Hans-Heinrich Dieter

German Hysteria   (05.01.2014)

 

"German Angst" ist in Europa hinlänglich bekannt. "German Hysteria" dürfte dem europäischen Sprachgebrauch als gängiger Begriff für deutsche Diskussionskultur hinzugefügt werden.

Wenn in Deutschland ein Thema hochkommt, das geeignet ist, Emotionen zu wecken, dann wird in aller Regel die Moralkeule oder der ideologische Vorschlaghammer hervorgeholt und ziemlich blindwütig draufgedroschen.

Die CSU hat sich im Vorfeld der Klausur in Wildbad Kreuth mit dem Thema Zuwanderer befasst und in einem kommunalpolitisch orientierten Papier die holzschnittartige Formel gefunden: "Wer betrügt, fliegt!" Und schon setzt ein vielstimmiges Gutmenschengeschrei ein: die CSU bedient die bayerischen Grantler-Stammtische, die CSU wirft mit dumpfen Parolen um sich, macht billige Propaganda und die CSU schürt Fremdenhass in einem nun offenbar eröffneten Wahlkampf, gegen Europa.

Abstruse Aussagen kommen da nicht nur von der schrillen Gutmenschin Claudia Roth und den Linken ("Ausländerhetze") sondern auch von der SPD. Der designierte stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Ralf Stegner bezeichnete die CSU-Pläne im Kurznachrichtendienst Twitter als "Stammtischressentiments" und "Anti-Flüchtlingspolitik". Und die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, SPD, warnt davor, die Arbeitnehmerfreizügigkeit als "Schreckgespenst an die Wand zu malen". Die kleine Opposition muss natürlich jedes Thema aufgreifen, um auf sich aufmerksam zu machen. Dass aber die SPD ohne vorherige interne Diskussion glaubt, lautstarke "Opposition" gegen den Koalitionspartner machen zu müssen, ist schon schräg.

Besonders bemerkenswert sind da die Aussagen von Europa-Staatsminister Michael Roth von der SPD, der meint, die CSU habe Europa nicht verstanden, beherrsche nicht einmal die Faktenlage und mache mit dummen Parolen Stimmung. Und er gipfelt in der vermeintlich staatstragenden Formulierung: "Das ist nicht das Niveau, auf dem die Große Koalition arbeiten darf." Nun ist nicht bekannt, dass Herr Roth auf Regierungserfahrung auf Bundesebene zur Bewertung des Niveaus von Koalitionsarbeit zurückgreifen kann. Aber dem Partner Dummheit vorzuwerfen, wirkt schon ein wenig dreist - und unüberlegt.

Da ist es dann mehr als peinlich, wenn Horst Seehofer die Damen und Herren von der SPD auf den gemeinsamen Koalitionsvertrag hinweist, wo die Stichworte ´Anreize für die Migration in die sozialen Sicherungssysteme verringern`, ´Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit bekämpfen`, ´befristete Wiedereinreisesperren ermöglichen`, ´den Anspruch und auch den Leistungsausschluss bei Hartz IV präzisieren` im Kapitel "Zusammenhalt der Gesellschaft", Unterpunkt "Integration und Zuwanderung gestalten" abgehandelt sind

Wenn man dem Partner Dummheit vorwirft, und dann als dumm entlarvt wird, ist das oberpeinlich. Um den - mit Claudia Roth seelenverwandt wirkenden - Herrn Roth ist es nun merkwürdig ruhig geworden.

Zur Sache! Mit den neuen Regelungen vom 1. Januar 2014 an gehen wir einen weiteren Schritt zur vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Denn dann können Arbeitnehmer auch aus Rumänien und Bulgarien in jedem anderen der insgesamt 28 EU-Länder frei arbeiten. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union und damit ein hohes Gut. Auch die CSU will daran nicht rütteln, denn in dem Papier heißt es: "Wir stehen zur Freizügigkeit in der EU. Eine Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme lehnen wir jedoch ab. Der fortgesetzte Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung gefährdet nicht nur die Akzeptanz der Freizügigkeit bei den Bürgern, sondern bringt auch Kommunen an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit."

