Hans-Heinrich Dieter

EU-NATO-Kooperation   (25.06.2021)

 

Die G7, die EU und die NATO haben eine ganze Gipfelserie hinter sich - und hoffentlich alle dazugelernt. Alle Treffen standen mehr oder weniger unter dem Slogan von Biden: „America is back, diplomacy is back!” Von der Idee her ist das sehr positiv für die werteorientierte und multilateral denkende westliche Welt, die herausragende globale Probleme zu bewältigen sowie ein zunehmend aggressives Russland und ein nach der Weltmacht strebendes China im Zaum zu halten hat. Und es macht große Hoffnung für den Fortbestand und die Weiterentwicklung der NATO als erweitertes transatlantisches Verteidigungsbündnis und für die EU, die sich in einem bedauernswerten Zustand befindet und auch mittelfristig außen- und sicherheitspolitisch nicht handfähig sein wird.

An der politischen Realität gemessen kann man bei dem Slogan aber Skepsis nicht unterdrücken. „America“ ist weit vielschichtiger und umfangreicher als die USA und große Teile dieses Kontinents sind eher „down“ als back. Mittelamerika ist eine Gemengelage von teilweise demokratieunfähigen, kriminalitätsgeschüttelten, korrupten und durch Sozialisten in die Nähe des Bankrotts getriebenen Staaten, die man teilweise als „failed states“ bezeichnen kann. Und auch Lateinamerika ist mit dem korrupten, zunehmend autokratisch agierenden Brasilien und mit dem fast bankrotten Argentinien – um nur die wichtigsten zu nennen – im Niedergang begriffen. Die daraus entstehenden, sehr umfangreichen Migrationsbewegungen belasten die USA in erheblichem Maß.

Biden hätte richtiger sagen sollen, „The United States are back!“ Und weil die USA nun einmal die einzige westliche Führungsmacht sind, kann man nach der Ära Trump aufatmen. Und Biden verspricht, diese Führungsrolle auszufüllen. Dabei geht es darum, die noch existierende militärische Ãœbermacht politisch zu nutzen, aber auch um ein Ringen politischer Systeme. Die Demokratie soll nicht nur erhalten, sondern gestärkt werden - als Gegengewicht zur zunehmenden Autokratie. Die NATO als das größte Verteidigungsbündnis der Welt ist nach Bidens Vorstellung die wichtigste Kraft, um unsere werteorientierten westlichen Demokratien zu erhalten – gegen chinesisches Vormachtstreben, gegen Russlands aggressive Außenpolitik, gegen Cyberattacken und andere Versuche, die Demokratie zu unterlaufen und das westliche Bündnis zu spalten.

Aber wer ist mit den USA tatsächlich „back“? Die USA sind nicht „united“, sondern tief gespalten, einer rationalen, zukunftsorientierten politischen Zusammenarbeit verweigern sich die Republikaner regelmäßig und folgen immer noch beharrlich dem intellektuell behindert erscheinenden Trump. Joe Biden ist daher nur ein „halber“ Präsident, der große Schwierigkeiten hat – und weiter haben wird – seine richtigen Ideen und guten Vorsätze zum Wohl der westlichen Wertegemeinschaft erfolgreich umzusetzen. Und bis zu den midterm elections in den USA, 2022, ist es nicht mehr weit – Ausgang offen. Deswegen müssen die EU und die NATO Joe Biden und das Comeback der USA kraftvoll unterstützen!

Dazu kommt, dass die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Nachkriegs-Struktur nicht wirklich handlungsfähig und für die Lösung der Probleme unserer Zeit nicht mehr tauglich sind. Denn wie soll das wichtigste Gremium der UNO, der Weltsicherheitsrat, zukunftsorientierte Resolutionen verabschieden, wenn die teilweise vertrauensunwürdigen ständigen Mitglieder ihr Vetorecht in gegenseitiger Aggressivität ausleben? Unter solchen Rahmenbedingungen zunehmender Spaltung und Konfrontation werden die Vereinten Nationen ihre Aufgaben als Weltfriedensorganisation zukünftig nicht zufriedenstellend lösen können. Deswegen müssen ihre Strukturen an die politische, soziale und wirtschaftliche Realität des 21. Jahrhunderts angepasst werden, um effektiv zusammenarbeiten zu können. Denn was nützt eine eingeschränkt entscheidungs- und handlungsfähige Weltorganisation, die zum realen Wohl der Bürger dieser Welt nur sehr wenig beitragen kann? Andere Gesprächsforen und Entscheidungsgremien werden dringend gebraucht!

Beim 46. G7-Gipfel ist aber deutlich geworden, dass auch dieses Gesprächsforum nicht mehr zeitgemäß ist. Für die Lösung unserer zukünftigen globalen Probleme reicht es nicht, wenn die 7 wichtigsten Wirtschafts- und Industrienationen zusammentreffen, nicht ohne Grund werden immer auch Staatschefs anderer Nationen eingeladen – auch diesmal waren es Vertreter der EU sowie die Staats- und Regierungschefs Australiens, Indiens, Südkoreas und Südafrikas. Da fehlen ganz einfach China und Russland! Entsprechend wenig konkret und unverbindlich war die Abschlusserklärung der G7.

Deswegen ist es so wichtig, dass die EU und die NATO gemeinsam mehr Verantwortung für die Bewältigung der zukünftigen multilateralen und globalen Herausforderungen übernehmen. Das wird allerdings nur erfolgreich sein können, wenn die EU und die NATO sich reformieren und auch auf struktureller Grundlage eng kooperieren!

