Hans-Heinrich Dieter

Moral von Waffenlieferungen (31.03.2011)

 

Man muss kein Friedensaktivist sein, um Waffenlieferungen an die Aufständischen in Libyen sehr kritisch zu sehen.

Die UN-Resolution 1973 fordert, den Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu gewährleisten, und ermächtigt zur Durchsetzung einer Flugverbotszone und eines Waffenembargos.

Die „Koalition der Willigen“ und nun die NATO hat in einem Bürgerkrieg Partei für die bewaffneten Aufständischen ergriffen, das ist problematisch genug, denn sich an der Seite und zum Vorteil der Rebellen am Bürgerkrieg zu beteiligen heißt nicht zwangsläufig, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird. Die bewaffneten Rebellen sind nun einmal nicht die libysche Zivilbevölkerung. Der Vormarsch der libyschen Armee und der Milizen Gaddafis zur Einnahme der Rebellenhochburg Bengasi wurde gestoppt. Die libysche Luftwaffe wurde ausgeschaltet und eine Reihe von militärischen Zielen wurden zerstört. Das hat sicherlich auch zum Schutz der Zivilbevölkerung beigetragen. Problematisch bleibt diese Kriegsbeteiligung trotzdem.

Die Gaddafi-Gegner haben nicht das erklärte Ziel, die libysche Zivilbevölkerung zu schützen. Ihr Ziel ist es, Gaddafi zu stürzen. Das wird ohne massive Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung nicht möglich sein. Die Rebellen sind in ihrer Propaganda im Augenblick etwas kleinlauter und brauchen militärische Unterstützung nicht nur aus der Luft. Der Übergangsrat in Bengasi hat deswegen die internationale Gemeinschaft erneut um Waffenlieferungen gebeten. In dieser Frage ist die internationale Staatengemeinschaft gespalten.

Obama befürwortet Waffenlieferungen genauso wie seine Außenministerin, Frankreich und Großbritannien sind indifferent, Deutschland und Italien sind gegen Waffenlieferungen und NATO Generalsekretär Rasmussen lehnt Waffenlieferungen strikt ab. Rasmussen meint: "Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu schützen, nicht, sie zu bewaffnen."  Und nach seiner Meinung lässt die Resolution 1973 das auch nicht zu, denn die fordert eine strikte Anwendung des Waffenembargos und die Verhinderung von Waffenlieferungen "in die oder aus der Libyschen Arabischen Jamahiriya" (Libyscher „Volksstaat“). Und NATO-Diplomaten äußern sich eindeutig: "Wir lesen die Resolution so, dass sie alle Waffenlieferungen nach Libyen verbietet. Und wir kontrollieren das Embargo völlig unparteiisch." Demgemäß müssten US-Waffenlieferungen ggf. auch gewaltsam unterbunden werden.

Die USA haben im Zusammenhang mit Waffenlieferungen eine schwierige Geschichte und schlechte Erfahrungen gemacht. Die USA haben damals in Afghanistan die Taliban massiv gegen sowjetische Truppen mit Waffen versorgt und werden heute von den Taliban mit diesen Waffen, zusammen mit den Truppen der internationalen Staatengemeinschaft, bekämpft. Die USA haben Widerstand gegen Hussein im IRAK intensiv mit Waffenlieferungen unterstützt und werden bis heute mit solchen Waffen aus US-Produktion im IRAK bekämpft. Der CIA hat in diesen Zusammenhängen meist eine Rolle abseits der politischen Moral gespielt.

Das ursprüngliche Waffenembargo gegen Libyen wurde 2004 aufgehoben, nachdem Gaddafi der Unterstützung des Terrorismus abgeschworen hatte. Nach der Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern und eines palästinensischen Arztes aus libyscher Haft in 2007 sind Einzelheiten des ersten offiziellen Waffenhandels mit Libyen bekannt geworden. Auch Europa war mit Waffenlieferungen an Libyen im Umfang von 300 Millionen Euro beteiligt. Das Regime Gaddafi hat sich seit 2007 grundsätzlich nicht verändert. Es war schon immer totalitär und menschenverachtend. Das sollte die westliche Staatengemeinschaft bei ihren politischen Ãœberlegungen nicht vergessen. An sich könnte man erwarten, dass aus solchen Erfahrungen gelernt wurde. Umso erstaunlicher ist es, dass die UN-Resolution jetzt seitens der USA weit überdehnt interpretiert wird, um dem wenig differenzierten politischen Zweck „Gaddafi muss weg“ einen vermeintlichen Heiligenschein zu verpassen. Gut, dass die NATO da nicht mitspielt und sich doppelter Moral verweigert.

Es muss aber auch kritisch gefragt werden, was denn mit der Bewaffnung der Rebellen genau erreicht werden soll. Diese Aufständischen haben sich selbst bewaffnet, sind Bürgerkriegspartei geworden, haben aber keine militärische Ausbildung und Erfahrung und können mit diesen Waffen nicht sachgerecht umgehen. Waffen in der Hand von fanatischen Laien sich hochgefährlich auch für die Zivilbevölkerung. Wenn man militärische Laien mit schweren Waffen, zum Beispiel Artillerie, ausrüstet, dann wird diese Gefahr maximiert, da der Zivilbevölkerung nicht nur Kollateralschäden sondern durchaus auch fehlgeleiteter Direktbeschuss droht. Je stärker die Rebellen sind, desto heftiger werden die Gefechte auch um bebautes Gelände geführt werden und das geht nicht ohne massive Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung. Darüber hinaus darf man objektiv einfach nicht außer Acht lassen, dass man mit der Bewaffnung der Rebellen Aufständische gegen einen Teil der Zivilbevölkerung bewaffnet. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, schon überhaupt nicht solche Mittel, die nicht legitimiert sind.

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass häufig die Falschen bewaffnet werden. Wir werden sehen, dass in Folge der friedlichen Revolutionen in Ägypten und Tunesien islamistische Bewegungen versuchen, die Lage auszunutzen. In Libyen sind die unterschiedlichen Gruppierungen der Aufständischen, die diversen Stammesinteressen und auch die islamistischen Absichten von Teilen der Rebellen nicht bekannt. Wenn man die Rebellen auf dem Weg zu einer Liberalisierung unterstützt, ist das mit Chancen und Risiken verbunden. Bei der Unterstützung durch Waffenlieferungen überwiegen die Risiken und die politische Moral sollte nicht auf der Strecke bleiben.

Da schreibt die WELT am 31.03.2011 lapidar: „Wer interveniert, muss auch siegen wollen.“ Für eine Intervention mit Aussicht auf einen militärischen Sieg gibt es bisher keine Legitimation. Und wer sich am Krieg beteiligt, sollte an sich genau wissen, welches Libyen am Ende dieses militärischen Engagements stehen soll und wer das libysche Volk mit der Aussicht auf Liberalisierung und viel später einmal Demokratie vertreten soll.

Jetzt muss die NATO ihrer Verantwortung in vollem Umfang gerecht werden. Politische Entscheidungen werden im Nordatlantikrat zu treffen sein und nicht länger in Washington.

 

(31.03.2011)

 

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