Hans-Heinrich Dieter

60 Jahre Bundeswehr   (12.11.2015)

 

Die Bedeutung der Bundeswehr für die Erhaltung unseres Friedens in Freiheit und die Leistungen der Staatsbürger in Uniform in 60 Jahren der bundesdeutschen Geschichte wurden am 11.November 2015 vor dem Reichstag mit einem Festakt gewürdigt. Die Soldaten der Bundeswehr haben das vielfältige Lob in sehr würdigem Rahmen mit sichtbarem Bezug zum deutschen Parlament verdient. Aber Lob von politisch Verantwortlichen ist als Geburtstagsgeschenk allein nicht ausreichend.

Bundestagspräsident Lammert betonte in seiner Ansprache die Einzigartigkeit der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Keine andere Volksvertretung hat in demokratischen Staaten das Recht, letztendlich über den Einsatz von Streitkräften zu entscheiden wie der Deutsche Bundestag. Nur der Bundestag kann verfügen, wann, wo, wie viele deutsche Soldaten mit welchem Auftrag - weltweit - eingesetzt werden. Mit diesem Recht sind aber auch Verpflichtungen und eine hohe Verantwortung verbunden.

Wenn der Bundestag über den Einsatz von deutschen Soldaten entscheidet, dann sollte vorher vom Parlament definiert werden, welche vitalen Interessen zum Wohle des Gemeinwesens nötigenfalls mit dem Einsatz deutscher Soldaten vertreten werden sollen. Eine solche Definition sicherheitspolitischer Interessen gibt es bisher nicht - ein Versäumnis auch der deutschen Volksvertretung.

Das mit der Wiedervereinigung seit 25 Jahren souveräne Deutschland verfügt bis heute nicht über eine sicherheitspolitische Gesamtstrategie und erarbeitet auch keine strategischen Vorstellungen für die jeweiligen Einsätze der Bundeswehr. Weil Deutschland nicht weiß, was es sicherheitspolitisch wirklich will - außer als geschätzter Partner „mitzumachen“ - vermeiden wir geradezu nationale sicherheitspolitische Festlegungen, um nicht daran gemessen werden zu können. Beim Mitmachen stützen wir uns auf Bündnisdokumente, ohne ihnen jedoch immer gerecht zu werden, wie am Beispiel unserer, an NATO-Vereinbarungen gemessenen, unzureichenden Verteidigungsinvestitionen zu erkennen ist. Diese reaktive sicherheitspolitische Rolle und die damit verbundene Beliebigkeit haben Auswirkungen auf die Streitkräfte.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Bartels, hält die Streitkräfte wegen Ausrüstungsmängeln am Geburtstag nur noch für bedingt abwehrbereit, deswegen müsse die Schere zwischen sicherheitspolitischem Anspruch und Bundeswehr-Realität geschlossen werden. Diese nüchterne und erschütternde Feststellung wird kaum ein Volksvertreter sachlich widerlegen können. Die Bundeswehr ist seit Jahren unterfinanziert und wurde regelrecht in die „bedingte Abwehrbereitschaft“ hineingespart. Hier ist der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung für die Parlamentsarmee Bundeswehr nicht gerecht geworden. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Einsatz- und Bündnisfähigkeit.

Die Durchhaltefähigkeit der Verbände und ihres Materials ist eingeschränkt angesichts unterschiedlichster Aufgaben und solcher massiver Sparzwänge. Die Bundeswehr wurde einseitig auf Einsätze wie Afghanistan ausgerichtet. Russische Aggressionen und Völkerrechtsverletzungen haben nun die Bündnisverteidigung wieder in den Vordergrund gerückt, dazu muss die Befähigung zum Gefecht verbundener Waffen sowohl materiell als auch durch Ausbildung wiedergewonnen werden. Hinzu kommen bedenkliche Mängel bei den wichtigsten Großsystemen und Verzögerungen bei mehreren zentralen Rüstungsprojekten. Wirksame Einsätze, die unseren Bündnisinteressen dienen, lassen sich derzeit kaum über längere Zeit realisieren, auch nicht im Verbund mit Partnern der NATO.

Bei der Geburtstagsfeier sagte Verteidigungsministerin von der Leyen, Deutschland müsse jetzt beim Einsatz in Afghanistan Verlässlichkeit beweisen und wir müssten unserer gestiegenen sicherheitspolitischen Verantwortung in der Welt gerecht werden. Das sehen auch unsere Bündnispartner so. Deswegen muss die Bundeswehr dafür auch befähigt werden. Dazu müssen die verteidigungsinvestiven Entscheidungen unverzüglich getroffen werden, denn die Herstellung der vollen Abwehrbereitschaft der Bundeswehr ist von der Lageentwicklung her dringend geboten und braucht Zeit.

Für diese Bundeswehr soll nun die Obergrenze der in Afghanistan im Rahmen der Beratungs- und Ausbildungsmission „Resolute Support“ eingesetzten Soldaten von derzeit 850 auf 980 erhöht werden. Dazu sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Arnold, entlarvend: „Der Auftrag wird nicht verändert. Aber die Bundeswehr muss auch in die Lage versetzt werden, ihn zu erfüllen“. Das heißt, dass das Parlament die Soldaten bisher in einen Einsatz geschickt hat, ohne sie für die Auftragserfüllung hinreichend ausgestattet zu haben. Der Punkt ist aber, dass die Sicherheitslage  sich in Afghanistan dramatisch verschlechtert hat, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, den Terror der Taliban und des IS einzudämmen und auch die Sicherheit der in Afghanistan eingesetzten NATO-Truppen, zivilen Hilfsorganisationen sowie Entwicklungshelfern zu gewährleisten.

Die Lage in Afghanistan erfordert also eine grundlegende neue Lagebeurteilung und eine entsprechende Entscheidung über das zukünftige Engagement am Hindukusch. Geringfügiges zahlenmäßiges Anheben von Obergrenzen genügt da nicht. Für Deutschland ist es aber typisch, dass Regierungskreise schon jetzt ohne Diskussion im Parlament und ohne die anstehende NATO-Tagung zu Afghanistan abzuwarten betonen, dass das neu zu beschließende Mandat eine Rückkehr zum Kampfeinsatz ausschließe. Aufgabe der Bundeswehr bleibe ausschließlich die Beratung der Afghanen. Gemessen an der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage Afghanistans war die Beratung durch NATO-Truppen aber offensichtlich nicht hinreichend und nicht erfolgreich.

Erforderlich wäre sicher ein robustes Mandat auch für die Soldaten der Bundeswehr mit der Befähigung zur erfolgreichen Selbstverteidigung und für die Begleitung und aktive Unterstützung von Kampfeinsätzen der Afghanen gegen die Taliban und gegen den IS. Angesichts der parlamentarischen Versäumnisse und der parlamentarischen Verantwortung für die unzureichende Einsatzfähigkeit der Bundeswehr werden die Volksvertreter einmal mehr den erforderlichen kriegerischen Einsatz von Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan vermeiden wollen.

So wird Deutschland seiner gestiegenen sicherheitspolitischen Verantwortung und den Erwartungen unserer Bündnispartner nicht gerecht.

(12.11.2015)

 

 

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