Die NATO hat den Kalten Krieg gewonnen und ist das erfolgreichste Militärbündnis der modernen Geschichte. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die NATO allerdings nur marginal weiterentwickelt und sich auch den stark veränderten politischen Rahmenbedingungen in unserer globalisierten und inzwischen vom islamistischen Terror und vom Supermachtstreben Chinas gekennzeichneten Welt nur unzureichend angepasst. Deswegen muss auch die NATO reformiert werden und dieser Prozess hat bereits begonnen. Aufgrund des durch die russische Annexion der Krim verursachten „neuen Kalten Krieges“ haben die NATO-Mitgliedsstaaten begonnen, ihre Bündnis-Verteidigungsfähigkeit gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages zu verbessern oder wiederherzustellen. Dem Sicherheitsbedürfnis Polens und der baltischen Staaten entsprechend hat die NATO dort zeitweilig und rotierend Kampftruppen stationiert und die Kontrolle des Luftraumes weitgehend übernommen. Auf die Herausforderungen von Cyber-Bedrohungen sowie verdeckter und hybrider Kriegsführung stellt sich die NATO zunehmend ein und hat insbesondere ihre Fähigkeiten in der Cyber-Kriegsführung inzwischen verbessert. Das Militärbündnis muss allerdings noch ausreichende Fähigkeiten entwickeln, um sich an internationalen Anti-Terror-Einsätzen beteiligen zu können. Und auch der Aufstieg Chinas zu einer „durchsetzungsstarken Weltmacht“ - die zweite Hauptursache für die Wiederkehr eines „geopolitischen Wettbewerbs“ und einer multipolaren „Systemrivalität“ - ist bei der Weiterentwicklung zu berücksichtigen. Denn daraus ergibt sich eine neue geopolitische Sicherheits- und Bedrohungslage, auf die sich die NATO mit ihren Mitgliedern auf der Grundlage des neuen Strategischen Konzeptes gemeinsam einstellen muss. Das erfordert auch eine Beteiligung der NATO an der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im pazifischen Raum. Deswegen müssen die europäischen NATO-Mitgliedstaaten alle Anstrengungen unternehmen, um die USA mit ihrer nuklearen Zweitschlagskapazität im Transatlantischen Bündnis zu halten, denn nur die NATO mit den militärischen Fähigkeiten der USA kann mittelfristig die Sicherheit Europas gewährleisten. Und nur unter dem Schutzschirm der nuklearen Zweitschlagskapazität der USA kann die Weiterentwicklung der NATO – bis in den pazifischen Raum hinein - gelingen. Oder mit den Worten von de Maizière: „Die NATO ist unsere Lebensversicherung.“ Der NATO-Gipfel hat gezeigt, dass unser transatlantisches Bündnis auf dem richtigen Weg ist. Das Militärbündnis will zukünftig gegenüber China und Russland geschlossen agieren! In dem Zusammenhang wird Russland als „Gefahr“ und China immerhin als „systemische Herausforderung“ betrachtet.

Die EU ist noch nicht in der Lage mehr Verantwortung zu übernehmen. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Weil es mittelfristig keine strategische EU-Autonomie geben wird, muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO – ohne sicherheitspolitische Doppelstrukturen - mittelfristig auch in Kooperation mit der NATO über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen. Die EU muss sich von einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswürdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln! EU und NATO können gemeinsam erfolgreich Einfluss auf China und Russland ausüben, die USA unterstützend oder auch ergänzend. Die EU geht die ersten Schritte auf dem richtigen Weg. Beim aktuellen Gipfel hat sie das von Merkel/Macron überfallartig vorgeschlagene Gipfeltreffen mit Putin abgelehnt, aber einen „Werkzeugkasten“ zur Behandlung von aggressiven russischen Ãœbergriffen beschlossen!

Deutschland spielt in der globalen Welt eine deutlich nachgeordnete Rolle, weil wir kein außen- und sicherheitspolitisches Konzept haben, das wir in die EU oder die NATO einbringen könnten, um so zur Stabilisierung beizutragen. Deutschland hat derzeit noch nicht einmal hinreichende militärische Möglichkeiten, um seinen Bündnisverpflichtungen angemessen nachkommen zu können. Wir sind so etwas wie ein außen- und sicherheitspolitischer Zwerg. Daher müssen wir tatkräftig realistische Lösungen unterstützen, die der Zukunft der EU und der Handlungsfähigkeit der NATO – einschließlich des unverzichtbaren Sicherheitsgaranten USA – dienen. Wir müssen wieder ein geachteter, glaubwürdiger und zuverlässiger Partner bei der Gewährleistung unserer gemeinsamen Interessen und Sicherheit werden. Das wird nur gelingen, wenn wir uns engagiert und mutig in die EU und in die NATO einbringen und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr so schnell wie möglich wiederherstellen! Und wir sollten tatsächlich in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Mut zeigen und dazu auch definieren, was wir außenpolitisch wirklich wollen.

Nur mit werteorientierter, konsequenter, multilateral ausgerichteter und gemeinsamer Politik wird eine EU-NATO-Kooperation - zusammen mit den USA – Erfolg haben und international wieder ernst genommen werden!

Deutschland muss kraftvoll versuchen, zur außen- und sicherheitspolitischen Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit, sowohl der EU als auch der NATO, beizutragen.

(25.06.2021)

 

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