Hans-Heinrich Dieter

Mehr direkte Demokratie?   (18.11.2013)

 

Bürgerbeteiligung ist grundsätzlich gut, denn alle Gewalt in unserer Demokratie geht ja vom Volke aus. Deutschland ist aber eine europäische Mittelmacht mit einer sehr umfangreichen Bevölkerung, mit einer sehr großen Volkswirtschaft und mit umfangreichen Verpflichtungen gegenüber der europäischen Union, der Euro-Gruppe, der NATO und der internationalen Staatengemeinschaft. Deutschland ist daher aus guten Gründen eine repräsentative Demokratie, in der das Volk seine Macht durch Wahlen ausübt. Gewählten Volksvertretern wird für eine Legislaturperiode Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft übertragen und bei der ständig zunehmenden Komplexität der kommunalen, regionalen, nationalen, europäischen und globalen Probleme fällt es den gewählten Verantwortungsträgern schwer genug, sachkundig und sinnvoll zu Problemlösungen beizutragen.

Wer also mehr Bürgerbeteiligung, mehr direkte Demokratie will, der muss auch die Frage beantworten, unter welchen Bedingungen direkte Bürgerbeteiligung dem Gemeinwohl sinnvoll dienen kann. Da auf allen Ebenen politische Probleme zu lösen sind, kann nur ein gut informierter, politisch gebildeter und mündiger Bürger zur Problemlösung beitragen. Das kann aber leider nur ein Teil unserer Bevölkerung leisten.

Seit dem PISA-Schock gibt es zahlreiche Studien, die Auskunft über die Bildungssituation in Deutschland geben. Die Studierfähigkeit unserer Abiturienten ist rückläufig. Studien belegen außerdem, dass in den nächsten fünf Jahren in Deutschland mindestens 250 000 Akademiker fehlen werden. Die Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen mit Haupt- und Realschulabschluss ist gemäß Industrie- und Handelskammer rückläufig, hauptsächlich wegen fehlender Lese- und Mathematikbefähigung. In Deutschland verfügen zehn Prozent der Bevölkerung weder über einen Hauptschulabschluss, noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Kurz und wenig gut, in Deutschland herrscht offenbar eine erschreckende Bildungsarmut, die die positive Entwicklung unserer Gesellschaft behindern und verlangsamen wird. Damit verbunden sind erhebliche Nachteile im globalen politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb. Die Bildungsarmut betrifft auch die politische Bildung.

Da stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage denn nun die eingeschränkt studier-, ausbildungs- und politikfähigen Staatsbürger ihren politischen Willen entwickeln, zur Kritik und Interessenwahrnehmung befähigt werden und urteilskompetent eine demokratische und selbstbestimmte Wahlentscheidung treffen sollen? Und bei direkter Bürgerbeteiligung verschärft sich naturgemäß dieses Problem erheblich, weil sich nur wenige politische Fragestellungen mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lassen.

Wenn man mehr direkter Demokratie trotzdem eine Chance geben will, dann sollte man die Bürger direkt über Dinge aus ihrem Erfahrungsumfeld, die sie direkt betreffen entscheiden lassen, nicht aber über Probleme der Bundesebene, der Europa- und Sicherheitspolitik. Denn je entfernter das politische Handlungsfeld und je komplizierter die Materie, desto schwieriger wird es, sich ein Urteil zu bilden und deswegen ist zum Beispiel „Europa“ auf absehbare Zeit zu kompliziert, um es der direkten Einwirkung von Bürgern zu überlassen, die sich nur schwer ein politisches Urteil bilden können und dann ihren nicht begründeten demokratischen Willen aufgrund von Gefühlen und Stimmungen ausüben. Das ist auch gefährlich, denn bei zunehmender politischer Unmündigkeit der Bürger werden Demagogen und Populisten Tür und Tor geöffnet und dann werden gesellschaftliche Reformen durch emotional und mit Schlagworten geführte ideologische Polit-Schlachten erschwert. Deutschland ist eben nicht mit der teilweise eher provinziell ausgerichteten Schweiz zu vergleichen und braucht deswegen eine verantwortliche Politik oberhalb der Stammtische, der Gutmenschenmeinungen, der lokalen Interessen, der Stimmungen und aufgeheizten Gefühle von vermeintlichen Mehrheiten der Bevölkerung.

Die CDU ist also gut beraten, in den Koalitionsverhandlungen dem Chef-Populisten Seehofer und den aus tiefsitzender Angst vor Basis und Wählern entscheidungsschwachen SPD-Politikern in dieser unsere repräsentative Demokratie grundsätzlich betreffenden Frage nicht nachzugeben.  

Unsere Freiheitlich Demokratische Grundordnung ist zu wertvoll und die reale politische Welt ist zu komplex, um sie dem eventuellen Einfluss von Demagogen, Populisten oder auch Wutbürgern auszusetzen. 

(18.11.2013)

 

 

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