Hans-Heinrich Dieter

NATO-Treffen Brüssel (08.02.2012)

 

Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister Anfang Februar in Brüssel ging es auch um das Afghanistan-Engagement der internationalen Staatengemeinschaft. Für Aufregung sorgte vor allem US-Verteidigungsminister Panetta mit den Aussagen zu einem früheren Abzug von US-Kampftruppen als auf dem Gipfel in Lissabon vereinbart. Es folgte die vielstimmige und vielschichtige Reaktion der NATO-Mitglieder. Von "Bündnis" keine Spur.

Ergebnisse der Tagung sind nicht so recht bekanntgemacht worden und die Medien berichteten mit dürren Worten. Darüber hinaus hat das direkt anschließende politische Schaulaufen auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Ergebnisse möglicher Sacharbeit in den Hintergrund gedrängt. Darüber hinaus bewegen Iran und Syrien. Außerdem diente dieses Treffen auch der Vorbereitung des NATO-Gipfels in Chicago am 20. und 21. Mai 2012. Da soll es dann um die "wichtigen" Dinge gehen, wie die Definition des Endzustandes 2014 und die Finanzierung der Sicherheit der afghanischen Bevölkerung auf dessen Grundlage.

Aber einige Afghanistan-Aspekte des Treffens verdienen doch Aufmerksamkeit. So soll am Hindukusch nach Abzug der Kampftruppen der internationalen Staatengemeinschaft der Umfang der afghanischen Sicherheitskräfte, Polizei und Armee, stark reduziert werden. Dieses Thema sollen die Minister unter der Überschrift einer "langfristig nachhaltigen Größenordnung" diskutiert haben. Frankreich hat da schon einmal festgestellt, dass statt der Zielgröße 350.000 dann 230.000 Soldaten und Polizisten ausreichen sollten. Entschieden wird beim Gipfel in Chicago.

Der interessierte Leser staunt und reibt sich die Augen. Es erstaunt nicht, dass man dann, wenn man kein stimmiges Konzept und keine Zielvorstellungen hat, mit hohem finanziellem und personellem Aufwand in über 100.000 Soldaten und Polizisten fehlinvestiert. Aber wie kann eine "nachhaltige Größenordnung" sinnvoll festgelegt werden, wenn - wie zu erwarten - eine ins Detail gehende Festlegung des "Endstate Afghanistan" in Chicago nicht geleistet werden wird? Wie können Größenordnungen festgelegt werden, wenn die Lage und ihre vorstellbare Entwicklung so wenig stabil sind, dass verlässliche Abschätzungen der Sicherheitserfordernisse kaum möglich sind? Wie kann über "nachhaltige" Größenordnungen befunden werden, wenn die gravierenden Probleme der Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch Taliban und der Abwerbung der ausgebildeten Soldaten und Polizisten mit ihren Waffen durch die islamistischen Terroristen nicht im Ansatz gelöst sind? Und die "nachhaltige Größenordnung" wird dann natürlich auch noch dadurch stark beeinflusst, dass die durch Truppenreduzierungen arbeitslosen Soldaten und Polizisten ihr Auskommen bei den Taliban suchen werden, was die Sicherheitserfordernisse der afghanischen Bevölkerung drastisch erhöhen dürfte.

Es geht hier aber um "Realpolitik" und deswegen wird die "nachhaltige Größenordnung" danach entschieden werden, was die Staaten der internationalen Gemeinschaft für die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung bezahlen wollen und können. In Zeiten der weltweiten Schulden- und Finanzkrisen sind das keine guten Aussichten für die afghanische Bevölkerung.

Wenn die Lage sich nach 2014 allerdings schlecht entwickelt und die Taliban die Macht zurückerobern, dann werden die Sicherheitskräfte in beliebiger Größenordnung von den Taliban übernommen. Dann erübrigt sich das finanzielle Problem für die westliche Staatengemeinschaft - allerdings nur vordergründig!

(08.02.2012)

 

 

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