Hans-Heinrich Dieter

Machtkampf in der EU?   (12.05.2020)

 

Das Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche die milliardenschweren Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) beanstandet. Diese habe ihr Mandat klar überspannt, urteilten die Verfassungsrichter – und stellten sich damit erstmals gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der solche Käufe der EZB im Dezember 2018 für rechtmäßig erklärt hatte.

In dem Karlsruher Urteil heißt es: „Der mit der Funktionszuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV (Vertrag über die Europäische Union) verbundene Rechtsprechungsauftrag des Gerichtshofs der Europäischen Union endet dort, wo eine Auslegung der Verträge nicht mehr nachvollziehbar und daher objektiv willkürlich ist.“ Damit werfen die Bundesverfassungsrichter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine eindeutige Ãœberschreitung seiner Kompetenzen vor. Das EZB-Aufkaufprogramm habe „erhebliche ökonomische Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer betroffen sind“, sagte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes und Vorsitzende des 2. Senats Voßkuhle. Für Sparvermögen ergäben sich deutliche Verlustrisiken, die Immobilienpreise stiegen überproportional. Außerdem begebe sich das Eurosystem in Abhängigkeit von der Politik der Mitgliedstaaten.

Und Peter Gauweiler, einer der Kläger zieht folgendes Fazit: „Die jetzigen Anleihen sind verfassungswidrig, wenn nicht innerhalb der nächsten drei Monate eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für alle kontrollierbar und sichtbar nachgeholt wird. Dazu ist die Bundesbank verpflichtet und die Bundesregierung und der Bundestag müssen darauf dringen. Wenn nicht, dürfen diese Programme in Deutschland nicht mehr vollzogen werden und die Bundesbank darf daran nicht mehr mitwirken.“ Die EZB ist damit zum ersten Mal begründungspflichtig und hat dafür 3 Monate Zeit. Damit ist der längst überfällige Kampf gegen den Ankauf von Ramschanleihen aufgenommen. Das ist ein wirklicher Erfolg!

Der erfahrene Finanzpolitiker Friedrich Merz begrüßt das Urteil im „Handelsblatt“: „Es muss zukünftig eine besondere Aufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik sein, auf negative Folgen der Ankaufprogramme öffentlich und gegenüber der EZB hinzuweisen.“ Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion meint: „Am Ende wird kein Weg daran vorbeiführen, dass das Mandat der EZB von der Politik präziser definiert wird. … Sinnvoll wäre zum Beispiel eine Großkreditgrenze, mit der Anleihekäufe der EZB begrenzt werden wie bei Geschäftsbanken auch.“

EU-Politiker sehen das natürlich zum Teil anders. Die Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts werfe Fragen auf, die den Kern der europäischen Souveränität berührten. Das EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht und die Urteile des Europäischen Gerichtshofes seien für alle nationalen Gerichte bindend.

Der CSU-Europaabgeordnete Ferber hat die Einschätzung geäußert, das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil gegen die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank seine Kompetenzen überschritten und dem EuGH „Haltungsnoten“ erteilt. Damit habe man eine rote Linie überschritten. Das Urteil zeige ihm zudem, dass beim Bundesverfassungsgericht wenig Sachverstand vorhanden sei, wie eine Notenbank funktioniere. Ich zweifele da eher am Sachverstand des Herrn Ferber!

Nach Meinung des früheren Unionsfraktionschefs Merz steht EU-Recht natürlich nicht immer über nationalem Recht. Und so kritisiert er von der Leyen: „Der Satz aus der EU-Kommission, dass nämlich europäisches Recht immer Vorrang hat vor nationalem Recht, ist in dieser apodiktischen Form einfach unzutreffend.“ In der Währungspolitik sei es vielmehr der Fall, dass die Kompetenzen nur gemeinsam von europäischen und nationalen Institutionen ausgeübt werden könnten. So seien die Notenbanken der Mitgliedstaaten neben dem europäischen auch an das Recht ihrer Herkunftsländer gebunden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäge dies sorgfältig ab und betreffe nicht die EZB als Ganzes, sehr wohl aber das Handeln der Bundesbank als Teil des Systems.

Ich bin kein Jurist aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass die EU kein Bundesstaat, sondern ein supranationaler europäischer Staatenbund ist, der nationalstaatliche Verantwortlichkeiten zu berücksichtigen hat. Und die an den Anleihekäufen beteiligte deutsche Bundesbank hat nach Recht und Gesetz zu handeln und das finanzpolitische Hoheitsrecht des Deutschen Bundestages zu respektieren. Die Mitgliedstaaten sind die wesentlichen Träger des europäischen Staatenverbundes und so hat auch das Bundesverfassungsgericht das Recht aber auch die Pflicht, das Handeln deutscher Institutionen (hier der Bundesbank) im EU-Rahmen (hier der EZB) an den Maßstäben des Grundgesetzes zu überprüfen. Dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag nicht schon früher gegen die maßlosen Anleihekäufe der EZB politisch vorgegangen sind, ist meiner Auffassung nach ein Versäumnis zu Lasten der deutschen Staatsbürger!

Nun gilt es, das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB abzuwarten. Wenn es zu einem Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland  kommt, sollte man dem Ergebnis gelassen entgegensehen, denn es ist schwer vorstellbar, dass sich die EU mit ihrer eingeschränkten Souveränität bei der gegebenen Rechtslage gegen das deutsche Grundgesetz und seine Auslegung durch das Verfassungsgericht durchsetzt.

Deswegen handelt es sich auch nicht um einen Machtkampf in der EU, sondern um eine wichtige juristische Auseinandersetzung zur Struktur und Zukunft der EU. Wer will, dass EU-Recht immer Vorrang vor nationalem Recht hat und dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für alle nationalen Gerichte bindend sind, muss eine weitaus tiefer integrierte Europäische Union schaffen, in der die Mitgliedstaaten große Teile ihrer Souveränität abgeben. Wer zum Beispiel die Vergemeinschaftung von Schulden anstrebt, muss für die EU eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik definieren und in der EU strukturell durchsetzen. Davon ist die EU sehr weit entfernt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mutig geurteilt und die Demokratie gestärkt!

(12.05.2020)

 

 

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