Hans-Heinrich Dieter

Vom "Konsens" zu nachhaltigem Unfrieden (02.07.2011)

 

Der politische Konsens zum deutschen Atomausstieg wird in vielen Medien oder Kommentaren als historisch bezeichnet und vorwiegend sehr positiv beurteilt. "Historisch" ist an diesem Konsens vieles.

Deutschland steigt als erste Volkswirtschaft mit erheblichem Gewicht in Europa und der Welt und als Hochtechnologie-Standort mit immensem Energiebedarf aus der friedlichen Nutzung der Atomenergie aus. Die Volksvertreter aller politischen Parteien, außer den Sozialisten/Kommunisten, machen nach langjährigem, intensivem Streit mit und alle sind mit sich erkennbar mehr oder weniger zufrieden. Die Beilegung dieses jahrelangen Streites ist sicher bedeutend für die Geschichte Deutschlands. Ob die mit großer Mehrheit im Bundestag getroffene Entscheidung richtig, zum Wohle der Bevölkerung und im Sinne der Mehrheit des Volkes ist, bleibt höchst fragwürdig.

Nach dem "historischen Konsens" wird ein nachhaltiger gesellschaftlicher Unfrieden in Deutschland beginnen. Denn es wird eine grundlegende Wende in der Energiepolitik Deutschlands unumkehrbar vollzogen, ohne dass klare Vorstellungen existieren, wohin denn dieser Atomausstieg führen soll, ohne dass ein realistisches Konzept für die Zukunft der Energieversorgung vorliegt, ohne dass die Kosten für die Steuerzahler seriös und nachvollziehbar hochgerechnet sind und ohne dass die verantwortlichen Volksvertreter sich die Zeit genommen haben, über die Energiewende umfassend zu informieren und die Notwendigkeit des überhasteten Atomausstieges plausibel zu kommunizieren. Das gesellschaftspolitische Abenteuer "isolierte deutsche Energiewende in der Europäischen Union" fußt auf vagen Annahmen, auf nicht fundierten Hochrechnungen und letztendlich auf Hoffnungen - kaum in der Sache aber einigermaßen diffus auf Wiederwahl - irgendwie. Deutschland hat sich - einsam in Europa - auf ein hochriskantes Abenteuer eingelassen.

Volksvertreter verpflichten sich, das Wohl des Volkes zu mehren. In den Medien wird stereotyp kolportiert, dass die Mehrheit des Volkes diesen Atomausstieg will. Es gibt aber keine belastbare demoskopische Umfrage, die das belegt. Die Schwarz-Gelbe Koalition ist vielmehr auch für die ökonomisch wie ökologisch sinnvolle und sicherheitstechnisch verantwortbare Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gewählt worden. Auch mit Fukushima gibt es keine Sach-Argumente, die für den Standort Deutschland eine 180°-gegenteilige Politik begründen würden. Die CDU/CSU hat aus Angst vor der Basis noch nicht einmal den Mut aufgebracht, die Parteitagsdelegierten um ihre Meinung zu bitten. Das deutsche Volk wurde vielmehr anlässlich Fukushima durch Medien und Rot-Grüne Politiker mit parteipolitischer Absicht in hysterische Angst versetzt. Rationale Begründungen für die Schwarz-Gelbe Wendehalspolitik fehlen bisher. Es gibt in dieser fundamentalen Frage der ökonomischen und ökologischen Zukunft Deutschlands keine demoskopisch belegte Mehrheitsmeinung des Volkes. Der Souverän, das Volk, konnte sich allerdings auch noch keine Meinung bilden, weil über die Auswirkungen der "Energiewende", über finanzielle Belastungen der Bürger, über Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland, über die negativen Auswirkungen auf unsere Klimaschutzziele nicht oder nur unzureichend informiert wurde und deswegen eine Meinungsbildung mündiger Bürger überhaupt nicht möglich war.

Die Bürger setzen ihr zumindest formales Vertrauen in die gewählten Volksvertreter im Bundestag. Das Volk geht davon aus, dass in der Volksvertretung vernünftige Arbeit geleistet wird. Vernünftige Arbeit braucht ihre Zeit. Die Entscheidung über die Energiewende ist in geradezu affenartiger Geschwindigkeit durchgezogen worden und für die Beratung der acht erforderlichen Gesetze blieb nicht die erforderliche Zeit für eine intensive parlamentarische Auseinandersetzung, und das Parlament lässt sich das gefallen. Wie so viele andere Gesetze in dieser Legislaturperiode werden auch diese acht Gesetze mit "heißer Nadel" genäht und nachbesserungsbedürftig sein. Der politische Streit ist vorprogrammiert und Grüne/SPD haben nicht umsonst meist gegen diese  Gesetze gestimmt, um sich einen Notausgang offenzuhalten.

Wenn die bewusst geschürte hysterische Angst sich legt und die Bürger begreifen, was durch das, wozu sie nicht befragt wurden, an vielfältigen Belastungen auf sie zukommt, bricht der Unfrieden so richtig aus. Die Grundfrage ist, was kostet dieser abrupte Atomausstieg. Die Nutzung von Energie-Einsparpotenzialen muss mit hohen Kosten subventioniert werden. Deutschland hat in geradezu unrealistisch kurzer Zeit Ersatz-Energiequellen zu erschließen. Der aufwändige Ausbau zur Nutzung von Sonne, Wind und Biomasse wird die Energie deutlich verteuern und der Rückgriff auf fossile Brennstoffe wie Kohle und Gas wird dem Klima erheblich schaden sowie das Erreichen unserer Klimaschutzziele verhindern . Um Engpässe zu überbrücken, wird Deutschland Atomstrom aus dem Ausland, vornehmlich Frankreich und Tschechien, einführen müssen, ohne dass das Restrisiko für die deutsche Bevölkerung grundsätzlich und real verringert wäre. Die Nachfrage bestimmt den Preis und Deutschland wird erheblich abhängiger von russischem Gas und europäischem Atomstrom.

Die Nutzung erneuerbarer Energien erfordert erhebliche logistische Leistungen. Um die erforderlichen Strommengen transportieren zu können, müssen im Netz neue Kapazitäten geschaffen werden. Laut Deutsche Energie Agentur sind rund 3600 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen bis 2020 zu bauen, kostenabhängig über hohe Masten oder per Erdkabel. Neben den Höchstspannungsleitungen müssen auch die örtlichen Verteilernetze erweitert werden. Gemäß Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft müssen deswegen zwischen 195.000 und 380.000 Kilometer unterirdische Hochspannungs-Kabel neu verlegt werden. Nun könnte man sagen, wer die Nutzung der Windkraft befürwortet, muss auch Rotoren und neue Höchst- und Hochspannungsleitungen in Sichtweite des Eigenheims bei steigenden Strompreisen bereit sein hinzunehmen, die Bevölkerung wurde aber nicht gefragt und schon jetzt wird der massive Ausbau von Leitungsnetzen vor Ort und praktisch überall von Bürgergruppierungen bekämpft. Die Dagegen-Grünen werden einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten haben, um diese kämpferischen Dagegen-Menschen vom Sankt-Florians-Prinzip abzubringen. Es wird viele "Stuttgart 21" geben.

Deutschland ist eine Industrienation mit hohem Energiebedarf. Die großen Industriezentren Deutschlands wollen verlässlich und zu konkurrenzfähigen Preisen mit Strom versorgt werden. In unserer inzwischen globalen Wirtschaftswelt-Welt zählen günstige Lohn- und Lohnnebenkosten, Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften und wettbewerbsfähige Betriebskosten. In Deutschland sind Lohn- und Lohnnebenkosten vergleichsweise hoch, qualifizierte Fachkräfte fehlen in zunehmendem Maße und wenn nun erheblich steigende Energiekosten die Produktion unrentabel machen, ist es eine Frage der Zeit, wann diese Unternehmen ins Ausland verlagern. Die Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt und für den Arbeitsfrieden sind unabsehbar. Der soziale Unfriede ist vorprogrammiert.

Die Ursache für zukünftigen, nachhaltigen Unfrieden in der deutschen Bevölkerung lässt sich so zusammenfassen: Kanzlerin Merkel lässt, gestützt durch die Mehrheit des deutschen Bundestages, aber unter Vorspiegelung eines vermeintlichen Mehrheitswillens des deutschen Volkes, die deutschen Atomkraftwerke in kürzester Zeit, ohne Abstimmung mit der Europäischen Union abschalten, obwohl es unklar ist, ob rechtzeitig, zu vertretbaren Kosten für die Verbraucher, verlässlich, stetig und ökonomisch wie ökologisch sinnvoll  Ersatz gewährleitet werden kann. Und wenn die deutschen Bürger erst begreifen, dass sich mit den isolierten und einseitigen deutschen Maßnahmen ihre Sicherheit im Hinblick auf europäische Atomunfälle nicht im geringsten verbessert hat, werden sie ärgerlich werden. Mit Recht!

 

Den nach dem "historischen Konsens" aufziehenden Unfrieden hat Kohler in einem Kommentar der F.A.Z. sehr schön und treffend formuliert:  "In die Köpfe der Grünen, die über den Tag hinausdenken, kriecht die Angst, man könnte sich zu Tode gesiegt haben – spätestens, wenn man eines Tages wieder in der Regierung landet und die mit Windkraft erwärmte Suppe auslöffeln muss, die man sich eingebrockt hat." Man kann nur hoffen, dass sich der historische Konsens nicht als historischer Fehler entpuppt.

(02.07.2011)

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare