Hans-Heinrich Dieter

Unsicheres Afghanistan   (09.08.2014)

 

Im Rahmen der Verteidigungsminister-Konferenz der NATO Ende 2013 sagte Minister de Maizière: „Ich will nicht drumrumreden – die Sicherheitslage ist nicht so gut, wie wir sie uns in diesem Jahr erhofft haben.“ Das war nur diplomatisch ehrlich und deswegen nicht sehr aussagekräftig. Der im Januar 2014 erschienene Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan im Jahr 2013 zeichnet denn auch ein Bild mit weit mehr Schatten als Licht. Danach hat Kabul die Reformversprechen für bessere Regierungsführung, den Kampf gegen die grassierende Korruption sowie Drogenanbau und Drogenhandel oder für eine Verbesserung der Menschenrechtslage nicht erfüllt. Von einer „ausreichenden Sicherheitslage“ kann nicht die Rede sein, die Entwicklung gestaltet sich vielmehr eher negativ. Die 2012 in Tokio vereinbarten Bedingungen für die Gewährung der von der internationalen Staatengemeinschaft zugesagten 16 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern und weiteren 5 Milliarden pro Jahr für die Unterstützung der Sicherheitskräfte sind nicht erfüllt, weil die 17 Kernziele für effizientes Regierungshandeln nur zu einem Drittel annähernd erreicht sind. Afghanistan ist das drittkorrupteste Land im internationalen Vergleich, wie soll sich da schnell etwas ändern?

Die afghanische Armee und Polizei sind seit geraumer Zeit allein verantwortlich, für Sicherheit am Hindukusch zu sorgen. Doch weder die Hilfsorganisationen, die an Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekten in der Region arbeiten noch die eigene Bevölkerung vertrauen den afghanischen Sicherheitskräften. Afghanistan ist in dem Dilemma, dass es souverän und eigenverantwortlich ist, ohne allerdings dieser Verantwortung in absehbarer Zeit gerecht werden zu können. Denn die Qualität der Sicherheitskräfte lässt noch sehr zu wünschen übrig. Die Truppe zeigt sich bisher vielfach unzureichend diszipliniert und auch wenig zuverlässig, weil sie teilweise durch Taliban unterwandert ist.

Nun ist es auch nicht leicht, Sicherheit in Afghanistan zu gewährleisten. 2009 kämpften etwa 29.000 Taliban-Islamisten in Afghanistan. Seit 2010 haben US-Spezialkräfte und Kampfdrohnen Hunderte von Taliban ausgeschaltet. Heute kämpfen am Hindukusch geschätzte 37.000 Taliban gegen die Sicherheitskräfte und terrorisieren die afghanische Bevölkerung. Die Terroristen sind nun meist jünger aber fanatischer. Leistungsfähiger Nachwuchs ist offensichtlich verfügbar. So können die Taliban ihre landesweiten Terroraktivitäten verstärken. Die Taliban haben die Initiative und die afghanischen Sicherheitskräfte infiltriert. Sie sind außerdem für die schlechtbezahlten Sicherheitskräfte als Arbeitgeber attraktiv und gewinnen auch über Desertionen Nachwuchs. Die aktuelle Sicherheitslage ist sehr unbefriedigend mit negativer Tendenz. Afghanistan ist instabil und unsicher.

Die tödlichen Schüsse eines afghanischen Soldaten, also eines Innentäters, auf eine Gruppe hochrangiger NATO-Militärs in dieser Woche sind denn auch ein Anschlag von vielen in diesem Jahr und haben innerhalb der ISAF Bestürzung ausgelöst. Der US-Befehlshaber Joseph Dunford gab sofort die Weisung: Alle internationalen Berater und Trainer bleiben bis Freitag in den Lagern. Damit wurden die NATO-Missionen zur Unterstützung der Afghanen vorerst gestoppt. Denn man geht davon aus, dass der Angriff nicht folgenlos bleiben könne und die Zusammenarbeit mit den Afghanen überdacht werden müsse. Das Ergebnis des Ãœberdenkens kann an sich nur lauten, Sicherheitsüberprüfungen verschärfen, Sicherheitsstandards erhöhen, Ausbildungsunterstützung verstärken und Lebensbedingungen der Sicherheitskräfte verbessern. Denn es ist eine Tatsache, dass man Insider-Attacken kaum mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindern kann. Der Anschlag wirft aber ein Licht auf die Sicherheits-Probleme, die noch vor ISAF liegen, und die Herausforderungen, mit denen die Folgemission „Resolute Support“ aber auch internationale Entwicklungshilfe konfrontiert werden, sollte das Stationierungsabkommen mit den USA und der NATO irgendwann unterzeichnet werden.

Von einem Erfolg des intensiven Engagements der westlichen Welt in Afghanistan kann also weder politisch noch militärisch wirklich die Rede sein. Afghanistan muss Souveränität und Verantwortung für die Sicherheit des Landes und seiner Bevölkerung nicht nur einfordern, sondern nun auch mehr und mehr eigenständig gewährleisten. Davon ist Afghanistan noch weit entfernt. Die internationale Staatengemeinschaft wollte demokratische Strukturen schaffen und die Lebensbedingungen der Afghanen verbessern. Die Afghanen aber wollen sich – hauptsächlich finanziell und wirtschaftlich - helfen lassen, aber nicht nach westlichen Vorstellungen leben. Der Westen kann also nur eingeschränkt helfen.

Die afghanische Bevölkerung hat lange unter den Sowjets, den Taliban und der korrupten Regierung Karsai gelitten. Wenn allerdings heute nicht geringe Teile der afghanischen Bevölkerung die westlichen Truppen für Besatzer halten und die Taliban sich relativ frei in der Bevölkerung bewegen können, dann zeigt das, dass die Zukunft Afghanistans eher in einem neuen islamistischen Kalifat zu liegen scheint, als in einer sich entwickelnden Demokratie. Die fundamentalistischen Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) kennen die instabile Lage am Hindukusch und werden sie ab 2015 für ihre islamistischen Ziele nutzen und Afghanistan in ein Kalifat verwandeln wollen. Dann wird es sogar auch für die Taliban „ungemütlich“. Einer solchen möglichen und gefährlichen Entwicklung muss die westliche Welt frühzeitig entgegenarbeiten, denn islamistischer Terror in gesteigerter Intensität und Qualität in Afghanistan beträfe auch uns in Europa.

(09.08.2014)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte