Hans-Heinrich Dieter

Freiwilligen-Streitkräfte (01.07.2011)

 

In Deutschland wird die Allgemeine Wehrpflicht nach 55 Jahren vom 1. Juli 2011 an ausgesetzt. Damit wird die Bundeswehr zu Freiwilligen-Streitkräften.

Die Wehrpflicht wurde in Deutschland schon lange halbherzig und nicht hinreichend gerecht gehandhabt. Auch deswegen wurde im Zusammenhang mit der sicherheitspolitischen Lage und den stark reduzierten Mobilmachungserfordernissen immer häufiger mit Recht die Sinnfrage gestellt. Die Schwarz-Gelbe Bundesregierung hat zudem den Grundwehrdienst in Richtung Sinnlosigkeit verkürzt und ad absurdum geführt.

Konditioniertes Aussetzen der Wehrpflicht ist deswegen besser, als von jungen Staatsbürgern einen militärisch unsinnigen und sicherheitspolitisch nicht zu begründenden, zu kurzen Wehrdienst abzuverlangen.

Das Aussetzen der Wehrpflicht mit der Möglichkeit für freiwilligen Wehrdienst beendet die Zumutung für junge Staatsbürger,  macht den Weg frei für Wehrgerechtigkeit und befreit die Streitkräfte von der Organisation eines zuletzt unsinnigen Grundwehrdienstes, ohne auf den einsatznotwendigen und wichtigen freiwilligen Wehrdienst von Reservisten aber auch von freiwilligen Bürgern verzichten zu müssen. Deswegen ist für mich - als Befürworter einer sinnvollen Wehrpflicht - der 01.07.2011 ein guter Tag für die Bundeswehr.

Ein guter Tag für die Bundeswehr, es könnte aber ein besserer Tag sein. Denn die Wehrpflicht wurde - wie so vieles in der derzeitigen Politik - überhastet ausgesetzt, ohne dass die Rahmenbedingungen für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr eindeutig geregelt wurden. Über das Aussetzen der Wehrpflicht wurde unzureichend informiert und die Konditionen für den freiwilligen Dienst wurden mangelhaft kommuniziert, auch weil es noch kein stimmiges Konzept gibt und Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung noch nicht entschieden oder noch nicht wirksam sind. Das Aussetzen der Wehrpflicht wird quasi im Schnelldurchgang mitten in die Planungen für die Neuausrichtung der Bundeswehr real und so zu einer zusätzlichen Belastung, anstatt eine Übergangszeit im Einklang mit der Einnahme einer neuen Struktur zu verfügen. Da hat der Bundeswehrverband schon recht, wenn er feststellt, das Aussetzen der Wehrpflicht sei schlecht vorbereitet worden.

Einige Wehrpflicht-Verbissene bemühen nun einmal mehr den drohenden „Staat im Staate“ sowie die vermeintlich wegbrechende Verankerung der Soldaten in der Gesellschaft. Die Frage, ob die Bundeswehr in Zukunft genug und vor allem auch die qualitativ richtigen Freiwilligen bekommt, treibt die politische Leitung und die militärische Führung mit Recht um. Die deutsche Gesellschaft scheint allerdings deutlich mehr wegen der nun fehlenden Zivildienstleistenden in sozialen Einrichtungen besorgt. Verteidigungsminister de Maizière beeilt sich deswegen zu sagen, er sehe den Platz der Bundeswehr auch weiterhin in der Mitte der Gesellschaft. Das allerdings ist nur zum Teil eine Frage der Wehrpflicht, sondern eher eine Frage der Akzeptanz deutscher Soldaten, die ihre Pflicht für Deutschland tun, durch die Gesellschaft.

 In unserer Gesellschaft ist das Interesse an der Bundeswehr sehr wenig ausgeprägt und, wenn es gut geht, durch "freundliches Desinteresse" gekennzeichnet. In Deutschland darf man Soldaten ungestraft "Mörder" nennen. Die Berichterstattung in den meisten Medien konzentriert sich auf Negativaspekte, auf Skandale und Fehlleistungen von Soldaten. Die Bundeswehr wird auf regionaler und kommunaler Ebene eher als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, denn als Organisation, in der es eine Ehre ist, zu dienen. Die Teilnahme der Soldaten der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan wird durch die Mehrheit der Bevölkerung negativ beurteilt, mehrheitliche Solidarität ist von dieser Gesellschaft für Soldaten derzeit nicht zu erwarten. Die Haltung der Gesellschaft der Bundeswehr gegenüber ist indifferent. Die Bundeswehr genießt in der Gesellschaft nicht die Anerkennung, die sie verdient. Und mit der Aussetzung der Wehrpflicht könnten die Streitkräfte im Bewusstsein der Bevölkerung noch mehr an Boden verlieren.

Es ist deswegen Aufgabe der Politik, das Aussetzen der Wehrpflicht intensiv zu begleiten und durch Information, Kommunikation sowie nachhaltige Solidarität mit der Bundeswehr, die Anerkennung des militärischen Dienstes für Deutschland durch die Gesellschaft zu verbessern. Dann werden auch Freiwilligen-Streitkräfte integriert bleiben und dann kann es irgendwann einmal durchaus als Ehre angesehen sein, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Mit solchen Rahmenbedingungen ließen sich auch genug und die geeigneten Freiwilligen für die Bundeswehr finden.

(01.07.2011)

 

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