Hans-Heinrich Dieter

Freiwillige Soldaten   (26.01.2015)

 

Wenn man bei Tagesschau-online liest: "Freiwilligenrekord bei der Bundeswehr", dann ist das zunächst ein Grund zur Freude, denn derzeit gibt es wohl etwa 11.000 freiwillig Wehrdienstleistende, der höchste Stand seit Jahren.

Frau von der Leyen freut sich generell, aber besonders über den steilen Anstieg der Kurve bei weiblichen Einsteigern. Im zuletzt gemessenen Quartal sind offenbar zehnmal so viele Frauen eingestellt worden als 2011 nach dem Aussetzen der Wehrpflicht. Dieses gute Ergebnis will die Ministerin noch steigern. Und da Frau von der Leyen die Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr zu ihrem Thema und Anliegen gemacht hat, sieht sie möglicherweise schon erste eigene Erfolge. Aber die Zahlen, die wir als eine der wenigen guten Nachrichten gerne lesen, müssen ein wenig hinterfragt werden.

Das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz wurde Ende Oktober 2014 verabschiedet und kann sich noch nicht gravierend ausgewirkt haben. Die Bundeswehr war im Hinblick auf ihre Einsatzfähigkeit im letzten Quartal 2014 in geradezu peinlicher Weise in den Negativschlagzahlen. Die Beschaffung von Wehrmaterial liegt erkennbar vielfach im Argen. Die Bundeswehr wurde so zum Subjekt beißenden Spotts in fast allen Satiresendungen. Die durch jahrelange unverantwortliche Unterfinanzierung aufgestauten Mängel werden nun Zug um Zug sichtbar und offenkundig. Der Wehrbeauftragte Königshaus hat zuletzt gravierende Mängel in den Bundeswehrliegenschaften festgestellt, z.B. sogar teilweise unbewohnbare Unterkünfte mit verschimmelten Duschen. Daraufhin hat die Ministerin angekündigt, in den nächsten drei Jahren etwa 750 Millionen Euro in die Sanierung von Bundeswehr-Unterkünften stecken zu wollen. "Seit September seien rund 3100 Sofortmaßnahmen vom neuen Duschkopf bis zur dringenden Dachsanierung angeschoben worden, etwa 800 davon seien abgeschlossen." heißt es, eine miserable, wenig attraktive Lage.
Die Mehrheit der deutschen Bürger lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab und die aufopfernde Arbeit der Soldaten wird auch deswegen nicht entsprechend gewürdigt. Und in Deutschland kann man unverändert ungestraft Soldaten als potentielle Mörder verleumden. Und trotzdem sowie angesichts immer kleinerer Jahrgänge und immer größerer Konkurrenz um Schulabsolventen ein Freiwilligenrekord?

Geld ist ein geeignetes Lockmittel. Das 85 Seiten umfassende Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz soll im Jahr 2015 119,5 Millionen Euro kosten. 2016 schlagen dann noch einmal mit fast 300 Millionen zu Buche, 2017 sind es fast 274 Millionen und 2018 noch einmal gut 250 Millionen Euro. Das Geld muss aus dem Verteidigungs-Haushalt aufgebracht werden und aktuell sind offenbar 300 Millionen noch nicht gedeckt, das aber ist nicht das Problem möglicher Freiwilliger. Für sie sind die Verdienstmöglichkeiten sicher ein sehr wichtiges Entscheidungskriterium für die Berufswahl und deswegen regelt das Gesetz hauptsächlich alles, was sich im Geldbeutel der Soldaten positiv auswirkt. Darüber hinaus gibt es bessere Aufstiegsmöglichkeiten und eine angemessene Bezahlung von Überstunden, eine 41-Wochenstunden-Regelung für Dienst im Grundbetrieb und eine neue Teilzeitregelung, die die Vereinbarkeit von Bundeswehr und Familie verbessern soll. Die Aussicht auf die Realisierung all dieser Verbesserungen des dienstlichen Alltags hat die Berufswahl des Nachwuchses möglicherweise schon positiv beeinflusst.

Aber geht es bei den 11.000 freiwillig Wehrdienstleistenden tatsächlich um eine "Berufswahl" oder eher um ein relativ kurzes Engagement, um einen Schnupperkurs oder um eine Überbrückungszeit? Und vor allem: stimmen die Motivation und die Qualität der Bewerber?

Der wirklich qualifizierte Bewerber will aus Überzeugung Soldat werden, hat eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Hochschulreife, ist körperlich gut belastbar und von der Psyche her bereit, Leib und Leben auch in kriegsähnlichen Auslandseinsätzen treu und tapfer einzusetzen. Die Realität stellt sich aber sehr häufig anders dar.

Die Anzahl von jungen Staatsbürgern ohne Schulabschluss steigt, nicht wenige junge Bürger mit Schulabschluss erweisen sich als nicht ausbildungsfähig und eine ganze Reihe Abiturienten sind nach Auskunft der Kultusministerkonferenz nicht studierfähig. Die Dickleibigkeit der Bevölkerung nimmt zu und die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt ab, deswegen hat die Ministerin die Herabsetzung der Tauglichkeitskriterien ins Gespräch gebracht. Die öffentliche Diskussion über Sicherheitspolitik und den damit zusammenhängenden Dienst der Soldaten für die Bundesrepublik ist meist platt und oberflächlich. Den Jugendoffizieren der Bundeswehr wird vielfach der Zugang zu den Bildungseinrichtungen zum Zweck der Information der jungen Leute aus erster Hand verweigert. Und so bewirbt sich ein Teil des gesellschaftlichen Querschnitts der jungen Bevölkerung relativ unvorbereitet und unzureichend informiert für einen Dienst, der nicht wenige schnell überfordert.

Viele Rekruten und junge Soldaten verlassen daher die Bundeswehr nach dem gescheiterten "Schnupperkurs" oder brechen ihre Überbrückungszeit ab, wenn sie eine positive Nachricht auf eine ihrer vielen Bewerbungen in der Wirtschaft bekommen oder der Studienplatz zugewiesen wird. Bei einigen Freiwilligen hat sich wohl noch nicht einmal die Investition in die Einkleidung gelohnt. Einige nutzen die Bundeswehr auch schamlos aus, indem sie z.B. Medizin studieren und nach ihrer Ausbildung um Anerkennung als Wehrdienstverweigerer nachsuchen. Und einige fühlen sich hinsichtlich ihrer Motivation und Einstellung dann überfordert, wenn sie erkennen, dass es nicht reicht, eine Art "Bundeswehr-Fachangestellter" zu sein, sondern seine Bereitschaft gefordert wird, als "Soldat" im Einsatz zu dienen.

Und da macht es die bundesdeutsche Gesellschaft den jungen Bürgern auch nicht leicht. Welcher junge Leistungsträger will einen Beruf ergreifen, der in der Gesellschaft keine Anerkennung erfährt. Welcher gut qualifizierte Abiturient will sein Berufsleben bei einem "Arbeitgeber" verbringen, dessen zukunftsorientierte Einsatzbereitschaft von der Politik finanziell nur unzureichend gesichert wird. Wer verpflichtet sich lange in einem beruflichen Umfeld, wo es an der dienstlichen Unterbringung deutlich hapert. Und welcher patriotisch eingestellte, leistungsfähige und leistungsbereite junge Bürger möchte sich als Soldat dem Dienst einer vermeintlich "wehrhaften Demokratie" verschreiben, die patriotische Einstellungen für zwielichtig hält und den Beruf des Soldaten gering schätzt, bis hin zur gestatteten Verleumdung als potentieller Mörder.

Wenn die deutsche Gesellschaft einmal bereit ist, den Einsatz ihrer Soldaten mehrheitlich zu würdigen, dann hat die Bundeswehr auch als Freiwilligenarmee genügend geeigneten und qualifizierten Nachwuchs, der nicht nur in einem familienfreundlichen "Job" mit geregelter Arbeitszeit hinreichend Geld verdienen möchte, sondern der aus Überzeugung und gut motiviert als Soldat oder Soldatin der Bundesrepublik Deutschland mit der Waffe dienen will. So werden viele dieser 11.000 freiwillig Wehrdienstleistenden die Bundeswehr nach zu kurzer Zeit verlassen. Unsere gesellschaftliche Lage und die derzeitige Qualität der Politik lassen Euphorie nicht zu!

(26.01.2015)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte