Hans-Heinrich Dieter

Sicherheitspolitik der EU   (21.12.2016)

 

Wesentliche Aspekte der Sicherheitspolitik der Europäischen Union sind eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenzen und gemeinsame Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Für diese Sicherheitspolitik der EU, die zunehmend sicherheitspolitische Verantwortung in Europa und darüber hinaus übernehmen will und muss, gibt es derzeit zahlreiche Herausforderungen: der Konflikt mit dem zunehmend aggressiven Russland nach der Annexion der Krim und der hybriden Kriegsführung gegen die Ukraine, die Flüchtlingskrise, der internationale Terrorismus mit mehreren Anschlägen in EU-Mitgliedstaaten, das schwierige Verhältnis der EU zum NATO-Mitglied Türkei sowie der Krieg in Syrien. Diese zahlreichen Herausforderungen mit Weckrufcharakter sind von der EU bisher nicht oder nur unzureichend bewältigt und es wurden kaum wirksame Konsequenzen gezogen.

Zur gemeinsamen Außen-und Verteidigungspolitik der EU habe ich mich schon mehrfach geäußert. Bisher war die EU nicht in der Lage, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Die Europäische Union hat massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik wenig ernst genommen. Eine schon einmal propagierte „europäische Verteidigungsunion“ und die illusionäre Vision einer „EU-Armee“ setzen eine besser strukturierte, tiefer integrierte und handlungsfähige Europäische Union voraus. Davon sind wir in Europa sehr weit entfernt. Deswegen werden auch unsere Enkel eine europäische Verteidigungsunion nicht erleben. Die letzten kleinen Schritte mit der Schaffung eines EU-Rüstungsfonds und dem Aufbau eines gemeinsamen Hauptquartiers für die Führung von EU-Einsätzen gehen in die richtige Richtung. Derzeit verläuft aber der einzige gangbare Weg über die Formulierung gemeinsamer Ziele in der Außen- und Sicherheitspolitik, danach die Definition einer wirklich gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unter gleichzeitiger verstärkter Zusammenarbeit mit der NATO. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig zu entscheiden, ob mittelfristig das ursprüngliche Ziel, eine europäische Sicherheitsordnung, an der auch Russland beteiligt ist, wieder aufgegriffen werden sollte. Außerdem muss die EU Vorstellungen entwickeln, in welcher Qualität sie Verantwortung übernehmen will, wenn die USA zukünftig teilweise als Führungsmacht der westlichen Welt ausfallen sollte.

Die erste Pflicht eines Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger für ein Leben in Freiheit zu gewährleisten. Dazu gehören die Kontrolle der Grenzen und der Einwanderung in das Gemeinwesen. Da die EU auf der Grundlage des Schengen-Abkommens handelt - oder handeln sollte - muss die EU den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen gewährleisten und die Einwanderung in den Schengen-Raum kontrollieren. Diese Pflicht erfüllt die EU bisher nur sehr unbefriedigend und die Entscheidungen zum Ausbau der gemeinsamen Grenzschutztruppe FRONTEX sind unzureichend und werden von den Mitgliedstaaten bisher nicht wirklich umgesetzt. Die Lösung dieses Problems ist eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Flüchtlingskrisen. Die Anstrengungen zur Behebung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern sind nur langfristig wirksam und haben nur eine unterstützende Funktion. Die derzeitige Unfähigkeit der EU, ihre Außengrenzen zu kontrollieren, erleichtert darüber hinaus Terrorismus in den Mitgliedstaaten. Hier ist großer Handlungsbedarf.

Der internationale, islamistische Terrorismus hat Ausmaße angenommen, die nicht nur die jeweils betroffenen Mitgliedstaaten stark beeinträchtigen, sondern auch die europäische Gemeinschaft zunehmend destabilisieren. Das Problem ist eigentlich erkannt und EU-Kommissionschef Juncker hat die Bekämpfung des Terrorismus 2014 zur Chefsache erklärt. 2015 wurde die sogenannte „Sicherheitsagenda“ mit dem Ziel verabschiedet, mehr Informationsaustausch und bessere Zusammenarbeit der Behörden zu gewährleisten und Radikalisierung junger Bürger zu verhindern. Es müsse in Europa eine „echte Sicherheitsunion“ entstehen, so die Vorstellung. Diese Vorstellungen und Bemühungen haben nicht verhindern können, dass 2015 allein in Europa 14 Terrorakte verübt wurden. Dabei hat die EU schon einige Maßnahmen ergriffen: stärkere Kontrolle der Finanzierungsquellen von Terroristen, bessere Ãœberwachung von Flügen aus Drittstaaten in die EU und entsprechender Datenabgleich, Verschärfung des EU-Waffenrechts, mit einem Verbot von automatischen und einem Teilverbot von halbautomatischen Waffen und Aktivierung eines eigenen Anti-Radikalisierungsprogramms und eines Sozialfonds der EU zum Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit.

Außerdem arbeiten Polizei und Geheimdienste in Europa seit über 30 Jahren innerhalb verschiedener Institutionen zusammen. Doch offenbar, so zeigen auch die vielen Terroranschläge in 2015, ist die Zusammenarbeit lückenhaft. Deshalb gründete das Europäische Polizeiamt Europol im Januar sein „European Counter Terrorism Centre“ (ECTC). 40 bis 50 Spezialisten sollen beim ECTC Informationen über Terroristen zusammentragen und auswerten. Doch der Plan funktioniert nur, wenn die Mitgliedsstaaten liefern. Eine Verpflichtung gibt es jedoch nicht, denn wie der gesamte Bereich der inneren Sicherheit ist die Terrorabwehr eine nationale Domäne.

Und da liegt - wie auch in der Verteidigungspolitik - das Problem. Die erforderliche Gemeinsamkeit bei der erfolgreichen Bekämpfung des internationalen, islamistischen Terrorismus wird nur dann erreicht, wenn nationale Alleingänge aufhören, Egoismen überwunden werden und die Geheimdienste noch besser und deutlich bedingungsloser zusammenarbeiten. Was die EU-Kommission und das EU-Parlament vorschlagen, sollte zur Grundlage von Mehrheitsbeschlüssen werden und was die Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen haben, muss auch durch die Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Daran fehlt es, weil der Wille zu gemeinsamem solidarischem Handeln abhanden gekommen ist.

Wenn die EU nicht zu gemeinsamem, solidarischem Handeln zurückfindet, wird es keine effektive Sicherheitspolitik der EU geben - zur Genugtuung von Putin und Erdogan sowie zur Freude internationaler, islamistischer Terroristen.

(21.12.2016)

 

 

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