Hans-Heinrich Dieter

Kurzsichtig und provinziell  (05.05.2011)

 

Ausgangspunkt für das kriegerische Engagement der USA in Afghanistan war sicher die Jagd auf Bin Laden. Die Welt und mit ihr die Sicherheitspolitik haben sich aber weiterentwickelt. Der internationalen Staatengemeinschaft geht es doch inzwischen darum, in Afghanistan so stabile politische und gesellschaftliche Verhältnisse aufzubauen, dass Afghanistan selbst für seine Sicherheit sorgen kann und das Land nicht in die Hände der islamistischen Taliban zurückfällt.

Da ist es sehr erstaunlich, dass mitdem Tod Bin Ladens in den USA eine heftige Debatte über die künftige Strategie am Hindukusch entbrannt ist und diese Diskussion auf viele europäische Staaten überschwappt, die am ISAF-Einsatz in Afghanistan beteiligt sind.

Jeder, der sich mit Terrorismus und Al Qaida ein wenig befasst, weiß, dass Bin Laden für die islamistischen Terroristen eine wichtige Symbolfigur war aber eben nur eine Symbolfigur mit sehr eingeschränktem Einfluss auf das operative Geschäft der hauptsächlich und zunehmend gut vernetzten, aber in dezentral organisierten Kommandos agierenden, Al-Qaida-Terroristen. Es ist allgemein bekannt, dass Aiman az-Zawahiri seit geraumer Zeit der ideologische Kopf des Netzwerks ist und als bisheriger Stellvertreter Bin Ladens Führungsfunktionen übernommen hat.

Bin Laden ist tot, die gut vernetzte, schlagkräftige Terrororganisation Al Qaida lebt.

Da ist es geradezu beängstigend, wie oberflächlich und kurzsichtig die Debatte durch die sicherheitspolitische Supermacht USA geführt wird. Einer repräsentativen Umfrage kurz nach dem Tod Bin Ladens zur Folge, sind 54 Prozent der Demokraten der Auffassung, die Mission in Afghanistan sei nun erfüllt und die Truppen müssten umgehend zurückgeholt werden. 38 Prozent der Republikaner halten die Mission in Afghanistan für erfüllt, 59 Prozent wollen die amerikanischen Truppen dort vorerst belassen. Moderate Stimmen, die am geplanten vollständigen Abzug der Kampftruppen bis 2014 festhalten wollen und davor warnen, jetzt übereilt Schritte zu unternehmen, die den Fortschritt in Afghanistan gefährden, sind derzeit offenbar in einer Außenseiterposition. Als Führungsmacht der westlichen Welt präsentieren sich die USA mit dieser Debatte nicht.

Aus der sicherheitspolitischen Provinz Deutschland ist nicht sehr viel zu erwarten. Der Kiez-Politiker Ströbele arbeitet auf ein schnelles Ende in Afghanistan hin: "Der Tod von Osama Bin Laden sollte der Schlusspunkt für den Nato-Einsatz in Afghanistan sein". Und er meint, das Ziel der Intervention, die Verantwortlichen der Terroranschläge vom 11. September 2001 zur Strecke zu bringen, sei nach der Tötung des Al-Qaida-Chefs erreicht. SPD-Fraktionschef Steinmeier glaubt, dass “nachdem die Terrororganisation ihren führenden Kopf verloren hat, … die geplante Beendigung des Einsatzes realistischer" wird. Der ehemalige Außenminister meint darüber hinaus, dass der Tod Bin Ladens die Integration jener Afghanen erleichtert, die sich vom Terrorismus lösen und in die Gesellschaft zurückkehren wollen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht das ähnlich und hat die Hoffnung, „dass jetzt auch eine politische Lösung des Afghanistankonflikts leichter wird.“

Der Massen-Ausbruch aus dem Gefängnis in Kandahar Ende April, bei dem mehr als 450 Insassen, die Mehrzahl Taliban, mit offensichtlicher Hilfe korrupter afghanischer Sicherheitskräfte die Freiheit erlangten, scheint in Vergessenheit zu geraten. Diese Taliban werden wohl kaum die weiße Flagge hissen wollen, sondern werden sich nach Möglichkeit und mit aller Gewalt in die angekündigte Frühjahrsoffensive einbringen.

Da ist es gut, dass der verantwortliche Außenminister Westerwelle sich den Blick für die reale Politik bewahrt hat und am 02.05.2011 feststellt: "Wir sind in Afghanistan, weil wir verhindern wollen, dass Afghanistan wieder ein Rückzugsgebiet für den Terrorismus auf der ganzen Welt wird." und hinzufügt, dass mit der Tötung Bin Ladens der Kampf gegen Terror und Extremismus nicht beendet sei.

 

Die deutsche Politik sollte sich nüchtern vor Augen halten, dass in Afghanistan das Ziel „Übergabe in Verantwortung“ noch relativ weit entfernt ist und der Tod der Symbolfigur der Al Qaida die Erreichung dieses politischen Zieles leider nur marginal beeinflussen kann, insbesondere weil die Taliban nicht die Interessen des weltweiten islamistischen Terrorismus verfolgen sondern ihre eigenen nationalen und regionalen, islamistischen und machtpolitischen Ziele.

(05.05.2011)

 

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