Hans-Heinrich Dieter

Transatlantische Kooperation   (22.02.2013)

 

In seiner State of the Union-Rede zu Beginn seiner zweiten Amtszeit hat Präsident Obama die außenpolitischen Verantwortlichkeiten der Supermacht USA sehr stark vernachlässigt. Bekenntnisse zur Bedeutung und zur Kooperation mit Europa hat er zuletzt bei der Münchner Sicherheitskonferenz seinem Stellvertreter Joe Biden überlassen und er scheint seinen Außenminister Kerry gebeten zu haben, die europäischen Befürchtungen im Zusammenhang mit der neuen transpazifischen Schwerpunktbildung Amerikas etwas zu zerstreuen. In seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede hat John Kerry den globalen Führungsanspruch der Vereinigten Staaten unterstrichen: „Amerikas nationales Interesse zu führen bleibt in der Welt weiter bestehen.“ Und er fügte hinzu, dass Außenpolitik heute auch die globale Wirtschaft und damit das Wohlergehen Millionen Amerikaner zu Hause stark beeinflusse. Trotz sehr knapper Kassen wird es also keine neue „splendid isolation“ der USA geben.

In dem Zusammenhang ist auch die sehr überraschende Ankündigung Präsident Obamas zur Aufnahme von Verhandlungen über die Einrichtung einer transatlantischen Freihandelszone zu verstehen. Ein solches Abkommen würde die Handelsbeziehungen im transatlantischen Raum sehr stark verändern, möglicherweise zum Vorteil für beide Seiten des Atlantik. Deswegen ist es verständlich, dass EU-Kommissionspräsident Barroso die Initiative begrüßt und auf einen baldigen Vertragsabschluss dringt, und auch Kanzlerin Merkel zeigte sich hocherfreut. In seiner Rede hat Obama dem amerikanischen Volk seine Absicht damit begründet, dass aus seiner Sicht mit einer transatlantischen Freihandelszone tausende Arbeitsplätze in den USA geschaffen werden können. Die Initiative darf also nicht als philanthropischer und altruistischer Akt oder als Unterstützung für das finanziell und wirtschaftlich auch schwächelnde Europa verstanden werden, sondern als eher eine weitere Maßnahme einer insgesamt über die Jahre betriebenen ziemlich aggressiven Außenwirtschaftspolitik der USA.

Die Reaktionen in Europa sind daher auch nicht nur euphorisch. Die europäische Agrarlobby fürchtet die amerikanische Konkurrenz und die niedrigeren amerikanischen Standards. Die Umweltschützer sehen sich einem massiven Ungleichgewicht bei den Bemühungen um Klimaschutz ausgesetzt. Die Nahrungsmittelbranche fürchtet sich vor Gen-Produkten und vor dem sehr viel großzügigeren Gebrauch von Chemie bei der Nahrungsmittelproduktion und im Bereich der Telekommunikation und der Internet-Dienstleistungsanbieter wie Google und Amazon, wie im ganzen High-Tech-Bereich würde Europa noch stärker in die Abhängigkeit von Amerika geraten. Wenn also jetzt die FDP bei einem Freihandelsabkommen den großen Wurf – ohne Einschränkungen und Ausnahmen – fordert, dann sollten wir uns fragen, ob Europa in der derzeitigen – vielstimmigen und uneinigen – Verfassung überhaupt in der Lage ist, sich gegenüber den USA in Streitpunkten durchzusetzen und seine Interessen mit Aussicht auf Erfolg zu vertreten. Denn bevor es zu gemeinsamer Wohlstandssteigerung und um Verbesserung der Handelsbeziehungen gehen kann, stehen harte und kontroverse Verhandlungen auch über langjährige Streitfragen auf der Agenda. Und dass Europa da mit einer Stimme der immer noch höchst leistungsfähigen Wirtschaftsmacht USA ein Gegengewicht bieten kann, darf bezweifelt werden. „Amerikas nationales Interesse zu führen“ würde auch in einer transatlantischen Freihandelszone deutlich spürbar sein. Aber das ist noch vieltönige Zukunftsmusik. Denn dass solche Verhandlungen schon Mitte 2015 abgeschlossen sein könnten, glauben nur ausgemachte Optimisten.

