Hans-Heinrich Dieter

Die NATO in der Corona-Krise   (02.05.2020)

 

Die Corona-Pandemie mit ihren erkennbar verheerenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen hält die Welt in Atem. Die Pandemie wird aber auch als Chance gesehen, Solidarität zu üben und sich gegenseitig zu unterstützen.

Die NATO findet sich sehr schnell in die Rolle eines Krisenhelfers hinein. Hauptsächlich geht es um Lufttransporte und medizinische Hilfe. Die NATO kann hier schnell und nachhaltig helfen, weil sie führungsfähig und so strukturiert ist, dass sie Krisen bewältigen kann. Und die NATO verfügt über Großraumflugzeuge und Truppentransporter, mit denen medizinisches Material aber auch Schwerkranke verbracht werden können. Bisher hat die NATO in der Corona-Pandemie erfolgreich unterstützt.

Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass die NATO ein transatlantisches Bündnis ist, um die NATO-Mitglieder gegebenenfalls durch Landes- und Bündnisverteidigung zu schützen. Für diese Hauptaufgabe muss die NATO einsatzfähiger gemacht werden und einsatzbereit bleiben. Denn Solidarität und gegenseitige Unterstützung während der Pandemie ist begrüßenswert, macht die Welt aber nicht sicherer. Man kann im Gegenteil davon ausgehen, dass die Corona-Krise mit anschließender Wirtschafts- und Finanzkrise die Welt instabiler und unsicherer machen wird.

Darüber hinaus wird jetzt schon deutlich, dass Russland und China versuchen, die Pandemie für ihre Zwecke auszunutzen. Im Baltikum wurden vermehrt unangekündigte russische Manöver beobachtet und in der Nordsee hat man eine verstärkte russische Flottenpräsenz festgestellt. Im März 2020 wurden über dem Atlantik mehrere strategische Langstreckenflugzeuge der russischen Luftwaffe abgefangen. Die Flugzeuge flogen zwar im internationalen Luftraum, allerdings ohne ein eigenes Signal zu senden. Auch über der Ostsee werden fast täglich russische Militärflugzeuge ohne Transpondersignal gesichtet und begleitet. Aus Sicht der NATO versucht Russland so eigene Einsatzbereitschaft während der Pandemie zu demonstrieren und die Einsatzbereitschaft der westlichen Allianz zu testen. Im Rahmen eines Treffens der NATO-Außenminister sagte Generalsekretär Stoltenberg in Brüssel: „Es ist unser vorrangiges Ziel, sicherzustellen, dass aus dieser Gesundheitskrise nicht eine Sicherheitskrise wird“. … „Wir müssen weiterhin zu Land, zur See und in der Luft präsent sein.“

Außerdem hat Stoltenberg Russland und China für die Verbreitung von Falschnachrichten - „Desinformation und Propaganda“ - in der Corona-Krise verantwortlich gemacht. Beide Länder versuchten, den Zusammenhalt des Bündnisses zu untergraben und die NATO falsch darzustellen, indem sie behaupteten, dass sich NATO-Staaten bei der Bekämpfung der Pandemie nicht gegenseitig unterstützten. Die amerikanische NATO-Botschafterin Kay Bailey Hutchison zeigte sich „sehr besorgt“ über solche Desinformation und „böswillige Einflussnahme“ aus Russland und China. Die Corona-Pandemie wird also die seit der Annexion der Krim sich anhaltend verschlechternde internationale Sicherheitslage erkennbar nicht verbessern. Deswegen ist es so wichtig, die Einsatzfähigkeit der NATO in der gemeinsamen Landes- und Bündnisverteidigung zu steigern.

Alle NATO-Mitglieder sind mehr oder weniger von der Corona-Krise betroffen. Die jetzt schon angehäuften Schulden der Mitgliedstaaten zur Stützung der Volkswirtschaften werden bis 2040 nicht zu tilgen sein. Mit einem Rückgang des BIP im Jahr 2020, der auf EU-Ebene zwei- bis dreimal so hoch sein könnte wie nach der Finanz-Krise von 2008, besteht die Gefahr, dass die Verteidigungs-Investitionen im Rahmen der wirtschaftlichen Erholung und jeweiligen Haushaltskonsolidierung bei den europäischen NATO-Mitgliedern nicht den NATO-Vereinbarungen entsprechend geleistet werden. Das würde den berechtigten Sicherheitsinteressen der NATO und der EU schaden – auch, weil die NATO auf die neuen Herausforderungen noch nicht gut genug vorbereitet ist.

Die NATO muss ihre Fähigkeiten in der Cyber-Kriegführung verbessern. Das Militärbündnis hat noch keine ausreichenden Fähigkeiten, um sich an internationalen Anti-Terror-Einsätzen zu beteiligen. Und die NATO hat noch keinen Instrumentenkasten, um zum Beispiel russischer verdeckter und hybrider Kriegsführung zu begegnen. Man hat bisher auch noch nicht definiert, wann ein hybrider Angriff auf einen Mitgliedstaat Gegenmaßnahmen auf der Grundlage des Artikel 5 des NATO-Vertrages zur Folge hat. Solche Bemühungen um Weiterentwicklung der NATO reichen aber bei weitem noch nicht aus. Denn es gilt vor allem, die Einsatzfähigkeit aller Streitkräfte der NATO-Mitgliedstaaten für die Bündnisverteidigung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages wiederherzustellen. Deutschland will das nach bisheriger Planung mit der Bundeswehr bis 2031 erreichen. Dazu muss aber die Mittelfristige Finanzplanung mehr Finanzmittel einplanen als bisher vorgesehen.

Außerdem ist die amerikanische Nukleargarantie für die europäischen Verbündeten seit der Ära Trump nicht mehr glaubhaft und gesichert. Deswegen müssen die europäischen NATO-Mitgliedstaaten zusammen mit der EU alle Anstrengungen unternehmen, um die USA mit ihrer nuklearen Zweitschlagskapazität im Transatlantischen Bündnis zu halten, denn nur die NATO mit den militärischen Fähigkeiten der USA kann die Sicherheit Europas gewährleisten.

Die europäische Abhängigkeit von den USA bleibt Tatsache und deswegen ist die Sicherheit Europas nur durch eine handlungsfähige Union in engem Zusammenwirken mit einer gestärkten NATO zu gewährleisten. Das heißt aber auch, dass alle NATO-Partner ihre Verpflichtungen trotz der gravierenden Auswirkungen der Corona-Pandemie im Hinblick auf die Bündnisverteidigung gemäß NATO-Vertrag erfüllen müssen – auch im Hinblick auf die vereinbarten Verteidigungsinvestitionen!

Wenn die NATO ihre Zusammenarbeit verbessert und zu stärkerer Solidarität zurückfindet, hat sie Zukunft! Nur mit der NATO ist – realpolitisch – eine gesicherte Zukunft Europas zu garantieren!

(02.05.2020)

 

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