Hans-Heinrich Dieter

Konsequentere NATO!   (18.03.2018)

 

Auf die illegale Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, auf die versuchte Destabilisierung der Ukraine und auf die Stationierung von Truppen in Georgien sowie zahlreiche Cyberattacken hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg konsequent reagiert und die NATO als westliches Verteidigungsbündnis sicherheitspolitisch glaubhaft eingebracht und zusammen mit den NATO-Partnern in Polen und im Baltikum der aggressiven Politik Russlands entgegengewirkt. Nun sagt er, der Nervengiftanschlag in Großbritannien sei „Ausdruck eines bestimmten Musters, das wir seit einigen Jahren beobachten: Russland wird immer unberechenbarer und immer aggressiver“. Eindeutige Beweise liegen derzeit noch nicht vor, aber die „bestimmten Muster“ lassen den Fachleuten offenbar wenig Zweifel. Deswegen ist es richtig, wenn die NATO solidarisch handelt und auch auf die Gefahren russischer Aggressivität hinweist.

Solch konsequentes und glaubhaftes Handeln der NATO vermisst man allerdings im Zusammenhang mit dem aggressiven Verhalten des NATO-Mitglieds Türkei. Die Türkei führt nun knapp zwei Monate einen Angriffskrieg gegen Syrien - und die USA, die EU, die NATO und Deutschland kommentieren das mit lauwarmen Sprüchen und Aufforderungen zur Mäßigung sowie Verhältnismäßigkeit. Einige weniger intelligente westliche Politiker gehen sogar der türkischen Propaganda auf den Leim und sprechen vom Recht der Türkei auf Selbstverteidigung. Dabei ist der Bruch des Völkerrechts durch die Türkei doch relativ offensichtlich. Die Türkei verletzt mit ihrer Militäroffensive, zunächst in den Raum Afrin, die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens und greift Soldaten der Kurdenmiliz YPG – also syrische Bürger – an. Für diesen Angriffskrieg gibt es keine von der UNO geschaffene Grundlage, wie etwa eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates, sondern nur die Behauptung Erdogans, dass die YPG eine Terrororganisation sei. Da aber Erdogan seinen ehemaligen Freund Gülen und so ziemlich jeden Kurden sowie Oppositionellen zum Terroristen erklärt, sollte die westliche Welt diesen Propagandavorwand an sich richtig einordnen können. Das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta kann auch nicht zur Anwendung kommen, denn es gibt keinen bewaffneten Angriff der YPG auf das Territorium der Türkei und ein solcher Angriff steht auch nicht erkennbar bevor. Die Türkei hat außerdem den UN-Sicherheitsrat über einen solchen drohenden Angriff nicht informiert. Absprachen zwischen dem türkischen Generalstab und Moskau sind dafür kein Ersatz. Und Autonomiebestrebungen einer Bevölkerungsgruppe in einem Nachbarland rechtfertigen ja wohl keine aggressive „Selbstverteidigung“ mit Waffengewalt. Die UNO müsste diesen Angriffskrieg scharf verurteilen und Sanktionen erwirken.

In Nordsyrien stehen sich jetzt zwei Verbündete der USA - der NATO-Partner Türkei und die YPG - direkt gegenüber. Und es ist außerdem nicht damit zu rechnen, dass die USA ihre Soldaten aus Syrien – vorwiegend aus der Region „Rojava“ – abziehen. Denn das würde bedeuten, dass die USA Russland und dem Iran das Feld überlassen und bei Verhandlungen über eine Friedenslösung übergangen werden könnten. Deswegen warnte der NATO-Partner Türkei den NATO-Partner USA davor, in der Kurdenenklave Manbidsch möglichen türkischen Angriffen auf die YPG mit US-Truppen im Wege zu stehen und drohte mit „osmanischen Ohrfeigen“! Weder die USA noch die NATO dürfen ein solches Verhalten der Türkei hinnehmen. Hier ist eine deutliche Zurechtweisung erforderlich und gegebenenfalls muss ein solches Verhalten auch Konsequenzen hinsichtlich der Zusammenarbeit in der NATO bis hin zur Infragestellung der Mitgliedschaft der Türkei haben, trotz ihrer bedeutenden geopolitischen Lage.

Unter großen Mühen hat der UN-Sicherheitsrat nach mehrfachem Veto Russlands eine Waffenruhe für Syrien ausgehandelt. Diese Waffenruhe soll allerdings aus Sicht des türkischen Machthabers Erdogan für die nordsyrische Region Afrin nicht gelten, weil er selbst ja alle YPG-Kämpfer dort als Terroristen bezeichnet und sich ihre komplette Auslöschung zum Ziel gesetzt hat. Er setzt seine Angriffe auf die Bevölkerung in der Region Afrin fort. Für zivile Opfer ist natürlich die türkische Armee nicht verantwortlich. Mehr als 200.000 Menschen sollen inzwischen aus der mehrheitlich kurdischen Stadt geflohen sein. Diese offene Zuwiderhandlung der Türkei gegen eine UN-Resolution darf die UNO der Türkei nicht durchgehen lassen. Und die NATO kann es auch nicht billigen, dass ein NATO-Mitglied einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen Nachbarn führt und der UNO sicherheitspolitische „Mittelfinger“ zeigt.

Es kommt noch schlimmer! Die Türkei steht kurz vor der Eroberung der nordsyrischen Stadt Afrin und will ihren Kampf gegen Kurden nun auf den Irak ausweiten. Machthaber Erdogan kündigte letzte Woche an: „Wir werden den Terroristen dort in Kürze sehr kräftig auf die Füße treten” und meint die Kurden-Gebiete im Norden Iraks, also die Peschmerga, die von der Bundeswehr ausgerüstet und ausgebildet den IS bekämpft haben. Und wenn Deutschland wie geplant sein Engagement im Irak ausweitet – einschließlich der Unterstützung der Peschmerga - dann sieht sich die Bundeswehr in der Gefahr direkter Konfrontation mit Truppen des NATO-Partners Türkei.

Nicht nur die NATO als Organisation, sondern jeder einzelne NATO-Partner muss sich fragen, ob man dieses unsolidarische und die Werte der NATO mit Füßen tretende Verhalten der Türkei länger dulden kann und ob nicht endlich konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Türkei von weiteren Angriffen in Nord-Syrien abzuhalten und einer Ausweitung der Aggression im Nordirak entgegenzuwirken. Die NATO sollte diesbezüglich nichts unversucht lassen und die UNO und die EU mit einbinden.

Denn nur die westliche internationale Gemeinschaft insgesamt kann durch Sanktionen, Strafen und konkrete Forderungen dafür sorgen, das Leid der Menschen in Nordsyrien zu lindern und letztendlich zu beenden. Die islamische Türkei unter Erdogan versteht Entgegenkommen – genau wie Putin – immer falsch. Erdogan und Putin reagieren nur wenn ihre Staaten durch starke, konsequente Gegenmaßnahmen Nachteile haben und ihre Macht dadurch beeinträchtigt wird. Wenn die UNO keine Maßnahmen ergreift, leidet ihre Glaubwürdigkeit weiter und wenn die NATO nichts unternimmt, blamiert sie sich!

Was nützt uns ein Staat als Partner, der wie die Türkei von geostrategischer Bedeutung ist, aber im Endeffekt chauvinistisch und auch völkerrechtswidrig gegen unsere Wertegemeinschaft agiert?

(18.03.2018)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/tuerkischerkrieg.html

 

 

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