Hans-Heinrich Dieter

Jamaika-Koalition?   (12.10.2017)

 

Es sieht so aus, als ob es sehr schwierig werden wird, schon 2017 eine stabile und dauerhafte Regierung zu bilden, die die vielfältigen Probleme Deutschlands zum Wohle der Bürger löst sowie der Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt gerecht wird.

Eine erneute - und dann seit 2005 dritte - Große Koalition scheint nach der Verantwortungsverweigerung der SPD nicht möglich. Sie wäre auch nur eine Notlösung, denn die gerade abgewählte GroKo hat zu wenig erreicht, zur Erosion der „Volksparteien“ beigetragen und das Erstarken der AfD ermöglicht.

Wenn Neuwahlen verhindert werden sollen, dann bleibt nur „Jamaika“, eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen. In Schleswig-Holstein muss sich Jamaika noch bewähren, in Rheinland-Pfalz arbeiten FDP und Grüne bisher mit der SPD geräuschlos zusammen und die Schwarz-Grünen in Hessen funktionieren ebenso positiv wie die Grün-Schwarzen in Baden-Württemberg. Auf Landesebene spielen allerdings die Außen-, Sicherheits-, Europa- und Energiepolitik sowie die jeweilige Ideologie eine geringere und die CSU außerhalb Bayerns keine Rolle. Landes- und Bundesebene sind deswegen kaum vergleichbar.

Eine solche Schwarz-Gelb-Grüne-Viererkonstellation ist auf Bundesebene derzeit deswegen schwer vorstellbar, weil die Wahlprogramme und die erkennbaren politischen Konzepte der vier Parteien doch sehr unterschiedlich sind und in einigen Politikfeldern nur schwer vereinbar scheinen. Darüber hinaus existieren zwischen Grünen und FDP regelrechte Feindbilder aufgrund unterschiedlicher politischer Identitätsvorstellungen.

Die Grünen müssen also an ihrem Image als Öko-Partei mit linksautoritärer Bürgerbevormundung und technologiefeindlicher Fortschrittsverhinderung arbeiten, antimarktwirtschaftliche und gegen Amerika gerichtete Politik überprüfen, sich zur NATO als Garanten unserer transatlantischen Sicherheit bekennen und in der Flüchtlingspolitik realitätsbezogener agieren.

Die FDP muss sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, die gestaltende Mitgliedschaft Deutschlands in der EU anerkennen und fördern, allerdings ohne ihre finanzpolitischen Vorstellungen zu opfern, und sie muss sich ökologischen und klimapolitischen Fragen erkennbar stärker öffnen.

Die Schwesterparteien CDU/CSU sollten die Sondierungen und Koalitionsverhandlungen tatsächlich als „Schwesterparteien“ führen und auf der Grundlage der strittigen Flüchtlingspolitik tragfähige Kompromisse zum Beispiel dadurch finden, dass sie sich für ein modernes Zuwanderungsgesetz öffnen. Für die CDU muss die Sozialdemokratisierung der einst konservativen Partei ein Ende haben und die CSU sollte zukünftig keinen rechts- sondern einen liberal-konservativen Kurs verfolgen. Zusätzlich muss die CSU die politische Größe entwickeln, bundespolitischer Verantwortung gerecht werden zu wollen und nicht immer nur nach der absoluten Mehrheit bei der nächsten Landtagswahl schielen.

Und alle Parteien müssen fernab von Ideologie und fundamentalen Vorstellungen bei ihren Verhandlungen die realen politischen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Das Russland Putins ist aufgrund seiner aggressiven und völkerrechtswidrigen Politik aus eigenem Entschluss nicht mehr „Partner“, sondern „Gegner“ der westlichen Welt – die Putinfreunde sitzen zukünftig in der Opposition. Die USA unter Trump sind zukünftig nur eine eingeschränkt verlässliche westliche Führungsmacht und ein schwieriger NATO-Partner – Deutschland muss sich umso stärker als eine Stütze der NATO erweisen. Die EU ist in ihrer derzeitigen Struktur und Zerstrittenheit nur eingeschränkt handlungsfähig – Deutschland muss aktiv an der Weiterentwicklung der EU mitarbeiten und für eine vertiefte Integration - abseits einer Transferunion – eintreten. Die Türkei Erdogans ist inzwischen antieuropäisch eingestellt und ein zweifelhafter NATO-Partner – im Zusammenwirken mit der EU ist konsequente und selbstbewusste Politik gegenüber der Türkei angesagt.