Ein Blick auf Zahlen und Fakten hilft bei der weiteren Versachlichung. Bisher gibt es nur ungefähre Schätzungen, wie viele Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland kommen könnten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg erwartet jährlich zwischen 100.000 und 180.000 Zuwanderer aus beiden Ländern. Risiken sehen die Wissenschaftler des IAB in der geringen Qualifikation der Zugewanderten aus Rumänien und Bulgarien. Nach einer kürzlich veröffentlichten IAB-Studie haben zwar 21 Prozent einen Hochschulabschluss und 33 Prozent eine Berufsausbildung, andererseits aber 46 Prozent gar keine Qualifikation. Rumänen und Bulgaren finden denn auch häufig lediglich Jobs im weniger attraktiven Dienstleistungssektor, in der Gastronomie zum Beispiel, oder als Erntehelfer. Aber die IAB-Forscher stellen in ihrem neuesten Bericht zum Thema auch fest: "Die Zahlen zur Beschäftigung und zum Leistungsbezug rechtfertigen es gegenwärtig nicht, die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien pauschal als "Armutszuwanderung" zu bezeichnen. Die Aussagen und Zahlen deuten auf das Problem hin, dass 46% der Arbeitssuchenden ohne Qualifikation - wie die vielen deutschen Langzeitarbeitslosen - keine Arbeit finden und dann über kurz oder lang die Sozialsystem belasten könnten. Ab dem 01.01.2014 kommen eben nicht nur die Fachleute, die Hochqualifizierten, die Ärzte und Ingenieure - kurz gesagt - "die Guten" aus Bulgarien und Rumänien, um bei uns zu arbeiten. Jetzt kommen auch die anderen, die Unqualifizierten und darüber hinaus möglicherweise die sogenannten Sozialtouristen. Mit den damit verbundenen Problemen muss sich die Politik sachdienlich auseinandersetzen.

Deswegen gibt es weder Grund für Hysterie noch für unsachliche Diskussion. Das Thema ist seit sieben Jahren bekannt. Die Politik hat es über Jahre versäumt, sich mit dieser heiklen Thematik auseinanderzusetzen. Jetzt wurde die Problematik im Koalitionsvertrag aufgegriffen und es werden hoffentlich bald Lösungen gefunden. Denn viele Kommunen kommen bereits mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und das Vertrauen der Bürger in den steuerfinanzierten Sozialstaat wird zunehmend untergraben. Und wenn nun die längst überfällige Auseinandersetzung mit einem das Volk berührenden Problem als Populismus diffamiert wird, leidet das Ansehen der Politik zusätzlich.

Die Lage in den Nachbarstaaten sollte uns auch in diesem Zusammenhang zu denken geben. In Frankreich geht das Vertrauen der Bürger in die reformschwachen Sozialisten um Präsident Hollande gegen Null und die Front National (FN) gewinnt gefährlich an Boden. In Holland sind die Rechtsextremen um de Wilders eine ernstzunehmende politische Kraft und in Großbritannien haben die Europa-Kritiker immensen Zulauf. Nicht wer sich erfolgreich um volksnahe Problemlösungen bemüht leistet der Extremen Vorschub, sondern wer solche Probleme verdrängt, beschönigt und nicht zum Wohle des Volkes löst. Es wird höchste Zeit, dass die Große Koalition in diesem Sinne endlich anfängt zu arbeiten. Deutschland braucht aufgrund der demographischen Entwicklung, der abnehmenden Ausbildungsfähigkeit sowie Studierfähigkeit unserer jungen Bürger dringend Fachleute, die bei uns arbeiten und sich integrieren wollen. Da die Sozialsysteme schon heute erkennbar zu großen Lasten der nachfolgenden Generationen leistungsfähig gehalten werden können, ist es aber geradezu eine Pflicht der Politik, die Zukunftschancen unserer Kinder und Enkel zu schützen. Dabei reicht es teilweise, EU-Recht genau zu kennen, es anzuwenden, es in der eigenen Gesetzgebung und Rechtsprechung zu berücksichtigen und EU-Mittel regelgerecht zu nutzen.

Statt unsachliche Diskussionsbeiträge hätte die SPD der CSU ja zum Reizthema Arbeitnehmerfreizügigkeit die schöne und griffige Formel entgegenhalten können: "Wer betrügt, bekommt mindestens eine zweite Chance!" Es wäre interessant gewesen zu beobachten, wie die Bürger und die Öffentlichkeit darauf reagiert hätten.

(05.01.2014)

 

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