Hans-Heinrich Dieter

Die NATO reformieren!   (02.12.2020)

 

Der NATO-Gipfel der Außenminister hat gestern am Nachmittag begonnen und dauert an. Oberschlaue Spekulativ-Kommentatoren schreiben aber schon munter bis gehässig über die Ergebnisse. Frankenberger kommentiert in der FAZ unter der Ãœberschrift: „Frischzellenkur gegen den Hirntod?“. Gutschker, FAZ, berichtet über die Ergebnisse einer von NATO-Generalsekretär Stoltenberg eingesetzten Expertengruppe: „NATO 2030: Vereint für eine neue Ära“ und meint, sie seien „die Antwort der NATO auf die „Hirntod“-Debatte, die der französische Präsident Macron vor einem Jahr angezettelt hatte – so als hätte es dieses widerlichen und diffamierenden Anstoßes bedurft. Und Jungholt, WELT, sieht bei seinem – vorzeitigen - Fazit die NATO als „Patient“ kurz vor dem Hirntod und den US-Präsidenten in der Rolle des Heilpraktikers: „Ob und wie schnell der Patient NATO genesen und dem Hirntod entrinnen wird, hängt am Ende immer ganz maßgeblich vom amerikanischen Präsidenten ab.“ An den Beispielen kann man gut erkennen was ein „tumber Trump“, der die NATO als „obsolet“ bezeichnet hat und der „hochstaplerische Illusionist Macron“ anrichten, wenn sie sich verleumderisch und diffamierend äußern: „Was wir gerade erleben, ist für mich der Hirntod der NATO.“

Die NATO hat die teilweise maßlose Kritik bis hin zu Verleumdungen nicht verdient, ist weder „hirntot“ noch „obsolet“ und steckt auch nicht „tief in der Krise“. Die NATO hat den Kalten Krieg gewonnen und ist das erfolgreichste Militärbündnis der modernen Geschichte. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die NATO allerdings nur marginal weiterentwickelt und sich den veränderten politischen Rahmenbedingungen in unserer globalisierten und inzwischen vom islamistischen Terror gekennzeichneten Welt nur unzureichend angepasst. Die NATO muss reformiert werden und dieser Prozess hat mit den Arbeiten der Expertengruppe bereits begonnen.

Wie hat sich die Lage entwickelt? Nach 1990 fühlte sich nicht nur Deutschland, sondern auch die NATO „nur von Freunden umgeben“. Die meisten NATO-Mitgliedstaaten nutzten die vermeintliche „Friedensdividende“ und verkleinerten ihre Streitkräfte. Die damit einhergehende Unterfinanzierung der Streitkräfte einiger NATO-Mitgliedstaaten führte zu nicht unerheblichen Einschränkungen der Einsatzfähigkeit in der Bündnisverteidigung. Der NATO-Russland-Rat wurde gegründet und man ging davon aus, dass Russland als Partner der westlichen Welt zu gewinnen sei.

Die NATO war aber als Militärbündnis der westlichen Welt nicht untätig. In den 90er Jahren hat sie auf dem Balkan eingegriffen und durch erfolgreiche Militäroperationen die Voraussetzungen für die Neuordnung der Region nach dem Zerfall Jugoslawiens geschaffen. Die NATO hat ab 2002 in Afghanistan die islamistischen Taliban und Al Quaida bekämpft. Bei den Bemühungen um die Errichtung eines funktionierenden Staatswesens mit eigenverantwortlichen leistungsfähigen Sicherheitskräften ist die NATO allerdings an der allgegenwärtigen Korruption, an den mittelalterlichen Clanstrukturen und an der mangelnden Bereitschaft der Mehrheit der Bevölkerung zur Demokratie weitgehend gescheitert.

Teile der NATO haben 2011 in Libyen sehr umstrittene Militäreinsätze mit der gefährlich einfachen "Strategie": "Gaddafi muss weg!" geführt und einen „failed State“ sowie eine Brutstätte der Kriminalität und des Terrorismus hinterlassen. Ein schlimmer Misserfolg! Und in Syrien hat die NATO nicht eingegriffen, weil es die dafür notwendigen UN-Resolutionen aufgrund des Russland-Vetos nicht gab.

