Hans-Heinrich Dieter

Ohne Ziele und Kompass  (26.09.2012)

 

Die jüngere deutsche Geschichte zeigt, dass sich die deutschen Regierungen bis zur Vereinigung Deutschlands in der eingeschränkten Souveränität gut eingerichtet hatten, sich willig in multinationale Entscheidungsstrukturen einbrachten und mit Hinweis auf die deutsche Geschichte internationale sicherheitspolitische Verpflichtungen mieden. Weil Deutschland international nicht führen wollte, hat es auch seine vitalen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Interessen nicht definiert und keine außenpolitischen Konzepte formuliert. Deutschland war lieber "Mitglied" und hat während des kalten Krieges im transatlantischen Rahmen, in der NATO und in der EU musterschülerhaft "mitgemacht". Präsident Bush hat 1989 im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung Deutschland ein "Partnership in Leadership" angeboten. Deutschland fühlte sich durch diese Aufforderung, einen Führungsanspruch geltend zu machen, geehrt aber gleichzeitig überfordert und von der damit verbundenen Verantwortung abgeschreckt.

Auch nach der deutschen Vereinigung hat das nun souveräne Deutschland in den maßgeblichen Politikfeldern keine eindeutigen und verbindlichen politischen Ziele, Interessen, Vorgaben und Konzepte definiert und so fehlen Grundlagen für eine nachhaltige politische Führung Deutschlands und erst recht fehlen politische Vorstellungen zur Übernahme einer Führungsrolle im europäischen Rahmen. Da Deutschland keine langfristigen Ziele formuliert hat, ist der beste Kompass weniger hilfreich.

Inzwischen wissen die USA, dass die größte Mittelmacht der EU, Deutschland, nicht für ein „partnership in leadership“ taugt und die Vereinigten Staaten sind entsprechend frustriert, dass Deutschland und die europäischen Verbündeten viel zu wenig in das gemeinsame Verteidigungsbündnis NATO einbringen, um es auf Dauer als voll funktionsfähiges und damit nützliches Instrument transatlantischer Politik zu erhalten. Und die USA sind unzufrieden, dass Deutschland, die EU und die Euro-Gruppe die Schulden- und Finanzkrise nicht nachhaltig bewältigen und darüber hinaus in wesentlichen Politikfeldern nicht in der Lage sind, das politische Gewicht in gemeinsame Maßnahmen und Erfolge bei der Bewältigung globaler Herausforderungen umzusetzen. Und Deutschland ist mehr denn je einem Führungsanspruch in Europa ausgesetzt.

Denn in der heutigen politischen Lage kann sich das mit Europa stark verwobene Deutschland als wirtschaftsstärkste aber exportabhängige Mittelmacht nicht mehr in europäischen Beratungsstrukturen verstecken und nur freundlich mitmachen, wenn es seine Interessen wahrnehmen will. Deutschland ist nun einmal nicht mehr gleich unter Gleichen. In diesem Sinne meint Führung ja auch nicht, dass Europa am deutschen Wesen genesen soll. Deutschland muss lediglich seine Interessen in Europa unter Berücksichtigung der Vorstellungen und Interessen der anderen Partner und des gesetzten Rahmens der Grundlagen und Institutionen der Europäischen Union nachdrücklich wahrnehmen. Dabei muss Deutschland für seine Partner eine politisch berechenbare Größe sein.

Dazu muss Deutschland seine vitalen politischen Ziele und Interessen in und für Europa, auch für die europäischen Partner nachvollziehbar, formulieren, damit deutsche Politik weniger beliebig, sondern grundsatzorientierter wird und damit immer dann, wenn von Deutschland nachhaltige Führung in Europa erwartet wird, die jeweilige Politik auch vertrauensvoll als "europäisch" verstanden werden kann. Angstgetriebene, schlecht begründete, hektische und mit den europäischen Partnern nicht abgestimmte Politik wie die deutsche Energiewende, ist in solchen Zusammenhängen kontraproduktiv, schafft Misstrauen und könnte mit stärkerer und seriöser Grundsatzorientierung vermieden werden.

In diesen Tagen wird Altkanzler Helmut Kohl geehrt. Hätte er Deutschland mit der Wiedervereinigung und Souveränität einen "politischen Kompass" gegeben, dann wäre er als großer Kanzler zu ehren gewesen und dann könnten wir uns heute unserer gewachsenen Verantwortung entsprechend weniger willfährig und selbstbewusster in Europa und in die Weltpolitik einbringen. Kanzlerin Merkel muss Versäumnisse der Vergangenheit dringend aufarbeiten. Denn um in Europa auch zukünftig erfolgreich zu sein, hat Deutschland mit nur wenigen Zeitreserven noch erhebliche und grundsätzliche politische Arbeit zu leisten. Das geht sehr weit über die ständigen Bemühungen um die Beruhigung der Finanzmärkte hinaus und schließt eine an langfristigen Zielen und Konzepten orientierte Sicherheitspolitik natürlich ein.

Politisches deutsches Handeln ohne Ziele und Kompass betrifft aber leider nicht nur die Außen- und Sicherheitspolitik sondern belastet Deutschland und seine Bürger in fast allen Politikfeldern. Und einer Regierungskoalition, die tagtäglich prinzipien- und kozeptionslos mittels taktischer Spielchen zerstritten agiert und so stümperhaft das Vertrauen der Bürger verspielt, traut man einen großen politischen Wurf leider nicht mehr zu.

Es bleibt wohl wie es war, Deutschland navigiert nicht zielorientiert, es laviert ohne konkrete Ziele um politische Eckpunkte herum. Da stellt sich dem kritischen Bürger durchaus die Frage nach der zukünftigen Tragfähigkeit unseres politischen Systems. G B Shaw sagte: „Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden als wir es verdienen.“ Wir Bürger tragen demnach die Hauptverantwortung für die politischen Zustände.

(26.09.2012)

 

 

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