Hans-Heinrich Dieter

Zahnlose Bundeswehr   (11.02.2018)

 

Bei der Lektüre des Sondierungsergebnisses habe ich auch über die Rolle der Verteidigungsministerin nachgedacht: „In dieser Arbeitsgruppe kann Frau von der Leyen nicht mitgearbeitet haben, oder sie hat versagt. Sicherheitspolitik ist offenbar kein bedeutender Teil vernetzter deutscher Politik mehr und wird deswegen nicht thematisiert. Kein Wort zur NATO, keine Erwähnung der erneuten Notwendigkeit der Friedenserhaltung durch Abschreckung und der dazu erforderlichen Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung. Offensichtlich kennt keiner der Verantwortungsträger das neue Weißbuch der Bundeswehr inhaltlich!“ Insgesamt kann man feststellen, dass die zwischen CDU/CSU und SPD sondierten Kompromisse keinen Aufbruch zu neuen Ufern zulassen. Und für den „Sanierungsfall“ Bundeswehr kommt weit weniger heraus als beim bisher bekannten, wenig inspirierenden „Weiter so“ à la Merkel! Da war ich natürlich besonders gespannt auf die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen.

Ich war besonders gespannt und bin jetzt besonders – aber nicht unerwartet - enttäuscht. Beim Thema Europäische Außen- und Sicherheitspolitik wird zwar der Bedarf einer kraftvollen gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik und in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung und Notwendigkeit einer intensiven Zusammenarbeit mit der NATO thematisiert und die Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung, aber inhaltlich wird sonst hauptsächlich die bekannte Phraseologie wiederholt: „Die NATO bleibt unverzichtbarer Garant und ist Fundament unserer Sicherheit. Deutschland ist und bleibt ein verlässlicher Partner in der Allianz. Wir wollen den europäischen Beitrag zur transatlantischen Partnerschaft stärken und setzen uns für eine engere Zusammenarbeit der NATO und der EU ein. Wir wollen die vereinbarten NATO-Fähigkeitsziele erreichen und Fähigkeitslücken schließen.  Deutschland wird auch künftig einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und zu einer starken europäischen Verteidigung leisten.“ Das klingt eigentlich ganz erfreulich und weckt Erwartungen – aber…

Unter der Ãœberschrift „Moderne Bundeswehr“ werden diese Erwartungen dann vertieft und erweitert: „Die Bundeswehr ist Garant unserer Sicherheit. Gemeinsam mit unseren Partnern leistet sie entscheidende Beiträge zum Schutz und zur Verteidigung unseres Landes und unserer Verbündeten. Innerhalb des umfassenden und vernetzten Ansatzes engagiert sie sich weltweit für Frieden und Sicherheit. …  Damit die Bundeswehr die ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann, werden wir den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen – dies gilt insbesondere auch für den Bereich der persönlichen Ausstattung. Hierzu werden wir die in der Bundeswehr eingeleiteten Trendwenden Personal, Material und Finanzen konsequent fortführen.“ Weil aber keine der Trendwenden Personal, Material und Finanzen bisher Erfolge erzielt haben, werden weitere Forderungen und Erwartungen formuliert: „Kern der Einsatzbereitschaft und aller Fähigkeiten der Bundeswehr ist ausreichendes, qualifiziertes und hochmotiviertes militärisches und ziviles Personal. Deswegen muss die Bundeswehr auch in den kommenden Jahren ein moderner, wettbewerbsfähiger, demografiefester und attraktiver Arbeitgeber bleiben, der jederzeit über entsprechende Kräfte verfügt. Gute Arbeitsbedingungen sind Grundvoraussetzung für arbeitszufriedene und leistungsstarke Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir werden dazu die Gedanken der Agenda Attraktivität und die Personalstrategie der Bundeswehr weiterentwickeln und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. …  Wir werden die Ausbildungsstrukturen der Bundeswehr sowie ihre Führungs- und Ausbildungskultur in einer „Trendwende Ausbildung“ evaluieren, überprüfen und weiterentwickeln. Dort, wo es sinnvoll ist, wollen wir die Strukturen der bisher in weiten Teilen zentralen Ausbildung wieder in die Truppe zurückführen. Dabei wird der Verteidigungsausschuss eingebunden. … Wir werden neben der Sicherstellung der nachhaltigen Finanzierung der Bundeswehr die notwendigen Voraussetzungen schaffen zur Gewährleistung überjähriger Planungs- und Finanzierungssicherheit für Rüstungsinvestitionen.“ (Der letzte Aspekt ist sehr positiv zu werten, wenn er denn realisiert wird.)

Hier wird sehr deutlich, dass die Ministerin am Koalitionsvertrag mitgearbeitet hat. Sie hat aber hauptsächlich sprachlich erheblichen Einfluss genommen, indem sie ihre Lieblingsvokabeln und Sprechblasen eingebracht hat, die für die Sanierung der kaputtgesparten Bundeswehr und für die allmähliche Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte stehen sollen. Realpolitisch hat sie sich allerdings im Koalitionsvertrag nicht erfolgreich ausgewirkt. Für die Aussicht auf Erfolg bei den „Trendwenden Personal, Material und Finanzen“ hat von der Leyen 2016 vorgerechnet, dass sie allein für die notwendigen Investitionen in die Ausrüstung 130 Milliarden Euro in den nächsten 15 Jahren braucht. Das sind etwa neun Milliarden Euro jährlich zusätzlich zum jeweiligen Finanzplan. Im 51. Finanzplan wurde für die nächsten vier Jahre ein moderater Aufwuchs des Budgets vereinbart, von 38,5 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf 42,4 Milliarden Euro 2021. An diesem Finanzplan soll grundsätzlich festgehalten werden – immerhin – aber Erfolg sieht ganz anders aus, denn in den nächsten vier Jahren sollen über den Finanzplan nur jährlich 250 Millionen Euro bereitgestellt werden – ein zu kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein, oder wie die FDP sagt, „ein Witz“!

Die Staatsbürger in Uniform dürfen richtig unzufrieden sein, denn die dringend erforderliche Finanzierung zur sehr umfangreichen Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte wird auch im Entwurf des Koalitionsvertrages nicht gewährleistet. Die Erwartungen, die durch die bekannte Phraseologie und die abgenutzten Sprechblasen geweckt werden, können auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages nicht erfüllt werden – kurz gesagt, die Ministerin war erneut erfolglos. Aufgrund der ins Auge gefassten Finanzierung bleibt die Bundeswehr zunächst ein „Sanierungsfall“. Das verhindert Attraktivität, denn wer will schon in lediglich bedingt einsatzfähigen Streitkräften dienen, in denen schon durch unzureichende Ausrüstung eine erfolgreiche Auftragserfüllung in Frage gestellt ist? Attraktivität wird aber auch durch erkennbar gute Menschenführung erzeugt und da hat die Ministerin in 2016/17 viel Vertrauen verspielt! Durch ihren Beitrag zu diesem Koalitionsvertrag kann sie solchen Vertrauensverlust nicht ausgleichen, im Gegenteil.

(11.02.2018)

 

 

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