Da fallen aktuelle außen- und sicherheitspolitische Probleme schon stärker ins Gewicht. Präsident Obama hat den Abzug von 34.000 Soldaten aus Afghanistan im nächsten Jahr angekündigt und gesagt, im Dezember 2014 sei der Krieg vorbei – ein starkes Wort, das in solcher Bestimmtheit wohl nur ein amerikanischer Präsident in eine doch ziemlich unsichere Zukunft hinein sprechen kann. Unklar ist, welchen Auftrag die dann immerhin noch 10 bis 30.000 in Afghanistan verbleibenden US-Soldaten genau haben werden. Bei der derzeitigen Frühjahrstagung der NATO wird deutlich, dass die Kooperation der NATO-Partner zu wünschen übrig lässt oder anders ausgedrückt, die Abhängigkeit der Partner von den USA übergroß ist. Die USA haben ihre Pläne geändert und die Abzugsorganisation beschleunigt, die US-Politik ist offenbar anderer Meinung als die US-Militärs in der internationalen Schutztruppe ISAF und die übrigen Mitgliedstaaten haben ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen über das Redeployment und das Engagement der internationalen Ausbildungsmission nach 2015. Aufgrund der überraschenden Änderungen der US-Pläne wurden relativ weit gediehene Operationspläne auf Eis gelegt und es wird neu nachgedacht über Auftrag, regionale Zuordnungen sowie Zuständigkeiten von Teilnehmerstaaten an der sogenannten ITAAM, der International Training, Assistance and Advisory Mission der NATO, über Truppenumfänge und deren Sicherung und natürlich über die Tatsache, dass Terroristenbekämpfung auch ab 2015 erforderlich sein wird. Darüber hinaus soll ein Berater von US-Präsident Obama angekündigt haben, dass die USA Deutschland und auch andere Partner, die in Afghanistan Truppen haben, ab 2014 nicht mehr mit Rettungshubschraubern unterstützen werden. Das ist ein ernst zu nehmendes Signal und zeigt, dass die USA zügiger aus Afghanistan abziehen wollen als geplant. Das wird den Run auf "Notausgänge" möglicherweise beschleunigen. Irgendwie stellt man sich militärische Planung, Organisation und Operation einer multinationalen NATO-Groß-Truppe, die nach der Devise "gemeinsam rein, gemeinsam raus" agieren wollte, anders vor. 

In solchen Zusammenhängen wird immer wieder deutlich, dass die NATO nur formal ein sicherheitspolitisches Bündnis aus gleichberechtigten Staaten ist und de facto von den USA dominiert wird. Für die USA wird die NATO sicher die wichtigste Institution der weiterhin wichtigen transatlantischen Beziehungen bleiben, aber sie sind erkennbar dabei, ihr Engagement zu reduzieren. Die europäischen Mitglieder der NATO werden von den USA als Partner bei der Lösung von Konflikten in und außerhalb Europas immer stärker gefordert werden und müssen dafür ihre Abhängigkeit von den amerikanischen militärischen Fähigkeiten reduzieren. Solchem Anspruch müssen wir - und vor allem auch Deutschland - immer stärker gerecht werden, wenn wir als Partner der USA relevant bleiben oder werden wollen. 

Deswegen müssen wir zunächst sicherheitspolitisch an der europäischen Augenhöhe arbeiten. Die Initiative für eine transatlantische Freihandelszone kann bei erfolgreichen Verhandlungen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit leisten. Bis dahin müssen die sicherheitspolitischen Anstrengungen der Europäer verstärkt werden, um die USA als auch atlantische Macht aktiv im Boot zu halten. Eine sicherheitspolitische Garantiemacht werden die USA in Zukunft hauptsächlich für Asien sein.

(22.02.2013)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte