Hans-Heinrich Dieter

Neues deutsches Weißbuch   (19.02.2015)

 

Das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ aus dem Jahr 2006 ist eine inzwischen stark veraltete und in Teilen von den globalen sicherheitspolitischen Entwicklungen überholte Grundlage deutscher Sicherheitspolitik. Im Vorwort zum Weißbuch 2006 schrieb Kanzlerin Merkel, dass sie auf „eine breite gesellschaftliche Debatte“ hoffe. Auch dieser damalige Hoffnungsschimmer ist schnell verblasst. Die sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland blieb oberflächlich und unzureichend, die angekündigte „Vernetzung der deutschen Sicherheitspolitik“ blieb ein frommer, weitgehend unerfüllter Wunsch, der politische sowie öffentliche Diskurs um Auslandseinsätze der Bundeswehr wurde unehrlich und illusionsbeladen geführt und in Folge haben die "nur von Freunden umgebenen" verantwortlichen Politiker die Bundeswehr in einen ziemlich desolaten Zustand hineingespart. Da ist es gut, dass Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Dienstag den Startschuss für die Ausarbeitung eines neuen sicherheitspolitischen Grundlagendokuments gegeben und die überfällige Diskussion eröffnet hat.

Diese Diskussion will Frau von der Leyen - anders als ihr stark eingeschränkt begabter Vorgänger Jung - öffentlich führen. Die an der Erarbeitung zu beteiligenden Außen-, Innen- und Entwicklungs-Ministerien sollen in die Debatte genauso einbezogen werden wie die EU, die NATO, humanitäre Organisationen, NGOs und Bürger. Für diese sicher schwierigen und möglicherweise problematischen Diskussionen hat die Ministerin etwa ein Jahr Zeit eingeräumt. Nach dem NATO-Gipfel 2016 soll das Weißbuch dann herausgegeben werden.

Dieser Ansatz ist richtig und wichtig, denn einerseits sind in die Erarbeitung jetzt alle die Ressorts eingebunden, die unmittelbar mit den inzwischen erweiterten Inhalten vernetzter Sicherheitspolitik zu tun haben und andererseits wird die Chance genutzt, deutsche Sicherheitspolitik in einer stark veränderten Welt mit einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur und den damit verbundenen Herausforderungen tatsächlich breit zu diskutieren und wichtige Teile deutscher Öffentlichkeit bei den Schlussfolgerungen in die Mitverantwortung zu nehmen. Wenn man den Aussagen der Auftaktveranstaltung folgt, dann soll so diesmal nicht ein Weißbuch für die Bundeswehr entstehen, sondern ein „Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik“. Da wird eine neue begrüßenswerte Qualität angestrebt – Ergebnis offen.

In der neuen Grundlage deutscher Sicherheitspolitik soll nach den Worten der Ministerin die grundlegend veränderte Sicherheitsarchitektur und das Verhältnis zu Russland thematisiert werden: „Die neue Politik des Kreml hat schon lange vor der Ukraine-Krise begonnen und wird uns noch sehr, sehr lange beschäftigen“…Man müsse nach einer angemessenen Reaktion auf den Versuch Russlands suchen, „geostrategische Machtpolitik und militärische Gewalt als Form der Interessensdurchsetzung zu etablieren“. Natürlich müssten auch Wege gefunden werden, zu einer verlässlichen Partnerschaft mit Russland zurückzufinden. Andere neuartige Bedrohungsszenarien wie der weltweite Terror durch unterschiedliche islamistische Organisationen, der instabile Nahe Osten, die Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“, Cyber Warfare und der erkennbar zunehmende Kampf um Ressourcen müssen natürlich auch analysiert und in ihren Auswirkungen beurteilt werden. Was die deutschen Streitkräfte anbetrifft, sind erste Schlussfolgerungen in großen Zügen nicht schwer zu ziehen: Neben den Fähigkeiten zu humanitärer Hilfe und Krisenintervention im Rahmen der internationalen Gemeinschaft wird die Bündnisverteidigung eine stärkere Berücksichtigung finden müssen. Für alle solche Einsätze müssen die Führungsfähigkeit, die Aufklärungskapazität, ein breites Spektrum an Land- sowie Luft-Transport- und Rettungsmitteln einsatzbereit gehalten und auf modernem Stand gehalten werden. Die deutschen Streitkräfte brauchen neben den derzeit verfügbaren Land-, Luft- und Seekriegsmitteln waffenfähige Drohnen und außerdem mehr und besser ausgerüstete, streitkräftegemeinsame Spezialkräfte. Ãœber mehr Kräfte für Operative Information und Bundeswehrkräfte für Cyber-Warfare muss nachgedacht werden. Die Ãœberlegungen zum Erhalt und zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr müssen außerdem im Zusammenhang mit einer stärkeren sicherheits- und rüstungspolitischen Zusammenarbeit mit unseren europäischen und NATO-Partnern und im Lichte zunehmender Multinationalisierung militärischer Großverbände gesehen werden.

Eine solche Betrachtung mit militärischem Schwerpunkt ist allerdings unzureichend und wird den neuen Herausforderungen der Sicherheitspolitik nicht gerecht. Sicherheitspolitik ist heute eine Teilmenge der Außenpolitik und angesichts der Terrorbedrohung, der Cyberkriminalität, der auch vom Militär zu leistenden humanitären Hilfe nicht ohne Verzahnung mit der Innen- und Entwicklungspolitik mit Aussicht auf Erfolg denkbar. Deswegen wäre es an der Zeit, dass die Federführung für die Erarbeitung eines „Weißbuches der Bundesregierung“ vom Auswärtigen Amt übernommen würde.

Wenn man für einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren entscheiden soll, welche Ziele man in der Sicherheitspolitik mit welchen Mitteln, in welcher Qualität, in welcher Kooperation und in welchen Bündnissen erreichen will, dann kommt man nicht darum herum sich festzulegen, welche vitalen Interessen Deutschland als Staat, als Gemeinwesen, als Mittelmacht in der Europäischen Union und als Mitglied der NATO hat und mit welchem Gewicht sich Deutschland in den Erhalt der europäischen Sicherheitsarchitektur und in internationale Krisenbewältigung einbringen will. Wenn das Auswärtige Amt solche längst überfälligen Dokumente geschaffen und der Deutsche Bundestag über die vitalen deutschen Interessen entschieden hat, dann sind auch die Grundlagen gelegt für ein „Deutsches Weißbuch der Bundesregierung“, in dem strategische Aufgaben in der vernetzten Sicherheitspolitik mit den dazu erforderlichen Fähigkeiten, Kräften und Mitteln definiert und zugeordnet werden. Der Entwurf eines solchen Weißbuches muss dann durch den Bundestag und nicht wie sonst üblich als ein Papier des Verteidigungsministers nur zur Kenntnis genommen werden. Es ist eingehend zu diskutieren und parlamentarisch zu billigen. Dann ist der Bundestag auch in der Pflicht, die erforderlichen Gelder für entsprechende jeweilige Aufgabenerfüllung der Ressorts zu bewilligen. Nur so wird nach den Erfahrungen der letzten Jahre verhindert, dass ein weichgespültes Konsenspapier von eingeschränktem Wert entsteht. Nur auf einer solch soliden sicherheitspolitischen Grundlage werden wir unserer gestiegenen sicherheitspolitischen Verantwortung, auch für unsere Partner, verlässlich gerecht werden können.

(19.02.2015)

 

 

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