Hans-Heinrich Dieter

Schlechte Erfolgsaussichten   (12.02.2018)

 

Die Mandate der Bundeswehr für den Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak laufen in wenigen Wochen aus. Bis heute sind noch circa 150 deutsche Soldaten zur Ausbildung kurdischer Peschmerga in der Nähe der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistans, Erbil, stationiert. Sie bilden dort die kurdischen Soldaten für den Kampf gegen den IS an deutschen Waffen und im Häuserkampf aus. Gemäß Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen der Union und der SPD soll dieser Ausbildungseinsatz in der Region Erbil beendet werden, weil der IS im Irak militärisch geschlagen zu sein scheint – besiegt ist er allerdings nicht, denn er ist weiterhin in der Lage, überregional wirksam Terror auszuüben.

Verteidigungsministerin von der Leyen besucht derzeit den Irak und verkündet nun eine neue Aufgabe für die Bundeswehr, denn die irakische Führung wünscht sich offenbar deutsche Beratung und Expertise bei der Neuaufstellung der Streitkräfte, bei Sanität und Logistik im ganzen Irak. Dabei soll auch die Erneuerung der Zusammenarbeit zwischen irakischen Sicherheitskräften und Peschmerga-Einheiten unterstützt werden. Arbeitsgruppen sollen Details klären.

Das klingt ganz positiv, denn Deutschland hätte eine längerfristige und auch verantwortungsvolle militärische Verpflichtung im Nahen Osten ohne Waffeneinsatz. Deutschland könnte für sich in Anspruch nehmen, mit einem Stabilisierungseinsatz auch weiterhin – zwar nur indirekt aber immerhin - den Kampf gegen den IS zu unterstützen, und könnte so einer bewaffneten Beteiligung an der direkten Bekämpfung des IS entgehen. Aber auch ein solcher Stabilisierungseinsatz birgt große Risiken und die Erfolgsaussichten sind gering, denn die politische Lage im Irak ist höchst fragil und die muslimische Welt will nicht unbedingt nach westlicher Façon selig werden - wie wir tagtäglich im Rahmen unseres erfolglosen Einsatzes in Afghanistan schmerzlich erleben müssen.

Der Irak hat eine sehr vielschichtige Bevölkerung. Die drei bestimmenden Bevölkerungsgruppen, Schiiten, Sunniten und Kurden, haben bisher keine gemeinsame nationale Identifikation zustande gebracht. Von einer nationalen irakischen Einheit kann keine Rede sein. Vor dem Sturz Saddams regierten die Sunniten. Politisch wird der Irak heute von einer schiitischen Minderheit dominiert, die einer sunnitischen Mehrheitsbevölkerung teilweise Rechte verweigert. Ethno-religiöse Auseinandersetzungen sind Teil der Tagesordnung und stellen akut eine Bedrohung für die irakische Einheit dar. Das führt immer wieder zu Terroranschlägen beider Seiten und man kann mit Fug und Recht sagen, dass ein muslimischer Religionskrieg schwelt. Im Nordwesten des Landes leben Kurden, assyrische Christen, sunnitische Araber und Jesiden. Der Krieg hat die Volksgruppen entfremdet. Im vergangenen Jahr führte die kurdische Regionalregierung ein erfolgreiches Referendum über die Unabhängigkeit durch. Daraufhin kam es zu umfangreichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Truppen der irakischen Zentralregierung und den kurdischen Peschmerga. In einigen umkämpften Gebieten stehen sich die irakischen Streitkräfte und Peschmerga immer noch gegenüber. Und Beobachter befürchteten, dass der Konflikt jederzeit eskalieren könnte. Die Sicherheitslage des Landes ist also höchst instabil und erlaubt weder einen zügigen Zivilaufbau noch eine Stabilisierung der militärischen Strukturen. Denn man kann Sicherheitskräfte mit Einsatzverpflichtungen nur schwer reorganisieren. Und die Aussöhnung der Iraker mit den Peschmerga kann nur durch die irakische Bevölkerung selbst geleistet werden.

Außerdem hat der jahrelange Kampf gegen den Terror im Irak schwerste Schäden hinterlassen. Insgesamt sind wohl etwa 140.000 Wohngebäude beschädigt und 70.000 Häuser völlig zerstört. Deshalb sind derzeit 2,5 Millionen Iraker im eigenen Land auf der Flucht und warten auf die Rückkehr in ihre Heimathäuser. Für den Wiederaufbau der Infrastruktur werden geschätzt 88,2 Milliarden US-Dollar gebraucht. Da die irakische Regierung die Mittel dazu nicht selbst aufbringen kann, will sie jetzt auf einer dreitägigen Wiederaufbau-Konferenz in Kuwait Geldgeber gewinnen. Frankreich will sich hier offenbar engagieren. Die Zahlen zeigen sehr deutlich, dass der Wiederaufbau sowie die Bewältigung der Flüchtlingssituation sehr langfristige Prozesse sein werden und damit sind die Rahmenbedingungen für eine militärische Stabilisierungsmission auch schlecht.

Die gesellschaftliche Realität ist ebenfalls fragil. Von einer „Westminster-Demokratie“ ist der Irak weit entfernt und – wie auch im muslimischen Afghanistan – kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ein gesellschaftliches System westlicher Prägung auch überhaupt nicht will. Die Zentralregierung in Bagdad kontrolliert nur Teile des Landes, ist in sich zerstritten und hat Korruption zu bekämpfen. Gemäß Transparency International gehört der Irak zu den korruptesten Staaten der Welt. Das anlässlich von Protesten gegen Missstände und Korruption in mehreren irakischen Provinzen im August 2015 aktivierte Reformprogramm von Premierminister Al-Abadi ist bisher wenig erfolgreich. Von einer auf der Grundlage von Rechtssicherheit funktionierenden Verwaltung und von einer eigenständigen, leistungsfähigen Wirtschaft ist der Irak derzeit noch weit entfernt. Darüber hinaus muss es auch starke islamistische Tendenzen in der irakischen Bevölkerung geben, sonst hätte der IS nicht so lange und erfolgreich die ländlichen Gebiete dominieren können. Der Irak wird noch lange auf internationale Unterstützung angewiesen sein, muss aber den Aufbau der Zivilgesellschaft selbst leisten.

Auch die politischen Rahmenbedingungen im Nahen Osten sind für Erfolg und Misserfolg einer Stabilisierungsmission der Bundeswehr ausschlaggebend. Der derzeit schiitisch dominierte Irak ist mit dem schiitischen Iran eng verbunden. Iranische Milizen haben einen Großteil der militärischen Erfolge gegen den IS im Irak herbeigeführt. Schiiten und Sunniten führen im Nahen Osten Stellvertreterkriege gegeneinander, wie in Syrien und im Jemen. Israel ist mit dem schiitischen Iran verfeindet. Und die sunnitische Türkei verfolgt im Nahen Osten eigene Großmachtinteressen, die sich im Augenblick gegen kurdische Bevölkerungsteile in Syrien und im Irak sowie gegen die eigene kurdische Bevölkerung richten. Wenn Deutschland eine großangelegte militärische Stabilisierungsmission für den gesamten Irak übernimmt, dann laufen wird Gefahr, in unterschiedlicher Weise Partei zu werden, zum Beispiel gegen Interessen Israels oder des NATO-Partners Türkei. Das kann nicht in deutschem Interesse sein. Mit einer solchen langfristigen Stabilisierungsmission würde Deutschland sich außerdem überbeanspruchen, in einer Phase in der alle verfügbare Kraft in die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte im Namen der NATO-Verpflichtungen investiert werden sollte.

Eine deutsche Beratungsmission bei der Neuaufstellung der Streitkräfte, bei Sanität und Logistik im ganzen Irak ist mit der SPD nicht abgesprochen und sollte im Parlament intensiv diskutiert werden, bevor eine geschäftsführende Verteidigungsministerin im Verkündungsdrang zu weit geht. Es muss an Fastnacht liegen, dass das Parlament bei solch gravierenden Entwicklungen, die seine „Parlamentsarmee“ betreffen, seine Kontrollaufgaben verschläft!

(12.02.2018)

 

 

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