Hans-Heinrich Dieter

Journalismuskritik 2   (14.06.2015)

 

"Lügenpresse" - der Vorwurf tut weh, sicher auch, weil am Pressekodex orientierte Journalisten wohl nicht selten ein schlechtes Gewissen haben - natürlich nur im Hinblick auf Machwerke des Boulevards. "Der Deutschlandfunk stellt sich seinen Hörern und Nutzern. Das muss so sein, und das macht uns besser. Jetzt öffnen wir sogar unser Haus für das "Erste Kölner Forum für Journalismuskritik“. So kündigt der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, Marco Bertolaso, am 09.06.2015 eine Reihe von Sendungen an, die sich kritisch mit dem journalistischen Handwerk auseinandersetzen sollen.

Seinen Hörern und Nutzern hat sich der DLF dabei nicht gestellt. Die Diskussionsteilnehmer der Panels in drei Runden waren Journalisten, Kommunikationswissenschaftler oder auch investigative Journalisten und Blogger, die sich nur zahm-kritisch mit der eigenen Profession auseinandersetzten. Interessant war hauptsächlich die Diskussion über die Veränderungen des Journalismus im digitalen Zeitalter. Frank Olbert vom Kölner Stadt-Anzeiger beklagt, dass es inzwischen mehr PR-Redakteure gibt als Journalisten und fordert eine stärkere Zusammenarbeit von denen, die Qualitätsjournalismus machen. Und er bemängelt: "Innerhalb der Medien gibt es keine Kritik an Medien." Der Kommunikationswissenschaftler Peter Ludes sieht eine wachsende Gefahr, dass Redakteure von PR manipuliert werden und fordert eine gute Ausbildung, denn "Wir wissen im Verhältnis zu dem, was wir wissen müssten, zu wenig." Der Autor und investigative Journalist Walter van Rossum formuliert: "Der Profijournalismus ist in einem schauerlich-dümmlichen Narrativ von den Guten und den Bösen." Es sei Irrsinn und gefährlich, was manche Redakteure sich erlaubten, aber "Journalisten sind nicht belangbar." Van Rossum beklagt allerdings auch die mangelnde kritische Kompetenz der Nutzer: "Man kann heute immer noch das Publikum total beeindrucken, wenn man ein Foto so bearbeitet, sodass man das nicht merkt." Sehr häufig wird aber auch das schlecht gemacht und kostet Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Die Chance zu einer vertrauensbildenden Selbstkritik wurde jedenfalls bei dem grundsätzlich lobenswerten DLF-Ansatz vertan.

"Lügenpresse" ist das Unwort des Jahres 2014. Eine verständliche Wahl, denn eine pauschale Verunglimpfung der Medien ist nicht angebracht und wenn das Unwort verbunden wird mit "Halt die Fresse!", dann zielt das gegen die Presse-Freiheit, die es zu schützen gilt. Aber solche Entgleisungen zeugen von einem vielfachen Unmut zahlreicher Mediennutzer über Manipulationen, Diffamierungen, Pauschalisierungen, offensichtlich unzureichende Recherchen, unwahre Berichterstattung, zunehmende Spekulationen sowie Skandalisierungen, und andere Verstöße gegen journalistisch-ethische Grundregeln, genannt Pressekodex. Die Pressefreiheit ist im Sinne unserer Demokratie zu schützen, die Privilegien der Journalisten, die mit der Pressefreiheit verbunden sind, bedeuten aber auch Verpflichtung, denen die Medienvertreter gerecht werden müssen, wenn sie glaubwürdig bleiben und das Vertrauen der Bürger genießen wollen. Über die Entgleisung Lügenpresse empören sich Journalisten mit Recht. Den Unmut vieler Bürger mit Medien sollten sie aber ernst nehmen.

Nur zwei Beispiele sollen journalistisch unsaubere Arbeit zeigen:

Am 10.06. veröffentlicht Christoph Hickmann in der SZ als Nachricht: "Der Militärische Abschirmdienst ermittelte in der Affäre um das Sturmgewehr G36 womöglich doch, um herauszufinden, wie vertrauliche Informationen an Journalisten weitergegeben wurden.Das legt ein Dokument nahe, das der SZ vorliegt. Darin berichtet ein Beamter, dass der MAD ermittelt habe, wer einen Journalisten über eine Besprechung zum Treffverhalten des G36 informiert habe."

Herr Hickmann verbreitet eine Mutmaßung, die ein vermeintliches Dokument eines einzelnen und einzigen Beamten "nahe legt" als Nachricht. Er vermittelt außerdem den Eindruck, dass sich der MAD mit internen Ermittlungen in der G36-Affäre Verfehlungen zuschulden kommen ließ. Der MAD hat den Auftrag, Schaden von der Bundeswehr abzuwenden. Wenn der Verdacht besteht, dass ein Beamter oder Soldat vertrauliche Informationen weitergibt, also Geheimnisverrat begeht, dann ist das ein hinreichender Grund für intensive Ermittlungen. Wenn man dabei noch feststellen kann, welcher Journalist Beihilfe zum Geheimnisverrat leistet, umso besser. Die Erörteung eines solchen Aspektes passt Hickmann natürlich nicht in die Zielrichtung der Unterstellungen.

