Hans-Heinrich Dieter

Was nun, NATO?

 

Es ist in letzter Zeit sehr still geworden um die NATO.

Seit März hat das Militärbündnis zunächst die Aufgabe übernommen, die Flugverbotszone über Libyen und ein Waffenembargo zu gewährleisten und sich dann bereit erklärt, von Frankreich/Großbritannien/USA die Verantwortung für die Bekämpfung von Truppen und Einrichtungen Gaddafis zu übernehmen. Während der sechs Monate mit über 20.000 Kampfeinsätzen hat es viel Kritik gegeben. Nun haben Sarkozy und Cameron den Sieg erklärt, die Kritik an der NATO ist leiser geworden, es bleibt aber auch für die NATO noch sehr viel zu tun.

Kritisiert wurde, dass die NATO das Waffenembargo nicht durchgesetzt hat. Das hätte auch bedeutet, das Embargo gegen die Mitglieder Frankreich und Italien wirksam werden zu lassen. Obwohl die NATO immer behauptet hat, sie sei unparteiisch, war und ist sie über weite Strecken doch Artillerieersatz und Luftwaffe für die Rebellen und damit Kriegspartei in einem Bürgerkrieg. Und nicht nur für Russland gingen die Bombardierungen weit über den von der UN-Resolution erlaubten Schutz der Zivilbevölkerung hinaus.

An den Libyen-Kampfeinsätzen nahmen nur neun NATO-Mitglieder teil. Und es gab eine Menge internen Streit unter den 28 Staaten um den Militäreinsatz, so dass der ehemalige US-Verteidigungsminister Gates sogar von einer zweigeteilten NATO sprach.

Nach elf Wochen Einsatz wurde die Präzisionsmunition der NATO-Verbündeten knapp. Die NATO hat hier zu erkennen gegeben, dass ihre Reichweite für intensive Militäreinsätze nur sehr begrenzt ist und die Mitgliedstaaten müssen prüfen, ob sie nicht in den vergangenen Jahren an falschen Enden gespart haben.

Die NATO ist aber nicht nur ein Militärbündnis sondern auch ein sicherheitspolitisches Bündnis. Da ist es schon erstaunlich, dass der NATO-Generalsekretär Rasmussen mehrfach verfrüht das Ende Gaddafis verbal beschwört, ohne dass der Erfolg eintritt. Die NATO hat Verantwortung für die Operationen übernommen und lässt sich nahezu unwidersprochen von Frankreich für unzureichende Operationsführung kritisieren. An der Pariser Libyen-Konferenz hat der NATO-Generalsekretär teilgenommen. In den Medien wurde von keiner einzigen substanziellen Aussage des für die Durchsetzung der UN-Resolutionen verantwortlichen Chefs der NATO berichtet. Dafür feierte sich Sarkozy in allen möglichen Siegerposen und Cameron, etwas mehr Gentleman, wies auf die Herausforderungen der Friedenssicherung und des Demokratisierungsprozesses hin. Die NATO fand bei dieser Konferenz offenbar nicht so richtig statt.

Und wenn der NATO-Generalsekretär sich nicht konkret über die Zukunft äußert, dann nehmen ihm die „Sieger“ das gerne ab. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach der internationalen Libyen-Konferenz in Paris sagte Cameron, der Nato-Einsatz in Libyen werde so lange andauern, wie dies notwendig sein werde. Und Sarkozy rief dem Präsidenten des Nationalen Ãœbergangsrats, Dschalil, nach seiner Rede vor den Vereinten Nationen zu, die Nato werde so lange in Libyen bleiben, wie der Ãœbergangsrat diese brauche. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Herren ihre forschen Aussagen mit Generalsekretär Rasmussen abgesprochen haben.

Als Sarkozy und Cameron sich dann, gerade noch vor Erdogan, als Sieger feiern lassen, machen sie sehr deutlich, wie sie die NATO einschätzen, vorwiegend als Erfüllungsgehilfe, im Falle Libyens auch sehr weitgehender französischer nationaler Interessen.

Es bleibt also für die NATO in der Tat viel zu tun.

Auch wenn der NATO-Einsatz gerade bis Ende 2011 verlängert wurde, sollte die NATO so bald wie möglich den Einsatz beenden und die weitere militärische Entwicklung dem libyschen Ãœbergangsrat überlassen, denn politisch scheint der Konflikt entschieden zu sein. Zwar hat die westliche Staatengemeinschaft mit ihren Luftangriffen geholfen, Gaddafi zu schwächen und  ist deswegen nun mitverantwortlich dafür, dass das Land nicht im Chaos versinkt. Die NATO aber kann die erforderliche Bildung staatlicher Strukturen alleine nicht leisten und Dschalil hat erklärt, man wolle die Lage allein in den Griff bekommen. Der libysche Ãœbergangsrat hat sich außerdem gegen eine Stationierung internationaler Beobachter ausgesprochen. Die Libyer wollten auch keine Blauhelm- oder andere Soldaten im Land haben. Die NATO kann die Entwicklung höchstens beobachtend begleiten. Die Libyer müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und wenn der Präsident des Ãœbergangsrats, Dschalil, erklärt, das islamische Recht, die Scharia, werde die Grundlage für das neue Rechtssystem Libyens sein, dann ist die NATO als politischer und militärischer Begleiter ohnehin fehl am Platze.

Die NATO muss den internen Streit über den Libyen-Einsatz aufarbeiten und das Bündnis stärken. Und die NATO wird sich zusammen mit den europäischen Partnern auf hoher Ebene darum bemühen müssen, die USA für politisches und militärisches Engagement in und mit der NATO interessiert zu halten. Die NATO wird auch mit Russland über die zukünftige Zusammenarbeit intensiv zu sprechen und Differenzen auszuräumen haben. Dazu gehört auch, dass der Libyen-Einsatz, einschließlich der verursachten Opfer unter der Zivilbevölkerung, von unabhängigen Gremien bilanziert wird.

Die NATO wird nach den Erfahrungen mit Libyen auch die Rüstungskooperation und die Verteidigungsbudgets der Mitgliedstaaten unter die Lupe nehmen müssen, um zukünftige Verteidigungsanstrengungen stärker koordinieren und auch in Zukunft ein schlagkräftiges und leistungsfähiges Militärbündnis bleiben zu können.

Sicher muss auch bei der nächsten NATO-Konferenz die Solidarität im Bündnis und der Umgang der Mitglieder mit der NATO intensiv thematisiert werden, wenn die NATO als Bündnis glaubhaft bleiben will.

(27.09.2011)

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klartext