Hans-Heinrich Dieter

Deutsche Debattenkultur   (03.09.2017)

 

Der scheidende BundestagsprĂ€sident Lammert hat sich in einem bemerkenswerten  Deutschlandfunk-Interview zu der sich in Deutschland wandelnden Debattenkultur geĂ€ußert.

Was mich besonders interessiert hat, ist die Feststellung Lammerts, dass Interviews in den Medien heute „vorrangig der Produktion von Agenturmeldungen“ dienen, um vermeintliche „Nachrichten“ zu produzieren, die eigentlich die Verbreitung von herausgelockten Meinungen sind: 'Lammert fordert', 'Lammert kritisiert', 'Lammert wirft vor', 'Lammert weist zurĂŒck'. Und immer geht es um möglichst markante Schuldzuweisungen fĂŒr ein unzureichend aufbereitetes Problem. Als intensiver Hörer des Leitmediums Deutschlandfunk werde ich mit diesem PhĂ€nomen tagtĂ€glich ab 0500 Uhr im Rahmen der „Informationen am Morgen“ konfrontiert. Mich stört erheblich, dass zwischen der Nachricht und der als Nachricht verbrĂ€mten Meinung Einzelner oder Ausgesuchter zu wenig und zu unsauber differenziert wird. Das ist unsaubere journalistische Arbeit!

Denn der erste und wichtigste Grundsatz journalistischer Arbeit lautet: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der MenschenwĂŒrde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Und außerdem muss eine Nachricht von mindestens zwei Quellen bestĂ€tigt sein! Bei vielen der „Nachrichten“ im Hörfunk und in Veröffentlichungen ist die Orientierung an diesen GrundsĂ€tzen nicht erkennbar. Medien, die stĂ€ndig auch von der Politik Transparenz fordern, sollten selbst transparenter und besser arbeiten, um vertrauenswĂŒrdig zu sein. Und in unserer digitalen Zeit mit einem breiten Informationsangebot im Internet ist es umso wichtiger, dass die QualitĂ€tsmedien in ihren Online-Auftritten am Pressekodex orientiert berichten, um das Vertrauen der BĂŒrger zu erhalten und um durch QualitĂ€tsinformationen, als wesentlicher Teil einer verbesserten Informationskultur, eine intellektuelle Grundlage fĂŒr eine verbesserte Debattenkultur zu bieten.

Was Lammert in seinem Interview nicht thematisiert, ist die unzureichende Debattenkultur im politischen Alltag. Das liegt einerseits daran, dass die Verrohung in der Diskussionssprache durch Medien und Politiker hauptsĂ€chlich dem Internet - quasi als SĂŒndenbock - zugeordnet wird. Das liegt aber auch an der oft eingeschrĂ€nkten FĂ€higkeit von Politikern und Journalisten zur Selbstkritik und am mangelnden VerstĂ€ndnis fĂŒr die Belange des vermeintlich „kleinen Mannes auf der Straße“. Viele Politiker und Journalisten erscheinen abgehoben und nehmen sich nicht die Zeit, die BĂŒrger „mitzunehmen“. Und sie haben offenbar oft nicht die Zeit, sich mit anstehenden Problemen als Grundlage fĂŒr Diskussion und Debatte intensiv und grĂŒndlich auseinanderzusetzen. Das fĂŒhrt dazu, dass man der Diskussion mit dem politischen Gegner ausweicht und das damit erklĂ€rt, dass man solche „rechts-radikalen Stammtischstrategen“  als Mitglied der Politik-„Elite“ durch die Beteiligung an einer Diskussion nicht aufwerten will. Dabei sind solche Politiker hĂ€ufig zu feige und möglicherweise auch zu wenig befĂ€higt, sich der Diskussion zu stellen. Da verunglimpft man lieber solche Politiker als „National-Konservative“, „radikale Scharfmacher“ und als „islamophobe Fremdenfeinde“ und merkt ĂŒberhaupt nicht, dass man die nicht wenigen WĂ€hler, die aus der jeweils eigenen Partei abgewandert sind, gleich mit beleidigt. Wenn Ausgrenzungen, Beleidigungen, sowie Verunglimpfungen die Diskussion und die politische Debatte ersetzen und der politische Gegner als Feind betrachtet wird, dann kann man von einer verkommenen und geradezu undemokratischen „Debatten-Kultur“ sprechen. Nach 23 Jahren verlĂ€sst Dagmar Wöhrl (CSU) nun den Bundestag. Sie attestiert vielen Abgeordneten eine vorgefertigte Meinung und zu wenig Fachwissen: „Mir fehlt heute im Bundestag die Diskussionskultur“. Nicht nur der BundestagsprĂ€sident ist also unzufrieden!

Diese unschöne Lage wird dadurch verschĂ€rft, dass viele Journalisten die schnellen, plakativen und hĂ€ufig undifferenzierten Politiker-Aussagen auf der Grundlage ihrer selbstdefinierten political correctness verbreiten und das „Mainstream-Bashing“ zum Beispiel der AfD massiv verstĂ€rken. Politik und Medien haben einfach zu spĂ€t gemerkt, dass es nicht sinnvoll ist, stets nur auf die AfD und ihre WĂ€hler „einzuprĂŒgeln“ und sie haben auch dadurch die Debattenkultur verkommen lassen.

Journalisten, die keine eigenstĂ€ndige Recherche machen, die nicht klar zwischen Meinung und Bericht trennen, die deshalb ihre Aufgabe nicht neutral, fair, verantwortungsbewusst, wahrheitsgemĂ€ĂŸ sowie mit VerstĂ€ndnis und Augenmaß wahrnehmen, verlieren ihre GlaubwĂŒrdigkeit und das Vertrauen der BĂŒrger. Wenn Journalisten aber ihre FĂ€higkeit zur Selbstkritik stĂ€rken und sich darum bemĂŒhen, ihre Arbeit im Sinne des Pressekodex an der Wahrheit orientiert zu machen, werden sie das Vertrauen der BĂŒrger zurĂŒckgewinnen können.

Das Internet ist dabei, die Informationsgesellschaft zu revolutionieren und zu demokratisieren, weil die "alten" Medien ihr Monopol, Meinungen zu beeinflussen, verloren haben. Die interessierten und mĂŒndigen BĂŒrger sind heute zwar weniger abhĂ€ngig von schlechtem Journalismus, brauchen aber guten Journalismus öffentlich-rechtlicher Medien und der QualitĂ€tspresse als Korrektiv. Diesen Bedarf sollten gut ausgebildete Journalisten decken wollen. Die Journalisten mĂŒssen durch eine verbesserte Informationskultur die Debattenkultur kurieren!

(03.09.2017)

 

Bei Interesse an der Thematik lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/pressefreiheitundmeinungsmache.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/feigheitvordemjournalismus.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/tendenz-funk.html

 

 

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