Hans-Heinrich Dieter

Sommerliches Laien-Theater   (16.07.2013)

 

In diesem Vorwahl-Sommerloch hält man es als interessierter Bürger nur schwer aus. Die Affäre um das Ausspähprogramm des US-Geheimdienstes NSA wird von der Opposition als gefundenes Fressen angesehen und fordert sie zum Angstbeißen heraus.

Einem Interview mit dem Focus ist zu entnehmen, dass Sigmar Gabriel früher als Scheidungskind unter dem Streit seiner Eltern litt, er erinnert sich an „verzweifelte Momente“. Da leidet der gefühlvolle Wähler natürlich mit und übt etwas Nachsicht mit diesem schwierigen Politiker, dem seine Partei "Kanzler" nicht zutraut. Offenbar immer noch traumatisiert hält er es unter anderem für „angemessen, wenn die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste anstrengt“. Und er hielte es für angebracht, „dass die Bundesanwaltschaft nach Moskau reist, um Herrn Snowden als Zeugen zu vernehmen.“, um ihn gegebenenfalls später in ein deutsches Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Da versteht auch der gebildete SPD-Wähler, warum Gabriel in einem - wenn auch unwahrscheinlichen - Kabinett Steinbrück/Trittin keinen Platz hätte.

Steinbrück will beim Deutschlandfest der SPD im August in Berlin zusammen mit seiner Frau ein Märchen vorlesen, wie süß! Er will offensichtlich den leutseligen Arbeiterführer mit Herz und sozialem Kompass spielen. Bisher kannten ihn die Wähler als vortragsreisenden Raffke, der seine Pflichten als Abgeordneter des deutschen Bundestages eklatant vernachlässigt hat. Dieser schwierige Charakter wirft nun Kanzlerin Merkel den Bruch ihres Amtseides vor. Sie habe versäumt, in der NSA-Affäre Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Was wie ein schneidiger Kavallerie-Angriff aussehen soll, ist bei genauerer Betrachtung ziemlich dumm und dreist. Denn was weiß Herr Steinbrück denn über die genauen Sachverhalte und die Rolle der Kanzlerin in dieser Affäre? Das Parlamentarische Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste tagt heute und der Innenauschuss des Bundestages morgen, dann wissen wir möglicherweise etwas mehr. Bisher hat Herr Snowden Journalisten etwas erzählt, Journalisten haben ihm geglaubt und eine Story daraus gemacht. Alle sind draufgesprungen, haben voneinander abgeschrieben, denn Recherche ist ja schwer möglich, und inzwischen brodelt in den deutschen Medien die Empörung mit sehr starken und unsachlichen Begriffen. Dabei müsste jede dieser Mutmaßungen, Spekulationen, Unterstellungen mit dem Satz beginnen: "Wenn es denn zutrifft und belegt werden kann, was Snowden behauptet..." Der erstveröffentlichende Journalist Glenn Greenwald vom britischen GUARDIAN behauptet, dass Snowden noch hochbrisante Dokumente hat, die weitere Informationen über die NSA offenlegen können, vor allem habe er diese Papiere aber als Beleg für die Richtigkeit seiner Enthüllungen. Wer hat diese Papiere gesehen und geprüft? Wir wissen also noch überhaupt nicht, ob wir es mit einem "wahrhaftigen Helden" zu tun haben, aber Herr Steinbrück verleumdet und vorverurteilt schon mal.

Andere Oppositionspolitiker sind da nicht besser. Trittin äußert sich wie üblich unsachlich und ist nicht der Rede wert. Der Wadenbeißer Oppermann versucht, sich als Innenpolitik-Fachmann des Kompetenzteams Steinbrück zu profilieren, auf dürftiger Sachgrundlage und deswegen mit sehr dürftigem Erfolg. Den Politikern von "Die Linke" sollte man an sich zuhören, denn die haben ja Erfahrung mit großflächiger Bespitzelung während der Zeit des real existierenden Sozialismus im "Staatsgefängnis DDR", aber da kommt auch nur wahlkämpferische Luft. Man gewinnt außerdem den Eindruck, dass viele unserer Politiker zwar twittern können und Facebook bemühen, aber nur sehr laienhafte Vorstellungen von den geheimdienstlichen Realitäten im IT-Zeitalter haben und deswegen fehlende Sachkenntnis durch "ein Stück weit" Empörung überspielen. Darüber hinaus werden teilweise abenteuerliche und sehr laienhafte Vorstellungen von Verfahren zwischenstaatlicher Zusammenarbeit deutlich, die Zweifel an der grundsätzlichen Kompetenz einiger unserer Volksvertreter aufkommen lassen.

