Hans-Heinrich Dieter

Qualität deutscher Sicherheitspolitik (03.06.2011)

 

Bei dem Anschlag am 02.06.2011 war innerhalb von neun Tagen der vierte gefallene Bundeswehr-Soldat zu beklagen. Eine ganze Reihe von Soldaten wurde verwundet, einige schwer. Das ist bitter für die Soldaten in Afghanistan sowie für die Angehörigen der Soldaten in der Heimat. Und es regt interessierte und engagierte Bürger zum Nachdenken an.

Natürlich werden bei solchen Ereignissen wieder die bekannten weniger nachdenklichen Reflexe freigesetzt. Grünen-Chefin Claudia Roth verlangt eine politische Debatte über die seit Monaten andauernde Offensivstrategie der ISAF in Afghanistan, die von Deutschland mitgetragen werde. Die Linken fordern stereotyp, „die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen“. Da muss die Koalition natürlich dagegenhalten. Außenminister Westerwelle sagt: „Wir müssen weiter alles tun, damit die Afghanen möglichst bald selbst die Verantwortung in ihrem Land übernehmen können“ und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hält - wie der Verteidigungsminister - trotz der tödlichen Anschläge auf Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan an dem Einsatz in dem Land fest. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Königshaus, findet es richtig, dass Verteidigungsminister de Maizière an der bisherigen Planung festhalten wolle, dies entspreche auch der Stimmung unter den Soldaten im Einsatz.

Wenn deutsche Soldaten in Erfüllung des Auftrages des Bundestages im Einsatz fallen oder verwundet werden, dann kann man nicht zur Tagesordnung übergehen, aber dürfen Volksvertreter eines souveränen Staates wirklich solche Diskussionen führen? Die deutsche "Strategie" für die Beteiligung Deutschlands an der Stabilisierung Afghanistans im Rahmen der internationalen Völkergemeinschaft ist im Bundestag mehrfach diskutiert und entschieden worden. Deutschland hat Verpflichtungen gegenüber dem afghanischen Volk übernommen. Deutschland beteiligt sich als Verbündeter an einem Einsatz der NATO im Auftrag der Vereinten Nationen. Ein, zwei, drei Anschläge der Taliban im Rahmen ihrer Frühjahrsoffensive können unter diesen politischen Rahmenbedingungen doch wohl nicht ernsthaft ein grundsätzliches politisches Hinterfragen dieses Einsatzes hervorrufen. Man kann doch nicht aus parteipolitischen oder populistischen Gründen so tun, als könnte Deutschland einen weiteren Alleingang machen und einfach aussteigen. Und diesbezüglich kann und darf die "Stimmung unter den Soldaten im Einsatz" auch kein Kriterium sein.

In Afghanistan herrscht Krieg und die Soldaten der Bundeswehr sind daran beteiligt. Der Einsatz ist gefährlich und auch deswegen sagte der Verteidigungsminister in einem Interview mit der F.A.Z. am 27.05.2011 "dass das bei Soldaten dazugehört: Sterben und Töten." Anschläge der islamistischen Extremisten in Afghanistan mit der Folge gefallener und verwundeter deutscher Soldaten dürfen daher nicht zum Zweifel an der entschiedenen Strategie führen, wohl aber muss bei solchen Anlässen immer wieder gefragt werden, ob, wie und mit welchen Mitteln die sicherheitspolitischen und militärischen Ziele besser und mit möglichst weniger Verlusten erreicht werden können. Und dazu gehört natürlich immer die Frage, ob Deutschland seine Soldaten für den Einsatz bestmöglich ausgerüstet hat.

Solche Fragestellungen erfordern eine an der Realität des Einsatzes orientierte sicherheitspolitische Diskussion in hoher Qualität, frei von Illusionen und Friedenseuphorie. Und wenn die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für den Afghanistan-Einsatz auf der Grundlage der parlamentarischen Entscheidungen gewonnen werden soll, dann muss besser informiert und öffentlich besser diskutiert werden.

(03.06.2011)

 

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