Und dann hat der aggressive Neo-Imperialist Putin die Welt aufgeschreckt und deutlich gezeigt, wozu das heutige aggressive Russland fähig ist. Putin hat die Krim völkerrechtswidrig mit verdeckt agierenden russischen Soldaten für den russischen Staat erobert, handstreichartig und ohne unmittelbare Verluste. Er kann jetzt nach der Annexion dieser Halbinsel, auf der einst sowjetische Atom-U-Boote stationiert waren, die russische Schwarzmeerflotte freizügiger nutzen und das gesamte Schwarze Meer bis hin zur türkischen Küste kontrollieren.

Damit nicht genug, denn unser ehemaliger „Partner“ hat im Ukrainekonflikt mit einer Gemengelage von Waffenlieferungen und Unterstützungsmaßnahmen für Aufständische sowie Terroristen, mit verdeckt eingesetzten eigenen Spezialkräften, unter Nutzung prorussischer ethnischer Milizen, mit umfangreichen Geheimdienstoperationen und unterstützt durch großangelegte Propagandakampagnen permanent internationales Recht gebrochen, verletzt weiterhin die territoriale Integrität eines Nachbarstaates und destabilisiert souveräne Staaten bewusst politisch und wirtschaftlich.

Die NATO wurde überrascht, hat aber als Organisation des ehemaligen Kalten Krieges schnell und konsequent reagiert. Die NATO hat ihre schnellen Reaktionskräfte aktiviert, verstärkt und intensiv trainiert und darüber hinaus in Polen, in den baltischen Staaten und später in Norwegen großangelegte Militärmanöver durchgeführt sowie die NATO-Luftraum-Ãœberwachung intensiviert. Derzeit werden in Polen und in den baltischen Staaten NATO-Kampftruppenbataillone, darunter auch ein deutsches Bataillon in Litauen, auf Rotationsbasis stationiert. Daraufhin warf das aggressive Russland der NATO Abschreckungspolitik vor und Medwedew sprach in München 2016 von einem neuen kalten Krieg. Allein die Thematisierung durch Russland macht schon deutlich, dass die ehemaligen Partner „westliche Welt“ und „Russland“ sich erkennbar auseinanderentwickelt haben und durch die völkerrechtswidrige russische Annexion der Krim zu politischen Gegnern geworden sind. Dabei wird der „neue Kalte Krieg“ durch Medwedew nicht herbeigeredet, denn er hat ja - von Russland initiiert - bereits begonnen, auf der Grundlage des nuklearen Gleichgewichtes zwischen den USA und Russland und mit „heißen“ Anteilen russischer verdeckter und hybrider Kriegsführung.

Auf die neuen Herausforderungen ist die NATO noch nicht gut genug vorbereitet. Die NATO hat aber ihre Fähigkeiten in der Cyber-Kriegführung inzwischen verbessert. Das Militärbündnis hat aber noch keine ausreichenden Fähigkeiten, sich an internationalen Anti-Terror-Einsätzen zu beteiligen. Und die NATO hat noch keinen Instrumentenkasten, um zum Beispiel russischer verdeckter und hybrider Kriegsführung zu begegnen. Man hat bisher auch noch nicht definiert, wann ein hybrider Angriff auf einen Mitgliedstaat Gegenmaßnahmen auf der Grundlage des Artikel 5 des NATO-Vertrages zur Folge hat. Solche Bemühungen um Weiterentwicklung der NATO reichen aber bei weitem nicht aus. Denn es gilt vor allem, die Einsatzfähigkeit aller Streitkräfte der NATO-Mitgliedstaaten für die Bündnisverteidigung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages wiederherzustellen.

