Hans-Heinrich Dieter

NATO-Ultimatum an Russland?   (06.01.2019)

 

In den letzten Tagen hat NATO-Generalsekretär Stoltenberg in Medien und in Interviews damit gedroht, dass Russland eine „letzte Chance“ habe, den INF-Vertrag wieder einzuhalten. Er hat Reaktionen angekündigt, falls Russland seine Marschflugkörper vom Typ 9M729 (Nato-Code SSC-8) nicht, wie von den USA gefordert, zerstören sollte. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch.

Der 1987 geschlossene (Intermediate-Range Nuclear Forces) INF-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion verbietet bodengestützte Raketen und Marschflugkörper kurzer und mittlerer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer und kam damit vor allem Europa zugute. Beim NATO-Außenminister-Treffen am 4. Dezember 2018 haben die NATO-Mitgliedstaaten gemeinsam erklärt, dass sich die USA an den INF-Vertrag gehalten haben, während Russland durch die Stationierung seiner Marschflugkörper vom Typ 9M729 gegen den Vertrag verstoßen habe, auch weil es die seit über fünf Jahren geforderten Informationen über Details der Waffensysteme verweigert habe. Es gibt lediglich die russische Behauptung, die Raketen seien nicht auf die Reichweite 500-5000 km getestet worden und deswegen liege keine Vertragsverletzung vor. Für die NATO gibt es also keinen Zweifel daran, dass die USA den Vertrag vollständig erfüllen, während Russland mit seiner Raketenstationierung den Vertrag verletzt. Deswegen ist es grundsätzlich gut und richtig, dass sich die NATO dialogbereit aber unmissverständlich und gemeinsam um die Aufrechterhaltung der strategischen Stabilität - auch in Europa - und der euro-atlantischen Einheit bemüht, ohne ein neues Wettrüsten oder einen neuen Kalten Krieg anzustreben.

Die NATO ist allerdings kein Vertragspartner, und wenn der NATO-Generalsekretär von einer „letzten Chance“ spricht, Reaktionen ankündigt und sogar eine atomare Aufrüstung in Europa nicht mehr ausschließt, dann stellt sich die Frage der Glaubwürdigkeit, weil die Möglichkeiten für „Reaktionen der NATO“ sehr begrenzt sind und daher den zunehmend aggressiven Putin kaum „abschrecken“ dürften. Außerdem befürworten die europäischen NATO-Mitglieder zumindest derzeit eine Stationierung von Atomwaffen auf europäischem Boden mehrheitlich nicht. Der deutsche Außenminister Maas hat das schon – relativ autokratisch, ohne sicherheitspolitische Diskussion im Bundestag – ausgeschlossen. Und das legt das sicherheitspolitische Dilemma Europas und der Europäischen Union offen.

Der alte Kontinent Europa ist keine politische Einheit mit gemeinsamen Interessen und Zielen. Die Europäische Union ist eine unzureichend politisch strukturierte und deswegen nur eingeschränkt handlungsfähige Wirtschafts- und Währungsunion ohne gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Außen- und sicherheitspolitisch ist die EU in der Geopolitik von sehr nachrangiger Bedeutung und sicherheitspolitisch von den USA und von der NATO in hohem Maße abhängig. Alle Ankündigungen der EU im Zusammenhang mit der Ãœbernahme von mehr globaler Verantwortung, zu einer Europäischen Verteidigungsunion und zu einer Armee der Europäer sind illusionsbehaftet und realitätsfern. Und angesichts der globalen Bedrohungen sowie der aggressiven Politik des neuen „Gegners“ Russland sind europäische Staaten immer weniger in der Lage, für ihre Sicherheit zu sorgen. Hier muss die EU zukünftig in Ergänzung zur NATO mehr und Gutes leisten. Eine eigene, hinreichende Verteidigungs-Fähigkeit wird die EU in den nächsten zwei/drei Jahrzehnten nicht aufbauen können, denn die einzige Nuklearmacht in der EU ist nach dem Brexit Frankreich mit marginalen Fähigkeiten im Vergleich zu Russland und den USA. Die EU braucht die USA deswegen mindestens mittelfristig als Partner und die NATO bleibt längerfristig der einzige glaubwürdige und handlungsfähige Garant der äußeren Sicherheit und Verteidigung Europas. Deswegen fallen die Reaktionen der EU bisher sehr zurückhaltend aus. Mit solcher Zurückhaltung werden die europäischen Interessen allerdings nur unzureichend eingebracht.

Die EU sollte alle diplomatischen Bemühungen sehr eng mit der NATO verknüpfen und alles dafür tun, um den INF-Vertrag zu retten, oder aber Verhandlungen über einen INF-Folgevertrag anzuregen. Da die USA unter der Präsidentschaft von Trump an der Pflege von Verträgen nicht mehr vordringlich interessiert zu sein scheint und Russland einer Inspektion seiner Marschflug-Körper vom Typ 9M729 durch die USA wohl nicht zustimmen wird, bleiben Neuverhandlungen zu einem INF-Folgevertrag die für unsere globalisierte Welt günstigste Lösung.

Deutschland und Belgien haben ab Jahresbeginn 2019 als nichtständige Mitglieder einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Belgiens Außenminister Reynders hat bereits erklärt, dass sein Land im Einklang mit seinem europäischen Engagement bestrebt sei, das Gewicht der EU in den Vereinten Nationen zu stärken. Der deutsche Außenminister Maas sagte heute der „Welt am Sonntag“, im Hinblick auf Rüstungskontrolle müssten aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage auf globaler Ebene neue Transparenz- und Kontrollregeln erarbeitet werden, die auch Länder wie China und Indien einbeziehen. Und wenn Frankreich als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat für eine solche Initiative gewonnen werden kann, dann werden auch die europäischen Sicherheitsinteressen mit Gewicht eingebracht werden können.

Da Russland zunehmend als Bedrohung und die USA - nicht erst seit der möglichen Aufkündigung des INF-Vertrages – als ein zunehmend unsicherer Partner bei der Gewährleistung der europäischen Sicherheit anzusehen ist, muss Rüstungskontrolle zukünftig auf globaler Ebene und umfassender und die Sicherheit Europas vornehmlich mit NATO garantiert werden – insbesondere auch wegen der nuklearen Abschreckungsfähigkeiten der USA – in die sich die europäischen NATO-Mitglieder sehr viel intensiver und engagierter einbringen.

Und wenn der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland aufgrund beiderseitigen Einlenkens doch nicht aufgekündigt wird, dann sollte sich die EU trotzdem für einen INF-Ergänzungsvertrag auf globaler Ebene und mit weiteren Nuklearmächten einsetzen.

(06.01.2019)

 

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