Hans-Heinrich Dieter

Erpressbare EU   (06.03.2016)

 

Die Europäische Union darf sich nach Ansicht des CSU-Politikers Ferber in der Flüchtlingskrise nicht von der Türkei erpressen lassen. Die selten klaren, plausiblen und sehr sachkundigen Aussagen des Europa-Politikers im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks sind sehr lesenswert.

Zur Erpressung gehören immer zwei, der der erpresst und der der sich erpressbar macht und dann erpressen lässt. Die EU ist gleich aus mehreren Gründen anfällig für die erkennbaren Erpressungsversuche durch die Türkei.

Die EU ist in der Flüchtlingskrise deutlich sichtbar gespalten und es deutet sich keine wirklich gemeinsame europäische Lösung an. Die EU hat sich als unfähig erwiesen, den gemeinsamen Beschluss zur Verteilung von 160.000 Flüchtlingen umzusetzen. Wenn nach drei Monaten noch nicht einmal 1.000 dieser Flüchtlinge verteilt sind, dann kann man von kläglichem Scheitern einer schwachen EU sprechen. In der EU handeln inzwischen Nationalstaaten oder Koalitionen von National-Staaten ohne Abstimmung mit der EU zur Durchsetzung nationaler Interessen. Die EU hat die Entscheidung über die Verbesserung der gemeinsamen Fähigkeiten zur Sicherung der Außengrenzen durch Stärkung der Strukturen und Rechte von FRONTEX auf Juni 2016 vertagt. Sie ist führungsschwach sowie nicht durchsetzungsfähig und sehr hilfsbedürftig. Wer sich von Hilfe stark abhängig zeigt, ist leicht erpressbar.

Außerdem weiß die Türkei, dass eine geordnete und humane Asyl- und Zuwanderungspolitik nur mit kontrollierten Grenzen möglich ist. Die Außengrenze des Schengen-Raumes gegenüber der Türkei muss durch Griechenland gesichert werden. Bisher hat Griechenland die geordnete Registrierung und Versorgung von Flüchtlingen, die über die Ägäis kommen, nicht regeln und ihre Versorgung nicht vernünftig organisieren können. Und die Türkei weiß so gut wie die EU, dass Athen selbst bei Bereitstellung von 700 Millionen durch Brüssel das vielfache Chaos nicht in den Griff bekommen wird. Und die NATO-Mission in der Ägäis kann den Zustrom an Flüchtlingen aus der Türkei nicht stoppen, weil sie dazu nicht den Auftrag hat. Machthaber Erdogan hat hier die Hebel in der Hand und wird die günstige Gelegenheit, erhebliches außenpolitisches Gewicht zu gewinnen und für die Türkei Vorteile herausholen zu können, mit allen Mitteln nutzen wollen. Die EU hat darüber hinaus schon mehrfach zu erkennen gegeben, dass sie ggf. bereit ist, der Türkei bei den EU-Beitrittsverhandlungen entgegenzukommen, über Visa-Erleichterungen nachzudenken und Geld in erheblichem Maße fließen zu lassen. In dieser Lage und bei diesem Verhandlungspartner kann sich die Türkei einigermaßen entspannt zurücklehnen und die Preise treiben.

Der Türkei kommt außerdem zugute, dass Deutschland als wichtiges EU-Land in der Flüchtlingskrise ziemlich isoliert dasteht und auch die Achse Frankreich-Deutschland instabil ist. Die Kanzlerin hat mehrfach gesagt, dass es nur eine europäische Lösung der Krise gibt und dass die Zusammenarbeit mit der Türkei dafür zwingend erforderlich ist. Frau Merkel hat mehrfach und glaubwürdig betont, dass sie keinen Plan B hat. Wer seine Abhängigkeit von der Türkei derart öffentlich macht, darf sich nicht wundern, wenn er erpresst wird. Und wenn Deutschland unbeirrt und ohne Protest am Glauben festhält, dass die Türkei wie zugesagt die Zahl der Flüchtlinge, die in die EU wollen, unter 1.000 pro Tag verringert, obwohl die Türkei diese Zusage in den ersten zwei Monaten 2016 nicht erfüllt hat, dokumentieren wir unsere Abhängigkeit von einem zweifelhaften und teuren Deal mit einem Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, die Pressefreiheit weitestgehend eingeschränkt ist und jeder Erdogan-Kritiker als Terrorist verdächtigt oder verfolgt wird.

Schlimm wird es dann mit der Erpressbarkeit, wenn vorauseilende Lobhudelei wider besseres Wissen  ins Spiel kommt. Kurz vor Beginn des Gipfels hat die EU-Kommission jetzt „amtlich“ festgestellt: „Die Türkei macht Fortschritte. Die Türkei hat, wie von uns verlangt, die Lebensbedingungen der bei ihr untergekommenen Flüchtlinge verbessert.“ Und auch Bundesinnenminister de Maizière fordert unterwürfig mehr Anerkennung für die Leistungen der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: „Ankara hat unter humanitären Gesichtspunkten zuletzt Bemerkenswertes geleistet. Dort sind 2,5 Millionen Flüchtlinge aus der Krisenregion in Syrien aufgenommen worden. Das verdient Anerkennung und nicht Kritik.“ …und im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen des Regimes Erdogan: „Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein.“ Wer sein Wertebewusstsein zurückstellt sowie mit doppelter Moral und doppelten Standards arbeitet, macht sich zum Spielball!

(06.03.2016)

 

 

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