Hans-Heinrich Dieter

Militärcourage 2 (23.07.2011)

 

Militärcourage ist - wie Zivilcourage auch – leider eine selten geübte Tugend. Deutsche Offiziere halten sich zum Beispiel mit öffentlichen Äußerungen normalerweise sehr zurück, schon weil das Soldatengesetz eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Fehlende öffentliche Äußerung ist zusätzlich sicher dadurch begründet, dass Offiziere sich nicht in überhitzte, teilweise wenig an realen Sachverhalten orientierte politische Debatten hineinziehen lassen wollen, der Hierarchie der militärischen Verantwortung vertrauen und mit gelegentlich falschem Verständnis des Primats der Politik die Verantwortung für öffentliche Äußerungen ausschließlich den Politikern zuordnen. Bei Generalen kommt hinzu, dass sie dem § 50 Soldatengesetz unterliegen und bei missliebigen Äußerungen unter dem Vorwand des Vertrauensverlustes ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können.

Außerdem ist es im Militär durchaus nicht unüblich, Soldaten, die Missstände aufzeigen oder das System, die politische Leitung bzw. die militärische Führung kritisieren und Korrekturen fordern, hinter vorgehaltener Hand als Wichtigtuer, Nestbeschmutzer oder Denunzianten zu verunglimpfen. Dabei wird übersehen, dass verantwortungsbewusste Pflichterfüllung vom Staatsbürger in Uniform geradezu verlangt, Missstände, die die Auftragserfüllung beeinträchtigen, aufzuzeigen und nötigenfalls auch öffentlich anzuprangern, wenn Abhilfe offenbar nicht anders zu erreichen und der „Dienstweg“ ausgeschöpft ist.

In der aktuellen und realen öffentlichen Wahrnehmung vertritt fast ausschließlich der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Kirsch, als Soldat kritische Meinungen. Oberst Kirsch macht seine Sache gut, da er aber weit über seine Bundeswehrverband-Zuständigkeiten hinaus Stellung bezieht, entsteht gelegentlich der Eindruck, dass Oberst Kirsch als öffentliche militärische Stimme die Bundeswehr vertritt. Das soll er nicht und das kann er auch nicht. Die Bundeswehr hat in der öffentlichen Wahrnehmung und in der politischen Kommunikation erhebliche Defizite.

Soldaten sind in dienstlichen Angelegenheiten zur Wahrheit verpflichtet. Die Bürger haben ein Anrecht auf wahre Information. Ohne wahre Information kann die Bevölkerung auch keinen fundierten Anteil an der Auftragserfüllung der Soldaten nehmen. Wenn Soldaten nicht selbst wahrheitsgemäß zu ihrem Dienst und damit verbundenen Problemen Stellung nehmen, dann darf man sich auch nicht wundern, dass die Bürger eine indifferente oder gleichgültige Haltung gegenüber der Parlamentsarmee einnehmen. Ohne öffentliche Kommunikation kann die Bundeswehr nicht „in der Mitte der Gesellschaft“ sein und es wird ohne Wehrpflicht schwerer, auch beiläufiges Interesse wach zu halten. Ohne öffentliche Kommunikation von aussagefähigen Soldaten wird die Bundeswehr das „freundliche Desinteresse“ der Bürger nicht überwinden können. Mit wahrhaftiger Information ließe sich auch Glaubwürdigkeit in sicherheitspolitischen Fragen gewinnen bzw. zurückgewinnen.

Es gibt auch in jüngster Zeit Beispiele für Militärcourage. Als Präsident Obama kürzlich angekündigt hatte, dass bis Mitte 2012 33.000 US-Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden, haben sich sowohl der Generalstabschef Mullen wie auch der damalige Oberbefehlshaber in Afghanistan, Petraeus, zu Wort gemeldet und – natürlich mit allem schuldigen Respekt – deutliche Kritik geübt sowie ihrer Sorge über den übereilten Rückzug Ausdruck verliehen. Sie hatten den Beginn des Rückzuges aufgrund der immer noch sehr fragilen Lage mit erheblich weniger Truppen empfohlen und machten deutlich, dass das Erreichen der Ziele in Afghanistan auf der Grundlage der Entscheidung des Präsidenten nun mit größeren Risiken verbunden sei. Den amerikanischen Bürgern wird so deutlich gemacht, dass die politische Entscheidung ihres Präsidenten nicht unbedingt mit der militärischen und sicherheitspolitischen Lagebeurteilung im Einklang ist. Generalstabschef Mullen ist noch im Amt und General Petraeus wurde in ein neues Amt gefördert. Militärs können in unserer westlichen Welt also durchaus mutig ihre Meinung sagen.

In Deutschland lässt sich auch vereinzelt Militärcourage beobachten, das hat aber kaum öffentliche Wirkung. Aber es geht nicht nur um kritische Meinungsäußerung sondern auch um sachgerechte mutige Kommunikation. Auch bei uns sollten sich Spitzenmilitärs öffentlich zu Wort melden. Der Generalinspekteur ist dem Minister für die Einsätze der Bundeswehr verantwortlich. Er ist diesbezüglich in höchstem Maße sachkundig und kann als militärischer Berater des Ministers und der Bundesregierung die Sachverhalte in den Politischen Rahmen einordnen. Warum kommt der Generalinspekteur nicht häufiger, wenn nötig auch kritisch,  zu Wort.

Die Inspekteure sind die obersten Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine sowie von der Streitkräftebasis und vom Sanitätsdienst. Warum erhalten sie nicht vom Minister den Auftrag, Sachverhalte oder auch Probleme aus ihren Verantwortungsbereichen zu erläutern oder zu kommentieren. Warum tritt der Inspekteur der Marine nach den Vorfällen auf der Gorch Fock nicht im Auftrag des Ministers vor die Medien und informiert über den Sachstand und das weitere Vorgehen? Die Bundeswehr hat hervorragende Fachleute, warum sollen die immer nur aufschreiben, was die Politiker sagen sollten, und nicht selbst ihr Thema vor der Öffentlichkeit verantworten? Warum bildet die Bundeswehr ihre Führungskräfte nicht intensiver für die Wahrnehmung strategischer Kommunikation aus? Es stände den Spitzen-Staatsbürgern in Uniform gut zu Gesicht und es würde der Sache dienen, wenn sie sich öffentlich zu Wort meldeten.

Mängel in der strategischen Kommunikation und die zu selten wahrnehmbare Militärcourage von Spitzenmilitärs der Bundeswehr haben auch mit falschem Verständnis vom Primat der Politik  zu tun. Das gilt es zu überwinden.

(23.07.2011)

 

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