Das beschreibt nur einen Bruchteil der aktuellen Herausforderungen. Aber angesichts dieser virulenten Probleme ist parteiübergreifendes Denken gefragt, abseits von ideologischem und parteitaktischem Gezänk. Jetzt ist eine staatsbürgerliche Haltung gefordert, die sich zu einer transatlantisch liberalen, pluralistischen Demokratie sowie auf deren grundlegende Werte bekennt - und damit auch zur europäischen Einigung und zur transatlantischen Sicherheits-politik - sowie zu einer weltoffenen aber kontrollierten Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik beiträgt. Das beinhaltet auch das aktive Eintreten für universale Menschenrechte sowie unbeugsamen Widerstand gegen die Missachtung oder Verletzung des Völkerrechts.

Solche grundsätzlichen politischen Forderungen sind von allen Parteien sicherlich leichter mitzutragen als die daraus folgenden Auswirkungen von politischen Details auf die Programmatik der jeweiligen Parteien. Deswegen dürfen die Koalitionsverhandlungen sich auch nicht in den Details verlieren und verhaken, sondern sie müssen die großen Linien festschreiben. Denn hier geht es ja nicht um parteipolitische Gesichts- oder Geruchswahrung, hier geht es um die Zukunft Deutschlands in Europa und der Welt – und da sollte ideologischer Kleinmut im Sinne des Wohls unserer Gesellschaft überwunden werden.

Die vielfältigen Äußerungen von Politikern dieser möglicherweise zukünftigen Koalition in der BILD-Zeitung, in unzähligen Talk-Shows und auch in seriösen Blättern lassen derzeit noch keine Hoffnung aufkommen, dass es zügig zu positiven Ergebnissen kommen wird. Grüne Politiker wie Peters, Trittin und Dörner haben sich schon sehr abfällig zu dem von CDU und CSU ausgehandelten Konzept zur Zuwanderung geäußert und tun so, als ob dieses Papier schon konkreter Teil der Koalitionsverhandlungen sei. Für CSU-Landesgruppenchef Dobrindt ist ein erfolgreicher Abschluss von Koalitionsverhandlungen absolut offen, weil eine Schnittmenge zwischen den Wahlprogrammen der Grünen und der Unionsparteien fast nicht vorhanden sei und er betont: „Wir werden keine linken Spinnereien dulden.“ Die FDP sieht Chancen für ein gemeinsam ausgehandeltes Zuwanderungsgesetz, das Streitpunkte wie die Obergrenze überwindet und das Problem unbegrenzter Zuwanderung löst, ohne das Recht auf Asyl anzutasten.  Der Grünen-Politiker Palmer bringt das nicht schlecht auf den Punkt: „Wir müssen am Ende zu Kompromissen mit der Union und der FDP kommen. … Die Ausweitung sicherer Herkunftsländer, die Einrichtung von Ausreisezentren, Aussetzung des Familiennachzuges – das ist kein Papiertiger, aber auch keine Verleugnung urchristlicher Werte, sondern pragmatische Politik. Ãœber deren Inhalte und Ziele muss man streiten.“ An solchen grünen Realpolitikern wie Palmer und Kretschmann sollten sich die linken Grünen etwas stärker orientieren, denn dann werden ihre zukünftigen Wahlergebnisse besser und die Koalitionsverhandlungen erleichtert.

Kanzlerin Merkel rief inzwischen die potentiellen Koalitionspartner zu verantwortungsvollen Verhandlungen über eine künftige Regierung auf: „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, ja unsere Pflicht, daraus eine Regierung zu bilden und vernünftige Politik für die Bürger und unser Land zu gestalten.“ Da hat sie sicher Recht! Und deswegen sollten sich alle beteiligten Politiker mit eitlen und vorschnellen Statements zurückhalten und nicht schon im Vorfeld von Gesprächen schwer überwindbare Hürden aufbauen, die Gefühle möglicher Partner verletzen, Porzellan zertrampeln und die Gesprächsatmosphäre vergiften.

(12.10.2017)

 

 

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