Hans-Heinrich Dieter

Looser Erdogan   (02.04.2024)

 

Vor 30 Jahren hat eine Bürgermeisterwahl in Istanbul eine neue Ära in der Türkei eingeleitet: Damals betrat Erdogan die politische Bühne. Jetzt hat eine Wahl am Bosporus das Ende von Erdogans langer Karriere eingeläutet. Der Präsident hat die Kommunalwahl in Istanbul und in anderen Landesteilen zusammen mit seiner AKP am Sonntag krachend verloren. Zum ersten Mal seit dem weiteren Aufstieg von Erdoğan vor zwanzig Jahren ist seine Partei bei Wahlen nicht mehr stärkste Kraft.

An den Machtverhältnissen in der Türkei wird sich aber vorerst wohl nicht viel ändern. Denn in der zentralistischen Türkei haben die Bürgermeister wenig Einfluss und Gestaltungsspielraum. Der Präsident hat fast uneingeschränkte Macht, und auch im Parlament verfügen seine AKP und ihre Verbündeten über eine komfortable Mehrheit. Was sich allerdings zu ändern scheint, ist die politische Haltung und Stimmung der Türken. Zudem ist der AKP erstmals aus dem eigenen religiös-konservativen Lager ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Und das macht dann schon Hoffnung. Zum ersten Mal seit langer Zeit erscheint eine Entwicklung möglich: von der Autokratie des antisemitischen Möchtegern-Sultan Erdogan zu einer Demokratie im Sinne des Staatsgründers Atatürk!

Denn zum ersten Mal seit fast einem halben Jahrhundert erhielt die CHP, die Partei des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, bei einem Urnengang landesweit am meisten Stimmen. Mindestens so groß wie dieser Triumph der CHP ist die krachende Niederlage der AKP von Präsident Erdogan. Die religiös-konservative Partei ist zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 23 Jahren nicht mehr wählerstärkste Kraft des Landes. Atatürk hat eine säkulare Demokratie aufgebaut und eine enge Zusammenarbeit mit Europa angestrebt. Erdogan hat diese Entwicklung unterbrochen und eine islamische Autokratie entwickelt, die die Türkei zu einem unbrauchbaren EU-Mitgliedskandidaten und zu einem unsicheren NATO-Mitglied werden ließ. Und auch die jüngste Entwicklung hat große Teile der Bevölkerung verärgert. Die Inflation lag zuletzt bei 67 Prozent. Auch andere Wahlversprechen wurden von Erdogan nicht eingelöst. Und der Wiederaufbau im Erdbebengebiet stockt erheblich. Erdogan hat viel Vertrauen verloren – zurecht!

Deswegen ist die Hoffnung nicht unbegründet, dass sich die Türkei wieder zu einer Demokratie entwickelt, die die Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt. Das wünsche ich der türkischen Bevölkerung!

(02.04.2024)

 

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