Hans-Heinrich Dieter

Glaubwürdigkeit!   (02.07.2014)

 

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben bei ihrem letzten Treffen Russland ein Ultimatum gestellt: Bis zum Montag, 30.Juni, hat Putin zu einer Entspannung und Entschärfung der Lage in der Ost-Ukraine beizutragen, ansonsten sollten weitere "bedeutende" Sanktionen gegen Moskau verhängt werden. Im einzelnen sind gefordert: Die Freilassung weiterer OSZE-Beobachter, der Beginn von Verhandlungen über den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, die Rückgabe von drei Grenzposten an die Ukraine und eine Einigung auf eine Kontrolle der Waffenruhe sowie der ukrainisch-russischen Grenze unter Aufsicht der OSZE. Das sind eindeutige Forderungen, an deren Erfüllung der "Friedenswille" Putins gemessen werden kann. Sollte Russlands Präsident Putin in den kommenden Tagen nicht positiv reagieren, dann muss die EU mit den "bedeutenden" Sanktionen ernst machen, sonst verlieren nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere osteuropäischen EU-Mitglieder und NATO-Partner das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit unserer Wertegemeinschaft.

Bisher ist lediglich das zweite OSZE-Team freigelassen worden, aber sonst sind keinerlei Zeichen dafür zu erkennen, dass Russland seinen internationalen Verpflichtungen nachkommt und wirklichen Friedenswillen in Taten umsetzt, indem es auf die prorussischen Separatisten einwirkt. Putin redet nur propagandistisch vom Frieden, Putin verurteilt das Ende der Waffenruhe und meint, fortan trage Poroschenko die "vollständige Verantwortung" für die Gewalt, aber gleichzeitig treibt Putin erkennbar die Destabilisierung der Ukraine voran und unterstützt die prorussischen Separatisten, die eingeschleusten russischen Söldner, Abenteurer, Geiselnehmer, Kriminellen und Verbrecher unverändert. Putin ist die eigentliche Ursache für die Gewalt in der Ost-Ukraine! Wenn die europäische Politik glaubwürdig bleiben will, dann müssen jetzt umgehend die "bedeutenden" Sanktionen greifen.

Der deutsche Außenminister scheint die politische Realität aufgrund seiner hektischen, aktionistischen aber medienwirksamen Reisetätigkeit nicht mehr richtig wahrzunehmen. Er lädt heute die Außenminister Russlands, der Ukraine und Frankreichs zu einem Ukraine-Krisentreffen nach Berlin, um "den Gesprächsfaden in der Ukraine-Krise nicht abreißen" zu lassen. Dabei soll es konkret um die Sicherung der Grenze gehen, damit ein weiterer Zustrom von Kämpfern und Waffen aus Russland verhindert wird -, dabei liegt es an Russland, die eigene Grenze so zu kontrollieren, dass Soldaten und Waffen nicht in die Ost-Ukraine gelangen. Außerdem sollen Sicherheitsgarantien für die OSZE-Beobachter besprochen werden - dabei ist es ja wohl die Zuständigkeit der OSZE, verbrecherische Geiselnahmen zukünftig zu verhindern und entsprechende Absprachen zu treffen.

Zuvor hatten Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande - wie wohl inzwischen allabendlich - Telefonkonferenzen mit Präsident Poroschenko sowie Putin und auch die Außenminister führten Telefongespräche mit den entsprechenden Ressortkollegen. Da fragt man sich, was dieses hektische Spinnen von löcherigen Gesprächsfadennetzen bewirken soll und kann. Ergebnisse, die der ukrainischen Bevölkerung nutzen und das Leiden beenden, sind nicht erkennbar. Und man fragt sich, ob dieser - sicher auch für die Medien inszenierte - Aktionismus auch durch die EU koordiniert und abgesprochen ist. Es entsteht eher der Eindruck, dass "Franco-Allemande" eine eigene Sanktionsvermeidungs-Suppe kochen, und dabei nicht unbedingt zur politischen Geschlossenheit und Glaubwürdigkeit der EU beitragen.

Die Chance, durch die Waffenruhe und den Friedensplan zur Lösung des Ukraine-Konflikts aktiv beizutagen, ist durch Russland und die Separatisten nicht genutzt worden. Die EU ist jetzt am Zug und muss weitere Sanktionen verhängen. Die europäische Politik muss ihr erklärtes Ziel konsequent verfolgen und darf sich durch einzelne Mitglieder nicht auseinanderdividieren lassen. Die EU muss für die Realisierung ihrer angekündigten Politik um die Unterstützung durch die USA werben. Wenn die EU jetzt nicht Farbe bekennt, dann ist das Assoziierungsabkommen in den Augen der ukrainischen Bevölkerung nicht viel wert.

Die einseitig durch die Ukraine erklärte und dann noch verlängerte Waffenruhe ist durch Russland und die Separatisten vielmehr genutzt worden, um die prorussischen Aktivisten neu zu organisieren und logistisch zu verstärken. Da ist es nur verständlich, dass Präsident Poroschenko jetzt die Bekämpfung der Separatisten und Terroristen wieder aufnimmt und dadurch seiner staatlichen Pflicht nachkommt, die ukrainische Bevölkerung vor russischer und prorussischer Gewalt und Terror zu schützen und die Einheit sowie Integrität der Ukraine unter Anwendung legitimer staatlicher Gewalt wiederherzustellen. Dabei sollte die EU die Ukraine politisch unterstützten.

Die Verstärkung der seit Wochen gesponnenen Gesprächsfäden war bisher nicht erfolgreich. Die Fäden haben so lange lose Enden wie Putin sich bewusst und provokativ sowie mit massiver Propaganda untermauert unserer Partnerschaft und Wertevorstellungen verweigert. Putin ist nur durch politisches Handeln, das nicht zum Vorteil Russlands ist, zur Abkehr von seiner aggressiven Politik gegenüber seinen Nachbarn zu bewegen. Die Ukraine weiß das so gut wie unsere osteuropäischen Partner. Wenn wir eine gemeinsame gute Zukunft haben wollen, dürfen wir als europäische Gemeinschaft nicht noch unglaubwürdiger werden.

Und Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte am Rande eines gleichzeitigen Treffens mit NATO-Generalsekretär Rasmussen, die Bemühungen um eine friedliche Lösung nicht aufzugeben. "Aber wir sind noch längst nicht dort, wo wir gern sein würden." Das heißt im Klartext: Unsere diplomatischen Bemühungen um Putins gnädige Gunst waren bisher erfolglos. Zugleich drohte Frau Merkel abermals mit Wirtschaftssanktionen - die sie erkennbar vermeiden will. Für betroffene Beobachter ist das deswegen eine ziemlich unglaubwürdige Worthülse!

(02.07.2014)

 

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