Hans-Heinrich Dieter

Türkei gegen UN und EU   (26.11.2020)

 

Ende März hat die EU die Militärmission IRINI ins Leben gerufen, um das UN-Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen.

Schon am 10. Juni kam es zu einem schweren Zwischenfall, weil zwei türkische Fregatten, die einen unter tansanischer Flagge fahrenden Frachter „Cirkin“ begleiteten, die Kontrolle des in Verdacht stehenden Schiffes durch eine griechische und eine italienische Fregatte der IRINI-Mission unterbanden.

Als sich im Zuge dieser Operation eine französische Fregatte, die im Rahmen der NATO-Ãœbung „Sea Guardian“ unterwegs war, dem Konvoi näherte, richteten die türkischen Fregatten ihr Feuerleitradar auf das Kriegsschiff! Die Beitrittskandidatin und NATO-Mitglied Türkei wendet sich militärisch gegen eine EU-Mission und gegen zwei EU-Mitglieder, die einen UN-Auftrag erfüllen wollen – ein unerhörter Vorgang! Und dann bedrohen die zwei Fregatten des aggressiven Möchtegern-Sultans und NATO-Mitglied Erdogan ein französisches Kriegsschiff im NATO-Auftrag mit Waffengewalt! Die EU hat zunächst nichts unternommen. Frankreich legte Protest bei der NATO ein und verlangte eine Untersuchung. Da könnte man mit gesundem politischem Menschenverstand sagen: Genug ist genug!

Die EU verhängte dann Ende September Sanktionen gegen die türkische Reederei „Avrasya Shipping“, in deren Auftrag der verdächtige Frachter unterwegs war. In der Begründung hieß es: „Die Cirkin wird insbesondere mit der im Mai und Juni 2020 erfolgten Verbringung von Militärgütern nach Libyen in Verbindung gebracht.“ Das ist eine schwache Maßnahme einer schwachen Union! Und auch die NATO hat keine adäquaten Maßnahmen ergriffen. Erdogan wird das als Erfolg und Aufforderung, sich auch in Zukunft mit Gewalt und Drohgebärden durchzusetzen, verbucht haben!

Und tatsächlich ist sich Erdogan für keinen Affront und keine Provokation zu schade! Im aktuellen Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Gasvorkommen und Hoheitszonen im östlichen Mittelmeer hat die Türkei sogar mit Krieg gedroht. Es ist immer wieder erkennbar, dass die Türkei durch ihr hochaggressives Verhalten die Toleranzgrenzen der EU testen will. Die Europäische Union unterstützt ihr Mitglied Griechenland auf der Grundlage des Lausanner Vertrages von 1923. Bisher haben Drohungen der EU mit Sanktionen gegen die Türkei allerdings keine Wirkung gezeigt. Erdogan zeigt der EU eher den „politischen Mittelfinger“ und sich selbst als unbeeindruckt. Und bisher hat die EU ganz offensichtlich noch keine konkreten Vorstellungen entwickelt, wie mit dem inzwischen hochaggressiven EU-Beitrittskandidaten Türkei umzugehen ist. Auch hier muss die EU Charakter zeigen und handeln – sonst nehmen die türkischen Aggressionen kein Ende!

Am letzten Sonntag hat die Türkei erneut den Abbruch einer IRINI-Kontrolle zur Durchsetzung des UN-Waffenembargos gegen Libyen erzwungen. Diesmal betraf es Deutschland, das seit dem Sommer mit der Fregatte „Hamburg“ das Flaggschiff der EU-Marinemission stellt. Die EU-Einsatzführung der IRINI-Mission in Rom hatte der Bundeswehr-Fregatte „Hamburg“ den Auftrag erteilt, 200 Kilometer von der libyschen Großstadt Bengasi entfernt einen verdächtigen türkischen Frachter zu kontrollieren, weil das Schiff, das unter türkischer Flagge fuhr, verdächtigt wurde, das UN-Waffenembargo gegen Libyen zu verletzen. Deutsche Soldaten gingen daher an Bord des türkischen Schiffes „Roseline A“ und begannen mit der Durchsuchung. Wenig später entzog die türkische Regierung jedoch ihre Zustimmung zu dem Einsatz. Die Bundeswehr musste die Durchsuchung daraufhin auf Weisung des EU-Kommandos in Rom abbrechen und ihre Soldaten wieder per Helikopter auf die Fregatte „Hamburg“ zurückbringen. Bis zum Abbruch der Durchsuchung reichte die Zeit nicht, um die mehr als 250 Container an Bord gründlich zu untersuchen.

Dass der NATO-Partner Türkei sich gegen die EU-Mission IRINI und gegen die Durchsetzung des UN-Waffenembargos gegen Libyen durch ein Kriegsschiff des NATO-Partners und EU-Mitglieds Deutschland stellt und die Durchsuchung eines Frachtschiffs verweigert, zeigt deutlich, dass der Verdacht hinsichtlich des Bruches des Waffenembargos durch die Türkei offenbar berechtigt war – denn wer nichts zu verbergen hat kann sich auch kontrollieren lassen! Und das aggressive und provozierende Verhalten macht auch ganz deutlich, dass das NATO-Mitglied Türkei die Allianz belastet und der EU-Beitrittskandidat Türkei EU-untauglich ist.

Autokraten wie Erdogan verstehen nur die Sprache der Macht und verachten „Schwächlinge“. Die NATO sollte mit geeigneten Mitteln das solidarische Verhalten der Türkei erzwingen! Die EU sollte die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endgültig beenden – es darf kein Unterstützungs-Euro mehr in Richtung Türkei fließen. Außerdem muss die EU die Sanktionen gegen die Türkei ausweiten. Deutschland sollte die Politik der EU unterstützen, Alleingänge unterlassen und eine unbefristete Reisewarnung für die Türkei aussprechen.

(26.11.2020)

 

 

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