Hans-Heinrich Dieter

NATO-Gipfel   (19.02.2021)

 

Die NATO-Verteidigungsminister haben die Entscheidung zur Beendigung des Afghanistaneinsatzes vertagt, denn man folgt weiter dem Grundsatz: „Gemeinsam rein, gemeinsam raus!“ und will deshalb abwarten, bis die USA die aktuelle Sicherheitslage beurteilt und über die Zukunft der westlichen Mission am Hindukusch entschieden haben. In einer aktuellen US-Studie heißt es, dass ein abrupter Abzug der westlichen Truppen dazu führen könne, dass von Afghanistan innerhalb von achtzehn Monaten bis drei Jahren wieder eine Terrorgefahr für Amerika ausgehe. Diesen Aspekt wird die neue US-Administration sicher nicht ignorieren und deswegen voraussichtlich nicht am von Trump entschiedenen Ende des Einsatzes bis Ende April 2021 festhalten wollen.

An sich ist es höchste Zeit, diesen erfolglosen Einsatz zu beenden. Denn in Afghanistan hat die westliche Staatengemeinschaft mit dem naiven Ziel interveniert, aus einer vom Islam dominierten, unterentwickelten, mittelalterlichen Stammesgesellschaft eine rechtsstaatliche „Westminster-Demokratie“ mit guter Staatsführung zu machen – und ist gescheitert! Afghanistan will nicht nach westlicher Façon selig werden, Afghanistan will unser Geld. Nach fast 20 Jahren massiven und kostenintensiven militärischen Einsatzes sowie humanitärer und wirtschaftlicher Investitionen terrorisieren die erstarkenden Taliban weiterhin das afghanische Volk, ist die Korruption nicht im Griff und wurde die Drogenproduktion weiter ausgebaut. Positive Perspektiven gibt es nicht und von demokratischen Strukturen ist das Land noch weit entfernt. Das erfolglose Ende des westlichen Engagements in Afghanistan würde allerdings den Taliban die zügige Machtübernahme ermöglichen. Aber offensichtlich zieht eine Mehrheit der Bevölkerung ein von den Taliban stark beeinflusstes, wenn nicht gar beherrschtes, gesellschaftliches System einer westlich orientierten Demokratie vor. Das muss man respektieren! Außerdem haben die Taliban mit dem „totalen Krieg gegen die Besatzer“ gedroht, sollte der Abzug bis Ende April nicht vollzogen sein. Das würde eine deutlich verschärfte Bedrohungslage für die westlichen Truppen schaffen.

Andererseits muss man berücksichtigen, dass die Taliban derzeit die Gewalt gegen die afghanischen Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung forcieren, obwohl an einem Friedensabkommen durch die afghanische Regierung gearbeitet wird. Das sollte eigentlich Voraussetzung für eine Beendigung des Einsatzes durch die NATO sein. Dabei muss allerdings in Erwägung gezogen werden, dass mit einem erfolgreichen Friedensabkommen in nächster Zeit nicht zu rechnen ist. Denn die Taliban haben sich inzwischen alle politischen und militärischen Vorteile erkämpft und sie haben alle Zeit der afghanischen Welt - und nichts zu verlieren! Der NATO-Generalsekretär spricht da zurecht von einem „mehrfachen Dilemma“! Und es scheint so, als gehe es Stoltenberg nicht mehr um baldigen oder „überstürzten“ Abzug, sondern um einen längeren Einsatz: „bis die Zeit reif ist“!

Der Bundestag wir also voraussichtlich das Mandat für das zweitgrößte westliche Kontingent – rund 1100 deutsche Soldaten der Ausbildungsmission Resolute Support - in Afghanistan verlängern. Mit solchen vagen Stoltenberg-Äußerungen sollte sich das Parlament aber nicht unterwürfig zufriedengeben. Deutschland muss darauf dringen, dass endlich eine gemeinsame NATO-Exit-Strategie für Afghanistan erarbeitet wird. Truppenreduzierungen dürfen dann nur abgestimmt vorgenommen werden und müssen an konkret definierten Lageentwicklungen orientiert sein. Außerdem muss die Sicherheit der verbleibenden Truppen bestmöglich gewährleitet sein und da haben sich die USA zu verpflichten, die erforderliche Unterstützung bei der militärischen Aufklärung, bei MedEvac und durch Kampf- und Luftnahunterstützung zu gewährleisten. Zugleich aber sollte das Parlament rasch dafür sorgen, dass die deutschen Soldaten bestmöglich ausgerüstet werden – auch mit waffenfähigen Drohnen! Denn die Truppe muss bestmöglich vorbereitet sein für einen längeren Einsatz unter verstärkter Taliban-Bedrohung einerseits sowie für rasche Absetzbewegungen falls erforderlich. Die Zeit drängt, denn in sechs Wochen endet das Mandat!

Mir tut es leid um die Gefallenen, Verwundeten und hochengagierten Soldaten der NATO, denn ihr Einsatz in Afghanistan hat kein positives Ergebnis erbracht! Und nun steht auch noch ein weitergeführter „Einsatz ohne absehbares Ende“ bevor, der weiterhin sehr viel Investitionen fordern wird, ohne dass sich an der desolaten Lage der afghanischen Bevölkerung viel zum Guten ändern wird. Afghanistan bleibt ein marodes „Fass ohne Boden“!

(19.02.2021)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/versageninafghanistan.html

 

 

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