Dazu haben sich schon 2014 beim NATO-Gipfel in Wales die Mitgliedstaaten darauf geeinigt, die Verteidigungsinvestitionen bis 2024 auf einen 2 Prozent- Anteil des jeweiligen Brutto-Inlands-Produktes (BIP) zu steigern. Seitdem ist nahezu nichts geschehen und Deutschland als die wirtschaftlich sehr leistungsfähige Mittelmacht in Europa dümpelt derzeit noch bei blamablen 1.4 % herum. Außerdem müssen die Rüstungsausgaben in Europa besser koordiniert werden und die Rüstungskooperation ist zu verstärken. Schon US-Präsident Obama hat die Mitgliedstaaten nachhaltig aufgefordert, diese Vereinbarungen zu erfüllen. Aber erst die ungehobelte, undurchdachte Anti-NATO-Brüllerei von Trump hat die NATO-Mitglieder aufgeweckt und aufgeschreckt. Und China hat sich inzwischen zu einer aggressiven Großmacht im pazifischen Raum entwickelt und strebt in Konkurrenz zu den USA Supermachtstatus an. Die geostrategische Lage hat sich für die westliche Welt stark verändert und für das transatlantische Bündnis ergibt sich daraus eine neue strategische Lage, die in dem derzeit noch gültigen Strategischen Konzept der NATO von 2010 noch nicht abgebildet sein kann. Als Grundlage für die dringend nötigen Reformen der NATO muss dieses Strategische Konzept bis zum nächsten Gipfel 2021 überarbeitet werden. Die Vorarbeiten dazu sind schon geleistet, auch von der „Reflexionsgruppe“, die in ihrem Bericht Russland seit der Annexion der Krim und den Destabilisierungs-operationen in der Ukraine wieder als eine „ernste Gefahr“ für die gesamte NATO sieht und im Aufstieg Chinas zu einer „durchsetzungsstarken Weltmacht“ die zweite Hauptursache für die Wiederkehr eines „geopolitischen Wettbewerbs“ und einer multipolaren „Systemrivalität“ erkennt. Daraus ergibt sich eine neue geopolitische Sicherheits- und Bedrohungslage, auf die sich die NATO mit ihren Mitgliedern auf der Grundlage des neuen Strategischen Konzeptes gemeinsam einstellen muss.

Und diese „Gemeinsamkeit“ ist augenblicklich nicht gut genug gefestigt und wird teilweise durch Streitigkeiten gestört. Diese Streitigkeiten in der NATO sind derzeit hauptsächlich verursacht durch egozentrische, nationalistisch eingestellte Politiker wie Trump, Macron, Orban und Erdogan. Das Zusammenwirken der sicherheitspolitischen und militärischen Arbeitsebene funktioniert dagegen reibungsarm. Große Ãœbungen werden sehr erfolgreich durchgeführt und der Militäreinsatz zum Schutz der baltischen Staaten und Polens ist wirkungsvoll. Der Wert und die Bedeutung der NATO dokumentiert sich hier unverändert durch geteilte Sicherheitsinteressen und durch die gelebte Solidarität der beteiligten Mitgliedstaaten. Auf diese NATO ist weiterhin Verlass! Und so haben beim Gipfeltreffen zum 70-jährigen Jubiläum der NATO im Dezember 2019 die Mitgliedstaaten in einer gemeinsamen Abschlusserklärung ihre gegenseitige Beistandsverpflichtung betont und auch die Bedeutung der „transatlantischen Bindung zwischen Europa und Nordamerika“ hervorgehoben. Wenn die NATO ihre Zusammenarbeit verbessert und zu stärkerer Solidarität zurückfindet, hat sie eine gesunde Zukunft!

Und da die wichtige Zusammenarbeit mit den USA neu gestaltet, sowie Vertrauen in der transatlantischen Allianz erst wieder aufgebaut und gefestigt werden müssen – mit noch unsicherem Ausgang – sollte sich die Europäische Union stärker einbringen. Und solange eine „europäische strategische Autonomie“ illusorisch ist und der „nukleare Zwerg“ Frankreich Europa keine hinreichende nuklearstrategische Sicherheit bieten kann, muss die EU sich insgesamt stärker einbringen. Außenminister Maas sagt richtig, Ziel müsse ein „starkes und souveränes Europa innerhalb der NATO“ sein.  

Deswegen müssen die europäischen NATO-Mitgliedstaaten zusammen mit der EU alle Anstrengungen unternehmen, um die USA mit ihrer nuklearen Zweitschlagskapazität im Transatlantischen Bündnis zu halten, denn nur die NATO mit den militärischen Fähigkeiten der USA kann mittelfristig die Sicherheit Europas gewährleisten. Oder mit den Worten von de Maizière (CDU): „Die NATO ist unsere Lebensversicherung!“

(02.12.2020)

 

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