Hans-Heinrich Dieter

Kooperation in der NATO (15.05.2012)

 

Beim NATO-Gipfel in Chicago am 20./21. Mai 2012 geht es um wichtige Zukunftsthemen: Das Afghanistan-Engagement der NATO bis 2014 und danach, die erforderlichen Fähigkeiten der NATO zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und die Stärkung der weltweiten Zusammenarbeit mit politischen Partnern.

Der drängendste und schwierigste Tagesordnungspunkt wird natürlich die gesichtswahrende Ãœbergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan bis 2014 und die Unterstützung des Landes nach Abzug der internationalen Kampftruppen sein. Denn in diesem Zusammenhang geht es nicht um hehre Worte und Ankündigungen, sondern es geht  um viel Geld, die konkrete Lösung immenser logistischer Probleme und um die Sicherheit unserer Soldaten. Und dabei geht auch um die erforderliche intensive Zusammenarbeit der 50 ISAF-Partner bei der Planung, Organisation und Durchführung des schwierigen Rückzugs der internationalen Truppen unter unsicheren Rahmenbedingungen und die Verantwortung der NATO bei dieser hochkomplizierten Operation.

Wenn bisher in den Dokumenten von der Ãœbergangsphase bis 2014 und danach die Rede ist, dann denkt und spricht man über „the gradual transition of security responsibility from ISAF troops to Afghan National Security Forces (ANSF)“ und über den Wandel der internationalen Aufgaben vom Kampfeinsatz zur Ausbildungs- und Unterstützungsverantwortung. Die Rede ist bisher nicht von einer Zusammenarbeit bei den Rückzugsoperationen.

Die USA haben beim Besuch von Präsident Obama am Jahrestag der Tötung bin Ladens in Kabul eine strategische Partnerschaft mit Afghanistan geschlossen und Deutschland plant Mitte Mai beim Besuch Präsident Karsais in Berlin ein Abkommen über weitere Unterstützung beim wirtschaftlichen Aufbau des Landes und der afghanischen Sicherheitskräfte über voraussichtlich zehn Jahre zu unterzeichnen. Von einem strategischen Abkommen der NATO über die Zusammenarbeit der internationalen Truppen mit afghanischen Sicherheitskräften beim Rückzug bis 2014 ist bisher nichts bekannt.

Dabei geht es um die Rückverlegung von rund 72.000 Fahrzeugen und 150.000 Containern aus ca. 1.300 Lagern und Operationsbasen auf den wenigen und wenig leistungsfähigen Straßen nach Norden, über nur zwei Grenzübergänge nach Usbekistan und Tadschikistan und dann über sehr beschwerliche Landwege. Nach Süden gehen Rückverlegungen nur durch das unsichere Pakistan zum einzig verfügbaren Seehafen Karachi zum Wegelagererpreis von 1.500 Dollar/Lkw ohne Sicherheitsgarantie. Es geht hier um ziemlich viele Milliarden von den Steuerzahlern der internationalen Staatengemeinschaft.

Und es geht natürlich auch um die Sicherheit unserer Soldaten. Rückzugsoperationen sind nicht nur hochkomplex sondern auch sehr gefährlich. Langgezogene und sehr langsame Transportkolonnen, die sich in dem oft unübersichtlichen Gelände am Hindukusch von Stau zu Stau bewegen, können nur mit hohem Kraftaufwand, das heißt mit viel zusätzlichem Personal, hinlänglich gesichert werden. Die Taliban haben in solchen Lagen leichtes Spiel mit spektakulären und sehr wirkungsvollen Anschlägen. Da ist es schon erstaunlich, dass von Kooperation und Zusammenarbeit beim Rückzug bisher nicht die Rede ist. Im Gegenteil.

Frankreich zieht seine Truppen ohne Absprache mit der NATO aus Wahlkampfgründen früher zurück, Australien und andere Länder haben ihren vorzeitigen Abzug bereits angekündigt und andere Nationen werden möglicherweise folgen. Der viel beschworene Grundsatz „gemeinsam rein, gemeinsam raus“ scheint bei der zu erwartenden Rückzugsralley der Nationen nicht mehr zu gelten. Das hat mit der Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung für die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung wenig zu tun.

Beim Gipfel in Chicago geht es auch um die Stärkung der weltweiten Zusammenarbeit mit den politischen Partnern. Ein sicher wichtiges und prestigeträchtiges Tagungsthema. Wichtiger wäre aber der Tagungsordnungspunkt einer verstärkten und vertieften Zusammenarbeit der NATO-Partner in der zukünftigen Streitkräfteplanung, in der Rüstungsplanung und –beschaffung und in gemeinsamen Einsätzen. Alle NATO-Staaten haben Probleme mit der zukünftigen Finanzierung ihrer Streitkräfte sowie mit der Finanzierung von Missionen wie Libyen, Kosovo und Afghanistan. Deswegen geht es dringend darum, durch Kooperation Geld zu sparen und Lasten zu teilen. Alle Nationen haben Schwierigkeiten, bei ihren Parlamenten Mandatserweiterungen für das erforderliche, zusätzliche „Rückzugspersonal“ zu erwirken und keine Nation wird das aus militärischer Sicht notwendige Personal bewilligt bekommen. Auch hier kann nur eine organisierte Zusammenarbeit nach einem gemeinsamen Plan und unter einer verantwortlichen gemeinsamen Führung Personal sparen und mit dem verfügbaren Personal und ständig abnehmendem verfügbaren Kriegsgerät hinreichende Sicherheit gewährleisten.

Es ist daher hohe Zeit für den NATO-Generalsekretär, die Führung zu übernehmen und die vertiefte Kooperation der NATO-Nationen in Afghanistan bei den Rückzugsoperationen politisch zu erwirken, einen verbindlichen NATO-Plan für den Rückzug erarbeiten zu lassen und durchzusetzen.

(15.05.2012)

 

 

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