Am 14.06. bekommt Hickmann dann die Gelegenheit, seine "Wahrheiten" in einem Gastkommentar beim DLF zu verbreiten. Er berichtet davon, dass akribisch arbeitende Beamte versetzt wurden, weil sie das G36 zu kritisch unter die Lupe nahmen. "Da wurde Prüfauftrag um Prüfauftrag erteilt – allerdings kaum, um wirklich aufzuklären. Stattdessen gewann man auf diese Weise Zeit. ...Was sich da offenbart, ist ein erschreckend tiefer Sumpf." Und er sagt weiter: "Den Großteil der Verfehlungen hat es unter Thomas de Maizière gegeben, dem heutigen Innenminister. Er ist seinem Apparat nicht misstrauisch genug entgegengetreten." Schließlich gipfelt er in der Behauptung, "dass hausintern geradezu Jagd auf Kritiker des Gewehrs gemacht werden sollte" und " dass die Rüstungsabteilung ihres Hauses den Militärischen Abschirmdienst einschalten wollte."

Hickmann unterstellt dem Verteidigungsministerium unbewiesen vielfache Pflichtverletzung, Missachtung der Fürsorgepflicht und mangelnden Aufklärungswillen, beleidigt das Ministerium und seine Mitarbeiter als nicht vertrauenswürdigen Sumpf. Wie sagt Herr van Rossum, es ist Irrsinn und gefährlich, was manche Redakteure sich erlauben, aber "Journalisten sind nicht belangbar."

Am 14.06. heißt es in der FAZ-online: "In der Affäre um die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA hat der Bundesnachrichtendienst (BND) einem Zeitungsbericht zufolge die eigenen Mitarbeiter in der Abhörstation in Bad Aibling überwacht." Die FAZ beruft sich dabei auf einen Bericht der „Bild am Sonntag“. Die BND-Führung habe technische Vorrichtungen in Bad Aibling installieren lassen, um den Informationsstrom an den amerikanischen Dienst überwachen zu können. Das wird dann als "interne Spionage" vermeintlich "amerikanisierter" Mitarbeiter verunglimpft.

Dass sich eine eigentlich gute Zeitung wie die FAZ auf BILD bezieht, ist schon Armutszeugnis genug. Dass der FAZ-Redakteur sich nicht vorstellen kann, dass es in einem Geheimdienst auch interne Sicherheitssysteme gibt und geben muss, spricht nicht für Qualität. Eine dienstlich begründete Sicherheitsmaßnahme als "interne Spionage" zu verleumden ist zumindest schlechter Stil und der FAZ unwürdig.

Der erste und wichtigste Grundsatz journalistischer Arbeit lautet: "Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse." Bei vielen Veröffentlichungen ist eine Orientierung an diesem Grundsatz nicht erkennbar. Darüber hinaus ist die journalistische Arbeit intransparent. Wer sind zum Beispiel die Journalisten im neu gebildeten Rechercheverbund aus NDR, WDR und SZ, auf den sich viele skandalisierte Meldungen und Kommentare berufen? Welche Ausbildung haben diese Leute, was qualifiziert sie, wer kontrolliert die Richtigkeit und Qualität der Recherchen. Was wird Informanten für ihre Informationen oder für ihren Geheimnisverrat bezahlt? Wird der Pressekodex eingehalten? Medien, die ständig auch von der Politik Transparenz fordern, sollten selbst transparenter arbeiten, um vertrauenswürdig zu sein.

Journalisten, die keine eigenständige Recherche machen, die nicht klar zwischen Meinung und Bericht trennen, die deshalb ihre Aufgabe nicht neutral, fair, verantwortungsbewusst, wahrheitsgemäß sowie mit Verständnis und Augenmaß wahrnehmen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bürger. Wenn Journalisten ihre Fähigkeit zur Selbstkritik stärken und sich darum bemühen, ihre Arbeit im Sinne des Pressekodex an der Wahrheit orientiert zu machen, werden sie das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen können.

Das Internet ist dabei, die Informationsgesellschaft zu revolutionieren und zu demokratisieren, weil die "alten" Medien ihr Monopol, Meinungen zu beeinflussen, verloren haben. Die interessierten und mündigen Bürger sind heute zwar weniger abhängig von schlechtem Journalismus, brauchen aber guten Journalismus öffentlich-rechtlicher Medien und der Qualitätspresse. Diesen Bedarf sollten gut ausgebildete Journalisten decken wollen.

(14.06.2015)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare