Hans-Heinrich Dieter

Tradition der Bundeswehr   (01.04.2018)

 

Der bewährte Traditionserlass der Bundeswehr von 1982 wurde jetzt durch einen neuen Traditionserlass ersetzt. 1982 konnten viele der wichtigen Entwicklungen, wie das Ende des Kalten Krieges, das Ende der NVA, der Einzug von Frauen in die Bundeswehr, die Aussetzung der Wehrpflicht und die Bundeswehr als Armee im Einsatz natürlich noch nicht berücksichtigt sein. Deswegen ist es durchaus sinnvoll, der Bundeswehr einen Traditionserlass zu geben, der die über 60-jährige Geschichte unserer Parlamentsarmee stärker berücksichtigt.

Wenn man den 82er Erlass mit dem neuen Dokument vergleicht, fällt auf, dass nicht viel wirklich Neues geschaffen worden ist, denn die grundlegenden Aussagen klingen gleich oder ähnlich. Werte und Normen des Grundgesetzes bilden nach wie vor den Maßstab für das Traditionsverständnis. Es geht auch aktuell darum, im Rahmen unserer Freiheitlich Demokratischen Grundordnung und im Einklang mit unserem Wertebewusstsein sinnstiftende Traditionselemente zu finden, die zur Stärkung der Identität und des soldatischen Selbstbewusstseins der Angehörigen der Bundeswehr beitragen. Solche Traditionen sollen helfen, „den Willen zum Kampf zu stärken, wenn es der Verteidigung dient“ (1982) oder wenn es „der Auftrag erfordert“ und dadurch „die Kampfkraft erhöht“ wird (2018). Und die Soldaten der Bundeswehr sind auch weiterhin der Menschlichkeit verpflichtet, auch unter Belastung und im Gefecht. Und schon mit dem Erlass von 1982 war die Wehrmacht als Institution für nicht traditionswürdig erklärt worden. Nun wurde auch die Institution NVA als traditions-ungeeignet eingestuft. Der aktuelle Erlass bietet also nicht viel wirklich Neues. Für den Historiker Wolffsohn ist das jetzt erlassene Dokument denn auch „eher eine Gebrauchsanweisung als eine Wertegrundlage“ und liest sich wie ein „Backrezept“.

Für den 1982er Erlass galt die Devise des Kalten Krieges, dass die Bundeswehr kämpfen können muss, um nicht kämpfen zu müssen. Der heutige Traditionserlass muss aber nun den Soldaten der Bundeswehr als Armee im Einsatz Vorbilder oder Beispiele für Erfolg im Kampf oder im Gefecht bieten, wenn deren Identifikation gestärkt und deren Einsatzwert und Kampfkraft erhöht werden sollen. Denn heute geht es ja nicht mehr nur um „kämpfen können“, sondern um „kämpfen müssen“. Und in diesem Zusammenhang vermisst Wolffsohn zurecht fundamentalethische Erklärungen.

Der Soldat/die Soldatin der Bundeswehr schwört, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Wenn der Auftrag es erfordert, muss der Soldat Waffengewalt anwenden und dabei auch töten. Und hier braucht der Soldat Hilfestellung, um an Beispielen zu erkennen, dass es auch moralisch richtig sein kann, tödliche Gewalt anzuwenden, um in hoheitlichem Auftrag Schlimmeres zu verhindern oder zu beenden. Da wird es schwierig, denn die Geschichte der Bundeswehr ist nur unzureichend aufgearbeitet und nur lückenhaft erzählt. Die Bundeswehr hat unzählige Soldaten, die hervorragend, aufopfernd und großartig ihre Pflichten erfüllt haben, aber „Helden“, die als Vorbilder soldatisch-ethischer Haltung dienen können, hat sie meines Wissens noch nicht hervorgebracht.

Die jüngste Benennung der Kaserne in Hannover nach dem Hauptfeldwebel der Feldjäger, Tobias Lagenstein, ist ein Beispiel. Der Hauptfeldwebel war sicher ein sehr guter Soldat, sonst hätten seine Kameraden ihn nicht als Namensgeber vorgeschlagen. HFw Lagenstein hat am 28. Mai 2011 in Talokan in der afghanischen Provinz Takhar seinen Dienst treu geleistet und ist dabei, zusammen mit anderen, durch einen Bombenanschlag ums Leben gekommen. Zum Vorbild wird Tobias Lagenstein dadurch noch nicht.

Die fundamentalethischen Erklärungen, die der Historiker Wolffsohn vermisst, sollten nachgearbeitet werden, um die Qualität des Traditionserlasses zu erhöhen. Denn Staatsbürger in Uniform, die in hoheitlichem Auftrag gegebenenfalls töten müssen, brauchen moralische Hilfestellung – insbesondere in einem Staat, in dem Soldaten ungestraft als „potentielle Mörder“ – also als Verbrecher mit niedrigen Beweggründen – diffamiert werden können.

(01.04.2018)

 

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