Asyl für russische Wehrdienstverweigerer? (23.09.2022)
Der russische Einmarsch in die Ukraine vom 24. Februar 2022 hat Fluchtbewegungen in Gang gesetzt, wie sie Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat.
Laut den UN sind über 6,6 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Europa registriert worden, mehr als 3,8 Millionen haben einen zeitweiligen Schutzstatus erhalten. In Deutschland wurden bisher über 971 000 Menschen registriert (Stand 19.8.), von denen rund 670 000 einen zeitweiligen Schutzstatus haben. Einige deutsche Bundesländer sind nun bereits überlastet und verweigern die Aufnahme weiterer Flüchtlinge.
Die Fluchtbewegungen über das Mittelmeer und über die Balkanroute haben deutlich zugenommen. Im Januar 2022 haben laut Frontex 13 160 Personen versucht, illegal in die EU zu gelangen. Das sind 78 Prozent mehr als im Januar des Vorjahres. Die meisten Ankünfte wurden auf der Route über den Westbalkan registriert, die Flüchtlinge stammen hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. In der EU befürchtet man daher eine neue Flüchtlingskrise, die Ausmaße wie die von 2015 annehmen könnten. Und bis heute hat es die EU nicht geschafft, die Flüchtlinge gerecht zu verteilen.
Nun hat Putin die Teilmobilmachung angeordnet. Seitdem setzt sich eine Reisewelle russischer Bürger, die der Einberufung nicht folgen wollen, nach Europa in Bewegung. In Deutschland wird seitdem diskutiert, ob es angebracht wäre, Russen, die sich weigern, für Putin an die Front zu ziehen, in der Bundesrepublik aufzunehmen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Wadephul, zum Beispiel, sagte der Funke Mediengruppe, humanitäre Visa müssten jetzt großzügig und umfassend ausgelegt werden. Regierungssprecher Hebestreit sagte in Berlin, es sei ein gutes Zeichen, dass viele Russen nicht am Angriffskrieg gegen die Ukraine teilnehmen wollten. Hier zeichne sich eine Fluchtbewegung in den Westen ab.
Die kenntnisreichen und erfahrenen EU-Länder mit Grenzen zu Russland wie Estland, Lettland, Litauen und Polen weisen russische Staatsbürger dagegen schon seit einigen Tagen an den Grenzen ab. In Finnland erwägt die Regierung Einreisebeschränkungen. Dort hat sich die Zahl der Einreisen aus Russland nach Angaben des Grenzschutzes im Vergleich zur Vorwoche mehr als verdoppelt.
Da muss sich für Deutschland die Frage stellen, ob es richtig ist, russischen Wehrdienstverweigerern Asyl zu gewähren. In Russland gilt für männliche Staatsbürger die Wehrpflicht. Seit Anfang 2004 gibt es in Russland die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Bislang hat sich aber nur eine sehr geringe Zahl Wehrpflichtiger für den Zivildienst entschieden – auch weil Wehrdienstverweigerung in Russland für „unmännlich“ gehalten wird. Die Mehrheit der Russen steht außerdem hinter der Politik Putins mit dem Ziel, die Sowjetunion zu reanimieren und den Großmachtstatus wiederzuerlangen. Deswegen war die Zustimmung zur Annexion der Krim 2014 in der russischen Bevölkerung groß und auch die von Russland initiierte Loslösung der unabhängigen ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk von der Ukraine wurde offensichtlich von der Mehrheit der russischen Bevölkerung gutgeheißen und von der Duma proklamiert. Deswegen ist die Einschätzung von Putinkritikern nicht ganz von der Hand zu weisen, dass, anders als bei der ersten Emigrationswelle nach Kriegsbeginn, als vor allem Regimegegner das Land verließen, sich jetzt unter den Emigranten vermehrt Personen befinden, die den verbrecherischen Krieg in der Ukraine unterstützten – solange sie nicht selbst kämpfen mussten. Und der ukrainische Botschafter Melnyk schreibt auf Twitter im Hinblick auf die gefühlsgeladene Diskussion in Deutschland: „Falscher Ansatz! Sorry. Junge Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, müssen Putin und sein rassistisches Regime endlich stürzen, anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen.“ Da hat Melnyk aus meiner Sicht – ausnahmsweise – nicht ganz Unrecht.
Wir müssen in Deutschland die Realität im Auge behalten und vernünftig handeln. Deutsche Ministerpräsidenten und Kommunalpolitiker sprachen 2015 von Ãœberforderung und brachten zum Ausdruck, dass wir in Deutschland im Hinblick auf die Flüchtlinge die Kontrolle verloren haben. Sie wurden durch unsere damalige machtgefühlsdominierte Bundeskanzlerin öffentlichkeitswirksam abgebürstet: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze.“ Wir haben den Kontrollverlust von 2015 immer noch nicht überwunden, Deutschland wurde durch die Flüchtlingskrise gespalten und die AfD konnte sich etablieren. Deutschland ist durch Flüchtlinge, die teilweise nur schwer zu integrieren sind, immer noch überlastet – und die Ãœberlastung nimmt derzeit zu. Auch Deutschland ist von der hohen Inflation betroffen und steht vor einer Rezension; wir können uns eine große Zahl russischer Migranten auf der Grundlage humanitärer Visa, die auch noch großzügig und umfassend ausgelegt werden, nicht mehr leisten. Faktisch sind russische Wehrpflichtige, die den Dienst mit der Waffe verweigern, Gesetzesbrecher und keine „politisch Verfolgten“. Wem aus dieser Gruppe bei uns Asyl gewährt wird, muss sehr intensiv geprüft werden. Außerdem sollten wir uns nicht noch zusätzliche Konflikte nach Deutschland holen. Genug türkische Migranten streiten sich mit Kurden und ein Streit zwischen ukrainischen Flüchtlingen und russischen Asylanten ist vorprogrammiert.
Deutschland hat schon sehr vielen Menschen geholfen. Wir können aber nicht allen helfen, ohne unsere Sozialsysteme hoffnungslos zu überlasten! Wir sollten deswegen nur nach eingehender Prüfung tatsächlich politisch verfolgten russischen Flüchtlingen Asyl gewähren.
(23.09.2022)
Bei Interesse lesen Sie auch:
https://www.hansheinrichdieter.de/html/konzeptionslos.html
nach oben
zurück zur Seite Klare Worte
|