Herr Steinmeier hält sich allerdings zurück, denn er war unter Rot/Grün ja zuständig, weiß deswegen viel und kennt die Verfahrensweisen in der Zusammenarbeit von Geheimdiensten. Außerdem weiß er, dass die USA den "Krieg" gegen den Terrorismus 2001 erklärt haben, mit den entsprechenden Auswirkungen. Und seitdem gibt es eine ganze Reihe von Verantwortlichkeiten in Deutschland. Steinmeier beteiligt sich als ehemaliger Profi aus gutem Grund nicht an diesem Laien-Theater.

Jakob Augstein schreibt im SPIEGEL "Der Amtseid ist kein Spaß"..."Schaden vom Volke abzuwenden - das stelle ich mir anders vor. Der Kanzlerkandidat der SPD hat Recht."... "Es geht darum, dass man unsere Rechte verletzt, ohne dass wir Einspruch erheben können. Wir hören auf, Bürger zu sein, und werden zu Untertanen."  Und dann bemüht er noch einen schlimmen Vergleich mit dem italienischen Kapitän Schettino: "Er hatte als Kapitän die "Costa Concordia" vor der Insel Giglio auf Grund gesetzt. Und dann hatte er laut Anklage Schiff und Passagiere im Stich gelassen. Im Spionageskandal ist Angela Merkel unser Capitano Schettino. Sie lässt die Deutschen im Stich." Herr Augstein hat wohl weiterführende Kenntnisse und verfügt über Dokumente und Rechercheergebnisse, die solche Aussagen zulassen, oder er ist ein ganz übler Journalist.

Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragt sich heute, wer denn die Grundrechte der Bürger jetzt schützt und schreibt: "Darauf gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Antwort, der Bundesinnenminister auch nicht. Der Schutz der Grundrechte gehört aber zu den Kernaufgaben einer Regierung. Sie schwören, Grundgesetz und Gesetze nicht nur zu wahren, sondern auch zu verteidigen. Die Verteidigung der Grundrechte besteht nicht in den Plaudereien, die der Bundesinnenminister in den USA geführt hat. Die Grundrechte haben eine andere, eine kraftvolle Verteidigung verdient. Feigheit vor dem amerikanischen Freund ist keine Verteidigung." Diese Schreiberlinge wissen offensichtlich genau, was die Bundesregierung bisher im Detail unternommen hat, sie sind offensichtlich dabei, wenn die ressortübergreifende Experten-Kommission auf der Ebene immerhin von Unterabteilungsleitern in den USA um Aufklärung der Sachverhalte mit den US-Ansprechpartnern bemüht ist. Und diese Damen und Herren kennen schon die Ergebnisse der Informationen, die der Innenminister den Gremien und Ausschüssen des Bundestages heute und morgen geben wird und haben so eine plausible Grundlage für die Bewertung, es habe sich um "Plaudereien", die "Feigheit" belegen. Oder wir haben es hier mit schlechtem Journalismus zu tun, der sich auf Quotengeilheit und Parteinahme im Wahlkampf zurückführen lässt.

In unserer Demokratie gilt die Gewaltenteilung. Das Parlament kontrolliert die Regierung und die unabhängige Justiz wacht über die Rechtmäßigkeit politischen Handelns. Die vierte Gewalt, die Medien, sind unabhängig und nur ihrem eigenen Pressekodex mit berufsethischen Prinzipien verpflichtet, auf deren Einhaltung der Deutsche Presserat achtet. In einer demokratischen Gesellschaft muss Gewalt kontrolliert werden. Der Deutsche Presserat ist offenbar überfordert, wenn man sich die Qualität vieler deutscher Medien vor Augen führt. Man muss ganz einfach die Frage stellen: Wer schützt uns Bürger vor schlechtem und üblen Journalismus, der mehr manipuliert als informiert? Antworten darauf - abseits von Zensur und Beeinträchtigung der Pressefreiheit - sollten nach dem Sommerloch gefunden werden.

(16.07.2013)

 

 

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