen Politik dokumentiert Europa außerdem immer wieder Uneinigkeit und tiefsitzende Streitigkeiten, zuletzt beim Klima-Gipfel in Doha. Von gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik ist die EU sehr weit entfernt und verantwortliche Politiker der EU, wie Frau Ashton, sind ja teilweise aufgrund ihrer politischen Schwäche in die Ämter gehievt worden und tragen deswegen genauso wenig zur Vertiefung der Integration in diesen Politikfeldern bei wie der schwache NATO-Generalsekretär Rasmussen. In Tschechien wurde gerade ein Präsident gewählt, der mit krass deutschfeindlichen Parolen gepunktet hat. Und der Niederländer Mark Rutte forderte jüngst Regelungen zum Austritt aus der EU. Von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist Europa weit entfernt und deswegen funktioniert auch die Zusammenarbeit bei einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) nicht. De Maizière hat daher nur beispielhaft Frankreich und Großbritannien genannt, wenn er einen starken politischen Willen zur gemeinsamen Gestaltung vermisst.

Appelle an bessere europäische Kooperation sind alltäglich, da wir Europäer diese Appelle aber nicht ernst genug nehmen, bleiben sie wichtig, je konkreter desto besser. Weil Europa ohne bessere Kooperation und stärkere Integration in der Bedeutungslosigkeit zu versinken droht, ist es hohe Zeit, dass sich die Staats- und Regierungschefs mit dem Problem befassen und das Projekt Europäische Union kraftvoll weiterentwickeln. Wer da nicht mitmachen will, sollte seines Weges als Partner Europas in Europa gehen können. Ohne bessere Kooperation und stärkere Integration wird Europa mangels sicherheitspolitischer Leistungsfähigkeit auch nicht engster Verbündeter der USA bleiben. Das verstärkt dann die Erosion europäischer politischer Bedeutung gravierend.

(03.02.2013)

 

 

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